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Beschleunigung EEG-Netzanschluss: Umgang mit „Zertifizierungsstau“

Das BMWK appelliert an die Branche, aktuelle Verzögerungen beim Netzanschluss von PV-Anlagen durch fehlende Zertifizierung schnellstmöglich zu überwinden. Das Ministerium wird in Kürze mit der NELEV die gesetzliche Grundlage für die Zertifizierung anpassen und wird eine vorläufige Zulassung des Netzanschlusses unter Auflagen vorschlagen. Der BDEW und seine Mitgliedsunternehmen unterstützen das Ziel einer schnellen und technisch sicheren Integration von Anlagen in das Energieversorgungssystem.

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© AlyoshinE / Shutterstock

Aktuell können viele neue PV-Anlagen mit einer Leistung von 135 kW bis 950 kW nicht an das Stromnetz angeschlossen werden, da ihnen das notwendige „Anlagenzertifikat B“ nach der VDE-AR-N 4110 fehlt. Ob im Einzelfall ein Zertifikat erforderlich ist, lässt sich anhand einer Entscheidungshilfe des VDE ersehen (Abgrenzung Anwendungsbereich VDE-AR-N 4105 und 4110). Durch die signifikante Erhöhung des Antragsvolumens in den letzten Jahren hat sich auch das Zertifizierungsaufkommen nochmals massiv erhöht, so dass die Zertifizierungsstellen bei der Bearbeitung der Anträge nicht nachkommen. Derzeit werden weitere Kapazitäten bei Zertifizierern aufgebaut. Flankierend planen Zertifizierer Arbeitshilfen, um Fehlern im Zertifizierungsprozess gerade bei neuen Antragsstellern stärker vorzubeugen und die Abstimmung zwischen allen Branchenbeteiligten insgesamt effizienter zu gestalten.

Anforderungen an die Zertifizierung: NELEV und network codes

Die Vorgaben für die Zertifizierungen für den Anschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen finden sich in der Verordnung zum Nachweis elektrotechnischer Eigenschaften für Energieanlagen (NELEV). Die NELEV setzt den nationalen Ausgestaltungsspielraum um, den die europäische Verordnung zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger (EU) 2016/631 („RfG-VO“) den Mitgliedsstaaten überlässt. Die RfG-VO gibt die allgemeinen Anforderungen an bestimmte Erzeugungsanlagen sowie den Nachweis dieser Anforderungen vor. Die konkreten Leistungsgrenzen für die Typenklassen A bis D wurden von den Übertragungsnetzbetreibern nach öffentlicher Konsultation der BNetzA vorgeschlagen und von der BNetzA genehmigt (Beschluss BK6-16-166). Dezentrale Erzeugungsanlagen wie Windkraft-, Photovoltaik- oder KWK-Anlagen, die in der Mittelspannung angeschlossen werden, müssen auch weiterhin vor Netzanschluss elektrotechnisch überprüft und zertifiziert werden. Hintergrund ist, dass die Netzbetreiber das Stromnetz auch bei stark volatiler Einspeisung zu jeder Zeit sicher betreiben müssen. Durch die Zertifizierung wird sichergestellt, dass die Erzeugungsanlagen die technischen Anforderungen der geltenden Richtlinien einhalten. 

BMWK-Branchengespräch: Anpassung des Zertifizierungsverfahrens geplant

Am 17. Mai 2022 hat das BMWK einen Austausch zur „Beschleunigung von Netzanschlüssen für EE-Anlagen durch Änderung des Zertifizierungsverfahrens“ angestoßen, bei dem es einen kurzfristigen, noch unverbindlichen Lösungsvorschlag zur Anpassung des Zertifizierungsverfahrens nach der NELEV der Branche vorgestellt hat. Das Ministerium appellierte an die Branche, alles für eine Überwindung des Zertifizierungsstaus zu tun. 
Künftig soll nach Vorstellung des BMWK im Sinne einer Beschleunigung das Anlagenzertifikat B unter Auflagen Grundlage für einen vorläufigen Netzanschluss werden. Die Branche wurde aufgefordert, mögliche technische Anforderungen für einen vorläufigen Anschluss zu erarbeiten. Für eine endgültige Betriebserlaubnis wären dann allerdings auch alle weiteren nach der VDE-AR-N 4110 vorgesehenen Anforderungen innerhalb einer noch zu bestimmenden Frist nachzuweisen. Klargestellt und damit ausdrücklich rechtlich verankert werden soll, dass Netzbetreiber Anlagen vom Netz zu trennen haben, falls diese Nachweise nicht fristgerecht nachgereicht werden. Zur Verordnungsänderung wird es eine kurzfristige Verbändeanhörung geben. 

Status quo: Umgang mit fehlenden Zertifikaten durch Netzbetreiber

Vor diesem Hintergrund gestatten Netzbetreiber zum Teil heute schon einen vorläufigen Anschluss an das Netz, wobei das Anlagenzertifikat B zwingend nachzureichen und weitere Anforderungen zu erfüllen sind. Hierzu gehören bspw. eine Eigenerklärung, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten sind bzw. der Nachweis durch konkrete elektrotechnische Planungen, die Bestätigung, dass die notwendigen Zertifikate beantragt wurden, sowie die Erklärung, für etwaige entstandene Schäden zu haften. Dass dieser Spielraum genutzt wird, schließt die NELEV explizit jedenfalls nicht aus: Nach § 4 der Verordnung ist die endgültige Betriebserlaubnis zu verweigern, wenn nicht die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten und vorgesehene Zertifikate erbracht wurden (Verweis auf §§ 2 und 3 NELEV). Bei stockenden Anschlussverfahren, die sich auf eine Verzögerung des Zertifizierungsprozesses zurückführen lassen, können Netzbetreiber prüfen, ob sie angesichts der aktuellen Situation Netzanschlüsse vorläufig zulassen, wenn dies technisch vertretbar ist. Die technische Sicherheit darf auch bei vorläufigem Netzanschluss nicht gefährdet sein. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass eine Trennung der Anlagen vom Netz nach vorläufigem Netzanschluss in der Praxis schwierig sein kann, insbesondere, wenn sie in vorhandene Erzeugungs- oder Verbrauchskonstellationen integriert werden. Hinzu kommt, dass eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Trennung der Anlagen vom Netz aufgrund fehlender Zertifikate bislang fehlt. Netzbetreiber müssen diskriminierungsfrei vorgehen und letztlich unternehmensintern über diese Fragen entscheiden. 

Netzanschlussverfahren: Weitere Beschleunigung durch Digitalisierung und Standardisierung 

Anfang Mai 2022 fand zudem ein durch das BMWK organisierter Stakeholder-Workshop zur Beschleunigung von Netzanschlüssen von Kleinanlagen bis 30 kW statt. Darin wurden Eckpunkte zur Digitalisierung und Standardisierung des Anschlussprozesses von Anlagen bis 30 kW(p) bis zur Netzanschlusszusage vorgestellt (siehe Anlage). Aus Sicht des BDEW sind die Ursachen für eine Verzögerung des Netzanschlusses mannigfaltig: Personal- und Ressourcenmangel, notwendige Installationsumbauten, Behinderungen bei Netzausbau- und Genehmigungsverfahren sind nur einige der Gründe (vgl. hierzu auch unser aktuelles Positionspapier „Genehmigungsbeschleunigung Verteilernetzausbau“). Hinzu kommt der bereits festgestellte „Zertifizierungsstau“.

Ausblick

Wir erwarten einen Vorschlag zur Anpassung der NELEV mit sehr kurzer Verbändeanhörung. Da die Verordnung notifiziert werden muss, würde nach Übersendung des Verordnungsentwurfes an die EU-Kommission die sogenannten Stillhaltefrist von drei Monaten beginnen. Zudem ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Die NELEV-Anpassungen könnten danach frühestens im Oktober 2022 in Kraft treten. 

Auch eine Novellierung des § 8 EEG zur Beschleunigung des Netzanschlussprozesses von Kleinanlagen bis 30 kW(p) zwischen Anlagen- und Netzbetreibern ist geplant. 

Der BDEW hat sich in alle Prozesse intensiv eingebracht und wird weiter aktuell berichten. 
 

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