Saniert vom Dach bis in den Keller: Power-to-Gas fürs Zuhause mit den Stadtwerken Augsburg
Ganz schön bio: Kleine Helfer, hohe Konzentration. Das Forschungsprojekt der BTU Cottbus
Vielseitiger Wasserstoff: die Flaschen aus der Uckermark vom Hybridkraftwerk der ENERTRAG AG
Saniert vom Dach bis in den Keller: Power-to-Gas fürs Zuhause
Seit den 1970ern, als die Wohnanlage der Stadtwerke Augsburg entstand, hat sich im Wärmemarkt so einiges getan. Kein Wunder, dass der in die Jahre gekommene Ölkessel bei der Sanierung weichen musste – zugunsten eines echten technischen Highlights: Erstmals in Deutschland wird die Power-to-Gas-Technologie in einer dezentralen Energieversorgungsanlage eingesetzt und die Emissionen von Kohlendioxid und Stickoxiden damit um mindestens 70% reduziert. 70 Wohneinheiten und deren Bewohner werden dort durch selbst produzierten PV-Strom mit Strom und Wärme versorgt.
Dezentral, flexibel und skalierbar: die Kohlendioxid-Kreislauflösung
Hinter dem System steckt die Firma Exytron. Seit 2015 betreibt sie eine Power-to-Gas-Demonstrationsanlage in Rostock. Das Prinzip ist bekannt: Bei der Elektrolyse wird Wasser mithilfe von grünem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Bei der Methanisierung verbindet sich der Wasserstoff im nächsten Schritt mit Kohlenstoffdioxid – so entsteht Methan, das dann zum Beispiel zum Heizen genutzt werden kann. Das Besondere an der Anlage von Exytron ist, dass das direkt vor Ort passiert: Ein eigenes Blockheizkraftwerk für die Strom- und Wärmeversorgung ist angeschlossen. Bei der Verbrennung entsteht das Kohlenstoffdioxid, das die Power-to-Gas-Anlage für die Methanisierung wiederverwendet. So gelangen keine Emissionen in die Atmosphäre und dezentrale Power-to-Gas-Lösungen lassen sich einfach realisieren. Diese sind zudem in ihrer Größe skalierbar, vom Kraftwerk bis zur kleinen Wohnanlage.
Emissionsfrei und hocheffizient – bei 90 Prozent Wirkungsgrad
In Augsburg funktioniert die Lösung so: Eine Photovoltaikanlage liefert Solarstrom für die Bewohnerinnen und Bewohner – und die Energie für das Power-to-Gas-Verfahren. Außer einem Blockheizkraftwerk wurden zudem Brennwertkessel und ein Wärmespeicher installiert, so dass auch die Abwärme in den Kreislauf mit einfließt. Insgesamt erreicht die Anlage so einen Nutzungsgrad von 90 Prozent.
BHKW Therme und CO2-Aufbereitungsanlage, Quelle: BDEW, Foto: Swen Gottschall
In Niedersachsen, im rheinhessischen Alzey und auch in der Schweiz plant Exytron ähnliche Projekte. „Quartierslösungen sind auch mit Power-to-Gas möglich – unsere Projekte in Augsburg, Alzey und Zürich werden das eindrucksvoll belegen“, sagt Klaus Schirmer aus dem Vertrieb- und Projektmanagement der Exytron GmbH. Und auch Karl-Heinz Viets, Leiter Energiedienstleistungen bei den Stadtwerken Augsburg, sieht großes Potenzial für die Versorgung von Gebäudeanlagen: „Wir erreichen mit diesem Projekt die Ziele der Bundesregierung für 2050. Was andere gerade mal im Neubau schaffen, schaffen wir im Bestand“, betont er.
Ganz schön bio: Kleine Helfer, hohe Konzentration
Kleine Mikroorganismen, sogenannte Archaeen, als Helfer beim Power-to-Gas-Verfahren: Das ist sogar patentwürdig. An der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) zeigt ein Forschungsprojekt, wie Wasserstoff im Rieselbettreaktor zu synthetischem Erdgas werden kann – mit besonders niedrigem Energiebedarf und in hoher Qualität.
Forschung seit 2011 – bereits 2013 patentiert
Elektrolyse und Methanisierung: Das sind die beiden Verfahren, mithilfe derer aus Wasser synthetisches Erdgas entsteht, das in unbegrenzter Menge ins Gasnetz eingespeist werden kann. Das Cottbusser Team beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie sich der zweite Schritt, die Methanisierung, optimieren lässt, hält seit 2013 sogar ein Patent. Der Rieselbettreaktor im Großtechnikum des Projektpartners GICON GmbH, einem Beratungs- und Engineeringunternehmen, ist wiederum seit 2015 in Betrieb. Seither entsteht dort aus Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid unter Luftabschluss Methan. Die speziellen Mikroorganismen kommen als Biofilm auf einem Trägerkörper zum Einsatz und übernehmen die Aufgabe der Methanbildung. Selbst im Langzeittest funktioniert das stabil.
Power-to-Gas-Anlage in der BTU Cottbus, Quelle: GICON GmbH
Setzt sich das Verfahren schon in naher Zukunft durch?
„Am Lehrstuhl Abfallwirtschaft erforschen wir schon seit 20 Jahren verschiedene organische Einsatzstoffe – nachwachsende Rohstoffe und Abfallstoffe – für die Methanisierung“, sagt Dr.-Ing. habil. Marko Burkhardt von der BTU. „Mit der Erprobung des Rieselbettverfahrens zeigen wir, dass dieses Reaktorkonzept eine sehr hohe Methankonzentration erreicht. Rieselbettreaktoren werden sich hoffentlich schon in naher Zukunft als Bestandteile von Power-to-Gas-Anlagen durchsetzen.“
Die Vorteile? Der Eigenbedarf des Verfahrens ist besonders niedrig, die Methankonzentration, die dabei erreicht wird, besonders hoch; sie kann bei bis zu 100 Prozent liegen. Das vereinfacht die sonst aufwändige Reinigung des Gases vor dem Einspeisen ins Gasnetz. Außerdem ist das Verfahren besonders flexibel. Auch Biogas kann als Kohlenstoffdioxidquelle herangezogen werden.
Post-EEG-Option: Biogasanlagen upgraden
Das Verfahren funktioniert also auch als Erweiterung für bestehende Biogasanlagen – und könnte für diese nach Auslaufen der EEG-Förderung zum Geschäftsmodell werden: Die Biogasanlagen liefern das Kohlenstoffdioxid, das für die Methanisierung gebraucht wird. Der Wasserstoff wiederum kann durch den Einsatz von Windstrom und mithilfe der Elektrolyse hergestellt werden. Der Rieselbettreaktor koppelt damit perspektivisch zwei Energiewende-Technologien, nämlich Windkraft und Biogas. Er sorgt dafür, dass sich diese noch effizienter und flexibler nutzen lassen. Und er bindet zugleich Kohlenstoffdioxid, das dadurch gar nicht erst in die Atmosphäre gelangt.
Die Cottbusser Anlage ist auch deshalb besonders vielversprechend, weil sich der Betrieb nahezu ohne Einbußen unterbrechen und wiederaufnehmen lässt – beste Voraussetzungen also, um die fluktuierende Erzeugung von Windkraftanlagen optimal zu nutzen.
Vielseitiger Wasserstoff: die Flaschen aus der Uckermark
Wo sich ein Windrad dreht, wird Strom erzeugt? Das stimmt auch im brandenburgischen Prenzlau. Doch im Hybridkraftwerk der ENERTRAG AG passiert noch mehr: Ein Teil des elektrischen Stroms wird hier genutzt, um direkt vor Ort klimaneutral grünen Wasserstoff herzustellen und in das Erdgasnetz einzuspeisen. Und auch zur Energiewende trägt die Anlage ihren Teil bei: Sie beweist, dass eine sichere und nachhaltige Versorgung mit Erneuerbaren Energien möglich ist – selbst wenn der Ertrag der Windkraft schwankt.
Nutzen statt Abregeln durch Wasserstoff
2011, als die Anlage ihren Betrieb aufnahm, wurde sie als weltweit erstes Wasserstoff-Hybridkraftwerk gefeiert. Sie besteht aus drei 2,3-Megawatt-Windkraftanlagen sowie einer Elektrolyseanlage, einer Biogasanlage und zwei Motor-Blockheizkraftwerken. Betrieben werden diese mit dem vor Ort erzeugten Biogas oder einem Biogas-Wasserstoffgemisch. Die entstehende Abwärme geht direkt ins Fernwärmenetz, der Strom aus Windkraft und Biogas wird ins Stromnetz eingespeist. Die eigentliche Innovation ist jedoch die Elektrolyseanlage, der sogenannte Elektrolyseur: Drehen sich die Windkraftanlagen auf Hochtouren, wird hier Wasserstoff hergestellt, der bis zur nächsten Flaute gespeichert oder ins Gasnetz eingespeist werden kann. Der Elektrolyseur nimmt 500 Kilowatt elektrische Leistung auf und hat einen Output von 120 Kubikmetern Wasserstoff pro Stunde.
Windkraft als sichere Regelenergie
Das Prenzlauer Hybridkraftwerk koppelt damit Strom- und Wärmeerzeugung – und es zeigt, wie Windkraft als verlässliche Regelenergie vermarktet werden kann, die auch Angebots- und Nachfrageschwankungen ausgleicht. Biogas und Wasserstoff sind dabei Flexibilitätsoptionen; Ziel ist es, dass die Anlage bedarfsorientiert ins Gasnetz einspeisen kann. Sie soll außerdem dazu beitragen, dass die Lastprognose – ein wichtiger Kennwert für die Steuerung des Stromnetzes, der den Stromverbrauch vorhersagt – verfeinert werden kann. Stimmt die, lässt sich auch die Stromproduktion besser managen. Die Technologie öffnet damit das Tor für die langfristige, an der nachfrageorientierten Vermarktung Erneuerbarer Energie.
Energie in der Flasche: zum Beispiel für Notstrom
H2-Tankanlage für Flaschen des Hybridkraftwerks in Prenzlau, Quelle: ENERTRAG AG
Seit 2014 wird in Prenzlau überschüssiger Wasserstoff ins Erdgasnetz eingespeist. 2016 entschloss sich der Betreiber ENERTRAG dann zu einer weiteren sechsstelligen Investition und erweiterte das Hybridkraftwerk um eine Abfüllanlage. Der Wasserstoff in Flaschen findet mittlerweile zahlreiche Abnehmer in ganz Deutschland. Er wird zur Betankung von Bussen, Pkw und Sportbooten, in industriellen Prozessen und zu Heizzwecken eingesetzt – so wie zur Verstromung, womit sich der Kreislauf dann schließt: Erster Kunde war 2016 die DB Bahnbau Gruppe GmbH, die den grünen Wasserstoff für ihre Notstromsysteme bezieht.