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"Energiewende zunehmend als ökonomischer Wachstumstreiber anerkannt."

Andreas Löschel, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, im Interview zur volkswirtschaftlichen Betrachtung der Energiewende.

Windturbine bei Sonnenuntergang

© Thorsten Schier / Shutterstock

Fazit Fortschrittsmonitor 2024: Die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Stromerzeugungssektor haben sich im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbessert. Die leichte Zunahme der Flächenausweisung für Windkraftanlagen an Land, begleitet von einer signifikanten Steigerung von Ausschreibungen und Zuschlägen, lässt eine Beschleunigung des Ausbautempos der Erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren erwarten.

Trotz dieser Fortschritte bleibt noch erhebliches Potenzial zur Verbesserung bestehen, insbesondere in Bezug auf die zeitaufwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die nach wie vor die Geschwindigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien erheblich bremsen. Von hoher Relevanz ist es zudem, die Akzeptanz für die Energiewende durch gezielte Maßnahmen zu stärken, um bestehende Hürden auf lokaler Ebene zu überwinden.


Andreas Löschel, die Ampel ist mit dem Versprechen angetreten, die Energiewende massiv zu beschleunigen. Tatsächlich ist im letzten Jahr auch sehr viel passiert (vor allem EE-Ausbau), aber gemessen an den eigenen Zielen immer noch nicht genug. Wie ist deine allgemeine Einschätzung? Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Die Energiewende ist ein komplexes und anspruchsvolles Vorhaben und es wurden bereits bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Allerdings sind die gesetzten Ziele sehr hoch und benötigen Zeit für die Umsetzung wie beispielsweise die Schaffung von Flächen für den Windausbau, die Generierung von Akzeptanz für erneuerbare Energien und das Verkürzen von Genehmigungsverfahren. Größere Fortschritte erfordern erheblichen politischen Willen. Obwohl eine Beschleunigung zu beobachten ist, sind wir noch nicht auf Kurs, die gesteckten Ziele zu erreichen. Es ist daher wichtig, nicht nur den aktuellen Stand zu betrachten, sondern auch Indikatoren für zukünftige Entwicklungen im Auge zu behalten. Als Gesamteinschätzung lässt sich sagen, dass das Glas halb voll ist – es sind bereits Fortschritte zu sehen, aber es bleibt noch viel zu tun.

Was sind die relevantesten Vorlaufindikatoren?
Zentrale Vorlaufindikatoren für die Energiewende sind der Windausbau und die Genehmigungsprozesse in diesem Bereich. Diese Indikatoren zeigen auf, wie weit wir in der Umsetzung sind. Weiterhin sind auch der Ausbau der Netze und der Fortschritt bei Sektorenkopplungstechnologien wichtige Bereiche, die betrachtet werden sollten. Obwohl diese aufgrund fehlender flexibler Preise noch keine direkte Wirkung entfalten, zeigen sie doch Schritt für Schritt die vorhandenen Optionen für die Umsetzung der Sektorenkopplung. Daher ist es wichtig, nicht nur den aktuellen Stand anzuschauen, sondern auch zukünftige Entwicklungen im Blick zu behalten.

Es gibt immer wieder Diskussionen zu den hohen Kosten der Energiewende und dazu, ob wir uns das leisten könnten. Andererseits lösen Investitionen in die Energiewende aber auch Wertschöpfungseffekte aus und unterstützen das Wachstum. Welche Bedeutung hat die Energiewende für Konjunktur und Wachstum?
Die Energiewende wird zunehmend als ökonomischer Wachstumstreiber anerkannt. Investitionen in diesem Bereich können erhebliche Wachstumsimpulse geben. Darüber hinaus ermöglicht die Energiewende die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die in einer zukünftigen umweltschonenden Wirtschaft erfolgreich sein können. Sie hilft auch Unternehmen dabei, wettbewerbsfähig zu bleiben, indem sie sowohl die Kosten- als auch die Produktseite in einer globalen Energiewende-Welt berücksichtigt.

Allerdings müssen wir einen Balanceakt in schwierigen Zeiten hinbekommen. Während wir diese notwendigen Investitionen tätigen, stehen wir auch vor dringenden globalen Herausforderungen wie der aktuellen Kriegssituation in Europa. Es wird also eine Herausforderung sein, in dieser Zeit einen geeigneten Platz für die Energiewende zu finden. Die Diskussionen um die Kosten der Energiewende sind daher komplex: Einerseits gibt es die unmittelbaren Ausgaben, andererseits aber auch die langfristigen ökonomischen Vorteile, die sie bietet.

In Zukunft muss mehr investiert werden. Dazu braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Gleichzeitig sind wir in einer Welt voller Krisen. Was siehst du als wichtigste Herausforderung? Welche Rolle spielen die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Regulierungen, und welche Rolle spielen die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, das Zinsniveau etc.?
Die Energiewende erfordert erhebliche Investitionen, die nur durch die Lenkung von privatem Kapital in diesen Bereich erreicht werden können. Dies erfordert attraktive regulatorische Rahmenbedingungen. Zwar muss der Staat in Bereichen, in denen Märkte nicht gut funktionieren, eingreifen, aber das Ziel sollte es sein, den Markt so weit wie möglich und den Staat so wenig wie nötig zu involvieren. Es sind langfristig tragfähige und verlässliche öffentliche Investitionsanreize erforderlich. Ein Problem der Vergangenheit war die regulatorische Unsicherheit. Daher brauchen Unternehmen jetzt klare und verlässliche Rahmenbedingungen für ihre Geschäftsmodelle. Eine weitere zentrale Rahmenbedingung betrifft das Design des Strommarktes, das das zukünftige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage berücksichtigen muss und insbesondere auch Anreize gibt, unter solchen Bedingungen zu investieren.



Beispielsweise müssen Anreize für zeitliche und räumliche Investitionen in Flexibilitäten geschaffen werden. Langfristig muss auch die Versorgungssicherheit betrachtet und ein geeigneter Rahmen dafür geschaffen werden. Insgesamt ist es die Aufgabe des Staates, gute Investitionsbedingungen zu schaffen und dort zu unterstützen, wo der private Markt nicht ausreicht. All dies muss im Kontext der gegenwärtigen globalen Herausforderungen und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden.

In der Diskussion zum Strommarkt geht es sehr deutlich um Versorgungssicherheit – vor allem wenn der Ausbau der Netze hinter den Zielen zurückbleibt. Mit den Rahmenpunkten zur Kraftwerksstrategie hat die Bundesregierung hier einen lang ersehnten Impuls gesetzt – der allerdings noch viele Fragen ungeklärt lässt. Was sind die zentralen Anforderungen bzw. was brauchen wir, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten?
Die Sicherstellung der Versorgungssicherheit erfordert mehrere Kernkomponenten. Erstens muss der Ausbau erneuerbarer Energien gestärkt werden, um den Rückzug aus fossilen Kraftwerken zu ermöglichen. Zweitens sind Backup-Optionen notwendig, die nicht nur Erneuerbare Energien, sondern auch Flexibilitätsmöglichkeiten wie regelbare Kraftwerke, Nachfragen und Netzausbau beinhalten. Ohne erfolgreichen Netzausbau und den Ausbau Erneuerbarer Energien werden zusätzliche regelbare Kraftwerke benötigt. Es ist daher entscheidend, die Situation systemisch anzugehen und individuelle Komponenten zu berücksichtigen.

Zudem ist eine breitere Finanzierung aus dem Markt erforderlich, wobei verschiedene Optionen zur Diskussion stehen, die die Entfaltung von Strommärkten und entsprechende Vergütungen für Kapazitäten berücksichtigen. Es ist unerlässlich, alle verfügbaren Optionen zu nutzen und eine Förderung einzelner Technologien zu vermeiden. Ein weiterer Faktor ist die Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Stromnachfrage. Folglich wäre es sinnvoll, das System schnell aufzubauen und in Vorlage zu gehen, um mögliche Versorgungssicherheitsprobleme zu bewältigen. Schließlich sollten alle bisher aufgebauten Reservekapazitäten in einen systematischen Kontext gebracht werden, um zukünftige Herausforderungen bewältigen zu können.

Ist die Tatsache, dass es jetzt eine Kraftwerksstrategie gibt und die Diskussion dazu angestoßen wurde, schon einer der genannten Vorlaufindikatoren?
Die Einführung einer Kraftwerksstrategie setzt einen wichtigen Prozess in Gang, um die Rahmenbedingungen für die Energiewende zu schaffen. Obwohl dieser Prozess schon früher hätte beginnen sollen, ist er ein Schritt in die richtige Richtung, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.

Wir befinden uns derzeit in einer Phase ohne Versorgungssicherheitsprobleme, allerdings reduziert sich die gesicherte Leistung deutlich, was einen erheblichen Druck erzeugt. Die aktuelle Versorgungssicherheit gibt uns etwas Spielraum, aber wir müssen den Transformationsprozess genau beobachten und mögliche Implikationen für den Kohleausstieg und die Erreichung unserer Energieziele in Betracht ziehen. Die Entwicklung und Umsetzung einer Kraftwerksstrategie kann somit als Vorlaufindikator für den Fortschritt der Energiewende betrachtet werden.

Andreas Löschel, vielen Dank für das Gespräch.


Professor Dr. Andreas Löschel

ist Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum. Davor hielt er Professuren an der Universität Münster und der Universität Heidelberg und war Forschungsbereichsleiter am ZEW – Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

 


 

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