Das Strommarktdesign muss fit gemacht werden für die Erreichung der Ausbauziele Erneuerbarer Energien sowie für Bezahlbarkeit und Sicherheit der Stromversorgung. Hierfür hat der BDEW Vorschläge ausgearbeitet.
Anlass
Europa ist in der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Deutschland hat sich das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 gesetzt. In dieser Transformation spielt der Ausbau von erneuerbarem Strom und erneuerbaren bzw. dekarbonisierten Gasen und der entsprechenden Energienetze die entscheidende Rolle. Gleichzeitig müssen sowohl Versorgungssicherheit als auch Wettbewerbsfähigkeit und Preisgünstigkeit gewährleistet werden. Können wir sicher sein, dass wir hierfür die richtigen Regeln haben?
Das heutige Marktdesign hat sich in der Energiekrise 2022/2023 bewährt. Aber es ist deshalb noch kein Garant dafür, dass die gesetzten Erneuerbare-Energien-Ausbauziele erreicht werden und die Versorgungssicherheit auch unter veränderten Bedingungen erhalten bleibt. Darum geht es beim Marktdesign.
Strommarktdesign auf dem Prüfstand
Die Diskussion rund um das Strommarktdesign hat Hochkonjunktur. Die EU-Kommission hat im März diesen Jahres einen Legislativakt mit Änderungen der für den Strombinnenmarkt geltenden Regelungen vorgelegt. Das BMWK hat im Februar den Startschuss für die Plattform Klimaneutrales Stromsystem – kurz PKNS – gegeben. Diese Plattform soll Vorschläge für eine zukunftsfähige Neujustierung des Strommarktdesigns erarbeiten. In seiner Eröffnungsrede verglich Bundesminister Habeck das Strommarktdesign mit dem Herzrhythmus-System der Energiewirtschaft.
Erneuerbare Energien im Mittelpunkt
Dieses Herz-Rhythmus-System soll keiner Radikalkur unterzogen werden. Anpassungen sollen vielmehr ermöglichen, dass die Ziele für 2030 und 2045 eingehalten werden können. Gleichzeitig müssen sowohl Versorgungssicherheit als auch Wettbewerbsfähigkeit und Preisgünstigkeit gewährleistet werden.
Im Laufe des Sommers 2023 möchte das BMWK die bisherigen Ergebnisse der bisherigen Arbeit der PKNS und ihrer vier Arbeitsgruppen in einem Sommerbericht festhalten. Uns bleibt nicht viel Zeit. Das gilt insbesondere für das Erreichen der Aus- und Umbauziele für 2030. Aufgrund der Vielzahl von Unsicherheiten sollte die Bundesregierung rasch Klarheit darüber schaffen, wie Versorgungssicherheit mittel- und langfristig organisiert werden soll.
Marktdesignimpulse des BDEW
Der BDEW hat diesen Prozess langfristig antizipiert. Beginnend im Dezember 2021 hat er in einem aufwändigen alle Wertschöpfungsstufen und unterschiedliche Unternehmenszuschnitte umfassenden Prozess zentrale Fragen des Marktdesigns, nämlich
- Finanzierung der Erneuerbaren Energien
- Versorgungssicherheit
- Netzdienliche Flexibilität
- Preiszone
untersucht und konstruktive Vorschläge entwickelt. Selbstverständlich auch mit Blick auf das Gemeinwohl und das skizzierte energiewirtschaftliche Zieldreieck.
Ergebnis dieses sehr dichten und konstruktiven Prozesses sind keine schlüsselfertigen Lösungen, sondern Diskussionspapiere und ein Input zur laufenden Arbeit der PKNS.
EE-Ausbau erfordert differenzierte Antworten
Der Vorrang muss dem ungeförderten EE-Ausbau zukommen. Der PPA-Markt (Power Purchase Agreements) hat sich positiv entwickelt. Allerdings gilt das Gegenparteirisiko/Kreditrisiko als eine Herausforderung für die Finanzierung und den Abschluss langfristiger, bilateraler PPAs. Das trifft speziell für Kunden mit geringerer Bonität. Hier schlägt der BDEW ein zeitlich begrenztes und auch nur unter definierten Bedingungen greifendes Markteinführungsprogramm vor.
Es ist allerdings nicht realistisch, dass sich allein über PPAs die 2030er Ausbauziele für Erneuerbare Energien erreichen lassen. Unter Kostenminimierungsgesichtspunkten erscheint auch nach 2030 eine Dualität zwischen (im Wesentlichen) ungefördertem (PPAs) und durch Ausschreibungen abgesichertem Ausbau sinnvoll.
Wie solche Contracts for Differences – kurz CfDs – am besten ausgestaltet werden können, hat der BDEW untersucht. Zugleich ist klar: Der Abschluss von PPAs und von CfDs muss stets freiwillig sein.
Versorgungssicherheit ist kein „nice to have“
Das deutsche Energiesystem steuert auf eine Phase massiven Bedarfs an Neuinvestitionen zu. Hierfür bedarf es Back-up Kapazitäten. Und die müssen mit den Erfordernissen des Klimaschutzes vereinbar sein. Werden wir genug solcher Kapazitäten haben, wenn Sonne und Wind gerade nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen?
Da der Umbau der Energieversorgung rasch erfolgen muss, spricht sich der BDEW für einen zentralen Kapazitätsmarkt aus. Ein solcher Markt muss klimaverträglichen konventionellen Erzeugungsanlagen, Anlagen auf Basis Erneuerbarer Energien unter Einschluss von Windenergie und Photovoltaik, lastseitigen Flexibilitäten und Speichern ebenso wie Importen offenstehen. Die Beiträge, die diese unterschiedlichen Quellen zur Versorgungssicherheit leisten, lassen sich durch einen Umrechnungsfaktor (sog. de-Rating) miteinander vergleichen. Durch diese Öffnung lässt sich volkswirtschaftliche Effizienz erzielen. Damit Versorgungssicherheit Hand in Hand mit Klimaschutz geht, müssen teilnehmende Anlagen – zusätzlich zu den geltenden Anforderungen – sicherstellen, dass die jeweilige Investition zur Erreichung der Klimaziele für 2030 und 2045 beiträgt.
Damit das Rad nicht neu erfunden werden muss, lohnt es sich über den Zaun zu unseren belgischen Nachbarn zu schauen. Die haben 2020 einen Kapazitätsmarkt aufgesetzt und die EU-Kommission hat 2021 attestiert, dass dieser den Regeln der Binnenmarktverordnung Strom und den sich damals abzeichnenden europäischen Beihilfeleitlinien genügt.
Unter den spezifischen Bedingungen in Deutschland mit viel Wind im Norden und Verbrauchsschwerpunkten im Süden ist auch darüber nachzudenken, wie regionale Allokationssignale sinnvoll eingebunden werden können.
Verzahnung mit Kraftwerksstrategie
Die Bundesregierung möchte mit der Kraftwerksstrategie und damit den Ausschreibungen für H2-ready-Kraftwerke einen (kurzfristigen) Rahmen für Investitionen in steuerbare Erzeugungskapazitäten schaffen. Grundvoraussetzung für jegliche Investitionen in Kraftwerke ist die Gewährleistung einer rechtssicheren Ausgestaltung aller Instrumente auf nationaler sowie EU-Ebene. Bereits in diesem Jahr sollte noch mit der Ausarbeitung eines Kapazitätsmarkts begonnen werden, da die hierzu erforderlichen Arbeiten komplex und zeitintensiv sind.
Flexibilitätspotenziale erschließen
In einem durch die dargebotsabhängige Einspeisung von Wind und Sonne geprägten System ist die Nutzung von Flexibilität zentral. Energieintensive Betriebe der Industrie und des Dienstleistungssektors weisen sehr hohe Flexibilitätspotenziale auf und sind daher Bestandteil des Zusammenführens von Angebot und Nachfrage. Allerdings werden heute Anlagen mit einem besonders hohen Verbrauch regelmäßig inflexibel gefahren. Schuld daran sind daran sind Regelungen aus einer Zeit, in der Kernenergie- und Kohlekraftwerke rund um die Uhr produzierten und eine inflexible Nachfrage systemstabilisierend wirkte. Künftig muss es darum gehen, verlässliche, messbare Inflexibilität in eine verlässliche, messbare Bereitschaft zum flexiblen Einsatz umzuwandeln.
Netze brauchen mehr Flexibilität
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Umstieg auf Elektromobilität und der Anstieg von Wärmepumpen fordern einen zügigen Aus- und Umbau der Stromnetze. Der Ausbau dieser Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen erfolgt vornehmlich dezentral und eilt dem – unabdingbar notwendigen – Ausbau der Netze um viele Jahre voraus. Deshalb ist es auch erforderlich, netzdienliche Flexibilität in einem höheren Umfang als bisher zu nutzen.
Durch die Einführung des Redispatch 2.0 wurde für Netzbetreiber ein Werkzeug zur Erschließung erzeugungsseitiger netzdienlicher Flexibilität geschaffen. Das zukünftige Marktdesign muss Netzbetreibern die Option eröffnen, zusätzlich zum (regulierten) Redispatch 2.0 die netzdienliche Flexibilität von Lasten und Speichern zu erschließen. Netzbetreiber haben heute nur sehr begrenzte Möglichkeiten, diese zu nutzen. Hier setzen die gemeinsam mit E-Bridge entwickelten Vorschläge des BDEW an.
Preiszone
Deutschland bildet zusammen mit Luxemburg eine Preiszone. Innerhalb einer Preiszone kann sich der Großhandelspreis ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen aus Angebot und Nachfrage bilden. Deutschland ist keine Insel. Im EU-Binnenmarkt stellt sich die Frage nach der Effizienz des aktuellen Preiszonenzuschnitts. Der BDEW hat sich hiermit ebenso auseinandergesetzt wie mit den Vor- und Nachteilen einer Aufteilung.
Es gibt aktuell keinen zwingenden Grund, die Preiszone zu teilen, da vieles dafür spricht, dass das im „Aktionsplan Gebotszone“ formulierte Ziel einer siebzigprozentigen Verfügbarkeit des Netzes für Handelsgeschäfte bis zum 31.12.2025 erreicht werden kann.
Die Aufrechterhaltung der Preiszone ist mit signifikanten Vorteilen verbunden. Die mit Abstand höchste Marktliquidität der gesamten EU sorgt für Vertrauen in die Marktergebnisse und stärkt damit den Wettbewerb. Der Fortbestand der Preiszone gibt Planungssicherheit für den Übertragungsnetzausbau, für den sehr langfristige Planungszeiträume anzusetzen sind.
Die Beurteilung der Vor- und Nachteile der Aufrechterhaltung der Preiszone kann sich im Zeitverlauf ändern. Der Erhalt der Preiszone ist also nicht selbstverständlich. Er kann aber gelingen, wenn kontinuierlich Maßnahmen ergriffen werden, um den Druck auf die Preiszone zu verringern. Der Ausbau der Netze bleibt deshalb auch in Zukunft zentral. Regionale Allokationssignale müssen weitere Beiträge leisten.
Der BDEW hat ein detailliertes Diskussionspapier zum Thema sowie Auszüge daraus vorgelegt. Sie finden die Dokumente am Ende dieser Seite.