Im Estrel Congress Centrum standen schon die Showgrößen der Welt auf der Bühne – Tina Turner, ABBA, Elvis – oder zumindest ihre Doubles. Am 15. und 16. September musste die große Show den großen Inhalten weichen. Denn zwei Tage lang versammelten sich beim 12. BDEW Kongress die wichtigsten Stakeholder der Energiewirtschaft.
Auf die Mottos der letzten Jahre, „Change“, „Tempo“, „Wir machen möglich“, folgte in diesem Jahr der Slogan „WIR.ERREICHEN.MEHR.“. Über 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort, über 120 Referentinnen und Referenten, 60 Partner und Aussteller und 300 virtuelle Teilnehmer hauchten diesem Motto Leben ein.
Große Wiedersehensfreude nach der Pandemie
„Es ist toll, dass wir uns beim Kongress alle wiedersehen. Jeder sagt das, jeder ist froh, dass wir persönlich wieder miteinander sprechen können“, sagt Dr. Marie-Luise Wolff, BDEW-Präsidentin und Vorstandsvorsitzende ENTEGA.
Kurz vor der Bundestagswahl 2021, in einem Jahr voller richtungsweisender Entscheidungen, scheinen alle Rednerinnen und Redner ihre ganz eigenen Wünsche für die 20. Legislaturperiode zu haben. Einen Wunsch teilen jedoch alle: Unabhängig von der Koalition, die sich nach der Bundestagswahl bildet, muss die Energiewende vorangebracht werden.
Um den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen, sei es deswegen laut Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, notwendig, dass direkt zu Beginn der neuen Legislaturperiode ein großes Gesetzespaket auf den Weg gebracht werde, das viele Hürden bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren abbaue: „Ganz im Zentrum werden die Flächen für die Onshore-Windenergie stehen müssen, um den Ausbau hinzukommen.“
Neue Allianzen für den Klimaschutz
Die Branche sei auf jeden Fall bereit, die Energiewende entschieden voranzubringen, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW in ihrer Begrüßungsrede. Auf dem diesjährigen Kongress zeige sich wieder einmal die fachliche Tiefe des Verbandes und die Vielfalt der Energiewirtschaft.
Fortschritt geht aber auch immer mit Veränderung einher. Das betrifft mit der bevorstehenden Wahl auch große personelle Neuerungen im Bundeskanzleramt. Mit einem Grußwort wandte sich Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum letzten Mal in ihrer Amtszeit an die Energiewirtschaft und dankte den Unternehmen für die kritisch-konstruktive Begleitung ihrer Kanzlerschaft.
Für Kerstin Andreae ist jedoch nicht nur die fruchtbare Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung entscheidend für das Gelingen der Energiewende, sondern auch der Austausch zwischen den einzelnen Branchen. „Der Klimaschutz schweißt uns zusammen. Aber nicht nur uns. Sondern wir müssen und wollen Allianzen schmieden. Den Umbau des „bewohnten Hauses“ stemmen wir nur gemeinsam“, so Kerstin Andreae weiter. Der Weg zur Klimaneutralität könne gemeinsam bewältigt werden, wenn diese Allianzen sich finden, die Menschen mitgenommen und die Politik Tempo machen und Steine aus dem Weg räumen würde .
Den Gedanken der Gemeinsamkeit griffen auch die Rednerinnen und Redner anderer Podien auf. Beispielsweise Dr. Markus Krebber, RWE-Vorstandsvorsitzender, der bei einer Podiumsdiskussion zu den „Spielregeln für die Energiewelt von morgen“ die europäische Dimension akzentuierte: „Das Fit-for-55-Package der Europäischen Kommission geht klar in die richtige Richtung. Wir müssen nun sehen, dass wir von den Zielen, die wir haben, konkrete Maßnahmen ableiten, um diese auch zu erreichen.“
Anna Borg, CEO von Vattenfall ergänzte, dass es auf den Weg hin zur Klimaneutralität vor allem auf Schnelligkeit ankomme. Um die gesetzten Ziele auf europäischer Ebene zu erreichen, brauche es mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien und passende Rahmenbedingungen für die Investitionen der Unternehmen.
Energiewende nicht ohne die Bevölkerung
Neben den konkreten Maßnahmen und Handlungsfeldern betonen die Referentinnen und Referenten aber auch das positive Narrativ gegenüber der Bevölkerung. Um für Akzeptanz beim Erneuerbaren-Ausbau zu werben, müsse Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit garantiert werden.
„Ganz vorne steht ganz klar der Ausbau der erneuerbaren Energien, aber auch der Ausbau neuer Gaskraftwerke muss mitgedacht werden. Sonst werden wir weder CO2 senken, noch die Preise im Rahmen halten können“, sagt BDEW-Präsidentin Marie-Luise Wolff.
Bildergalerie BDEW Kongress 2021
Abgesehen von der Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit grüner Energie war auch der Stellenwert einer sozialverträglichen Wärmewende Thema beim „KMU Talk“. Dr. Leonhard Birnbaum, CEO von E.ON, und Christian Meyer-Hammerström, Geschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke, berichteten von ihren Erfahrungen aus der täglichen Arbeit Letztlich liege die Entscheidung über die passenden Maßnahmen und Finanzierungen jedoch bei jeder Kommune und Stadt. Mit dem Energieversorger vor Ort müsse dann besprochen werden, wie sich die Wärmewende konkret umsetzen lasse.
„Die Herausforderungen, die in den nächsten Jahren auf die Unternehmen unserer Branche zukommen, sind enorm und es sind zu viele, um sie aufzulisten“, sagte Birnbaum. „Wir müssen alle unglaublich ambitionierte Ziele erreichen und dazu unsere bestehenden Prozesse, Strukturen und Organisationen komplett umbauen. Das wird uns bis an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit belasten.“
KMU gestalten die Energiewende vor Ort
Neben den vielen zukünftigen Herausforderungen kamen und kommen in den letzten Wochen und Monate aber auch immer neue Aufgaben hinzu. Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat zuletzt gezeigt, dass auch im Rahmen von Klimaanpassungsmaßnahmen noch viele Hürden zu meistern sind. Im Vordergrund steht nun aber der Aufbau.
Dominik Neswadba, Geschäftsführer der Ahrtal Werke, ließ auf dem BDEW Kongress die Ereignisse der Hochwasserkatastrophe noch einmal Revue passieren und dankte allen Helferinnen und Helfern für ihren Beistand. Zusammen mit Dr. Stefan Küppers, Geschäftsführer Spezialtechnik/Digitalisierung und Leiter des Krisenstabs Westenergie/Westnetz, und Mathias Wiemann, Leiter Unternehmensbereich Netze der Wasserwerke Leipzig, diskutierte er anschließend, wie die Infrastruktur schnellstmöglich wieder in Stand gesetzt werden könne. Die Frage der Verfügbarkeiten wird die Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz somit auch schon kurzfristig beschäftigen.
„Die Solidarität in der Branche während der Flutkatastrophe war beeindruckend“, sagte Kerstin Andreae in ihrer Begrüßungsrede. „Lassen sich mich einen Dank aussprechen und den größten Respekt an die Mitgliedsunternehmen und ihre Beschäftigten, die als Betroffene sofort mit dem Aufräumen, der Notversorgung und dem Wiederaufbau begannen.“
Letztlich zeigt sich bei allen Panels und Themensessions, dass die große Zuversicht in der Gemeinschaft liegt. Durch den Austausch neuer Ideen, Technologieoffenheit und die passenden Maßnahmen der Politik, lassen sich die gesetzten Ziele in den kommenden Monaten und Jahren in die Tat umsetzen.
„Es war großartig, dass wir wieder zusammenkommen konnten. Das haben wir sowohl in den Diskussionen als auch Kongressabenden erlebt, dass der Hunger, sich auch wieder zu treffen und persönlich auszutauschen, sehr groß ist“, sagt Kerstin Andreae in ihrem Fazit zum BDEW Kongress 2021. „Für mich das Highlight, beziehungsweise was sich beim Kongress einfach gezeigt hat: Die Branche ist unglaublich weit. Die Unternehmen nehmen die großen Herausforderungen an, die vor uns liegen und haben viele neue Ideen. Diese wollen wir aufgreifen und nochmal an die Politik adressieren.“