Grundsätzlich sieht Michael Hajesch, CEO bei der IONITY GmbH, die Entwicklung der Ladeinfrastruktur auf dem richtigen Weg. Schon heute kann man Langstrecken in Europa mit elektrischem Antrieb zurücklegen. Ein neues Ziel von IONITY ist die Versorgung des urbanen Raumes. Hier haben viele Autofahrer keinen eigenen Stellplatz und sind auf eine zuverlässige und leistungsfähige öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen. Bis 2025 will IONITY 5.500 weitere Ladestationen installieren. Allerdings erschweren unterschiedliche Vorschriften den Bau und den Betrieb von Ladeinfrastruktur. Daher ist – neben einer zielgerichteten Förderung und einer Beschleunigung von Genehmigungsverfahren – ein europaweit einheitlicher Rechtsrahmen eine wichtige Voraussetzung für den zügigen Ausbau der Lade- und Netzinfrastruktur. Um den Fortschritt zu messen, ist nicht die Anzahl Ladeeinheiten entscheidend, sondern die geografische Verteilung und die installierte Leistung.
Herr Hajesch, was sind die aus Ihrer Sicht wesentlichen Erfolgsfaktoren und Voraussetzungen, um die gesetzten Ziele zu erreichen?
Es gibt drei wichtige Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg der E-Mobilität entscheiden. Zum einen sind die Autohersteller gefordert, um die große Nachfrage der Kunden nach E-Autos bedienen zu können. Zum anderen brauchen wir natürlich eine entsprechende Ladeinfrastruktur. Hier leistet IONITY bereits heute europaweit einen entscheidenden Beitrag für die Langstrecke – mit mehr als 2.000 Ladepunkten in 24 Ländern. Als Drittes ist bei dem Thema die Politik am Zug: Wir brauchen einen stabilen Rechtsrahmen, der notwendige, massive Investitionen für ein langfristig nachhaltiges Geschäftsmodell wie den Aufbau und Betrieb von Ladesäulen ermöglicht. Ebenso benötigen wir Flächen, um das Ladenetz auszubauen. Hier muss Planungssicherheit geschaffen werden.
Wie schätzen Sie den daraus entstehenden Bedarf an Ladeinfrastruktur in Deutschland ein und wie kann das „Henne-Ei-Problem“ gelöst werden?
Wir sollten uns von diesem „Henne-Ei-Thema“ allmählich verabschieden, da die Anzahl der Ladestationen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Das Laden ist durch neue Möglichkeiten wie High Power Charging (HPC) viel schneller geworden und damit auch effizienter. Unser Netz erlaubt schon heute Langstreckenfahrten in Europa – ohne Angst haben zu müssen, dass man liegen bleiben könnte. Der nächste Schritt ist der urbane Bereich. Es gibt in den Städten sehr viele Menschen, die gerne elektrisch fahren würden, aber keinen eigenen Stellplatz haben. Wir planen daher bei IONITY, verstärkt Standorte entlang von Ein- und Ausfallstraßen in bzw. aus Städten abzudecken.
Inwieweit bereitet sich Ihr Unternehmen auf die steigende Nachfrage nach Lademöglichkeiten vor und inwiefern werden geplante Projekte bisher realisiert? In welchen Bereichen stoßen Sie auf Hürden oder Widerstände?
Bis 2025 planen wir den Ausbau auf 7.000 Ladepunkte – von derzeit gut 2.000. Die Zahl der IONITY-Standorte soll von 450 auf rund 1.000 steigen. Diese Zahlen belegen, dass wir Tempo machen beim Ausbau. Die Herausforderungen drehen sich in der Regel um drei Themen: geeignete Standorte, Vorlaufzeiten für Netzanschlüsse und Genehmigungsprozesse sowie regulatorische Vorgaben. Aktuell kommen natürlich die Probleme dazu, die fast alle Branchen betreffen: steigende Energiekosten, gestörte Lieferketten, Inflation. Das stellt im Moment eine große zusätzliche Herausforderung dar, aber wir lassen uns bei unseren langfristigen Planungen und dem großen Ziel des Durchbruchs der E-Mobilität davon nicht abbringen.
In welchen Bereichen muss in Deutschland noch nachgelegt werden, um die ambitionierten Ziele zu erreichen?
Deutschland ist kein einfaches Pflaster, was Bürokratie und Komplexität der Prozesse angeht. In den aktuellen Diskussionen nehmen wir wahr, dass die Anforderungen steigen und nur wenige Maßnahmen eine Beschleunigung oder Vereinfachung ermöglichen. Wir brauchen hier mehr Tempo.
Vier Punkte sind dabei besonders wichtig:
Erstens: einfache und zielgerichtete Maßnahmen, die den dringend benötigten Ausbau an Ladestationen unterstützen.
Zweitens: eine Harmonisierung der technischen Anforderungen, um Realisierungsprozesse zu beschleunigen. Bundesländerspezifische Anforderungen bringen zusätzliche Komplexität und bremsen den Ausbau aus.
Drittens: die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen, anstatt Aktenberge zu produzieren. Hier können wir durchaus von unseren europäischen Nachbarn lernen.
Und last but not least: die Priorisierung von Netzanschlussverfahren, um weitere Verzögerungen im Ausbau des Netzes zu vermeiden.
Die Bundesregierung definierte in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel von 1 Million öffentlichen Ladesäulen und untermauerte dies durch eine solide Ankündigung von Fördermitteln und einer Entbürokratisierung der Antragsverfahren. Wie schätzen Sie diese Zielmarke ein und mit welchem Zielsystem arbeitet ihr Unternehmen?
Konkrete Zielsetzungen helfen natürlich, Maßnahmen abzuleiten. Bei der Prognose der Bundesregierung von 15 Millionen Elektroautos im Jahr 2030 würde sich eine Ratio von 15 : 1 ergeben – also 15 Fahrzeuge pro Ladepunkt. Nur Ladepunkte zu zählen ist allerdings etwas zu einfach und nicht zielführend, weil unterschiedliche Ladepunkte sehr unterschiedliche Anforderungen abdecken. Ein AC-Ladepunkt mit 22 Kilowatt ist zum Beispiel allein aufgrund der Ladedauer nicht vergleichbar mit einem HPC-Ladepunkt mit 350 Kilowatt. Daher sind Zielgrößen zu bevorzugen, die weitere Parameter berücksichtigen, zum Beispiel der Ansatz über die installierte Ladeleistung im Verhältnis zu Fahrzeugen.
IONITY verfolgt einen zweistufigen Ansatz: zum einen die Verdichtung des Netzwerks; das heißt, wir stellen sicher, dass jede Langstrecke in Europa vollelektrisch gefahren werden kann; zum anderen der flexible Ausbau pro Standort: Mit durchschnittlich sechs HPC-Ladepunkten pro IONITY-Standort können wir flexibel um weitere Ladepunkte ausbauen, um die gesteigerte Nachfrage zuverlässig zu bedienen.
Wie sehen Sie das künftige Zusammenspiel aus öffentlicher Ladeinfrastruktur und Lademöglichkeiten im privaten, gewerblichen und halböffentlichen Bereich unter der Berücksichtigung dessen, dass laut BDEW in Deutschland ca. 85 Prozent der Ladevorgänge zu Hause oder beim Arbeitgeber, im sogenannten privaten Bereich, stattfinden?
Wie Sie in Ihrer Frage schon zum Ausdruck bringen, es kommt auf das Zusammenspiel der verschiedenen Lademöglichkeiten an. Die größte Herausforderung, die wir sehen, haben Menschen, die weder zu Hause noch beim Arbeitgeber laden können. Sie brauchen zusätzliche Ladeangebote im öffentlichen und halböffentlichen Raum – sogenanntes Convenience-Laden, zum Beispiel beim Fitnessclub oder Supermarkt. Zudem können HPC-Ladeparks, insbesondere in der Stadt, viele Ladevorgänge in kurzer Zeit abdecken. Das führt zu einer Entlastung bestehender Ladeinfrastruktur und ist eine wertvolle Ergänzung für die Kunden.
Haben Sie mit Ihrem Unternehmen Fördermittel abrufen können und diese auch erhalten? Wie bewerten Sie den Antragsprozess mit der Information, dass laut BDEW nur zwölf Prozent der bereitgestellten Mittel bisher abgerufen wurden?
IONITY hat zum Start des Rollouts von Ladesäulen an einem der Förderaufrufe der Bundes-regierung teilgenommen und hat auch Fördermittel erhalten. Die Herausforderung aber war, dass man mit der Errichtung einer HPC-Ladestation erst beginnen durfte, wenn der finale Förderbescheid vorlag. Dies war ein langwieriger Prozess und dem raschen Ausbau der dringend benötigten Ladeinfrastruktur sicher nicht zuträglich. Daher hat sich IONITY entschieden, im Zweifel nicht auf Förderbescheide zu warten, sondern die Infrastruktur auch ohne Unterstützung weiter zügig auszubauen.
Wie könnte aus Ihrer Sicht der Antragsprozess für Fördermittel verbessert und unbürokratischer gestaltet werden?
Insbesondere bei den Themen Vorlauf und Umsetzungsdauer gibt es sicher Verbesserungspotenzial. Zudem würde es Sinn machen, sich bei der Förderung auf den Netzanschluss zu fokussieren, da das ein reguliertes Geschäft ist und hier die Kosten klar festgelegt sind. Auch Pauschalen für die Installation von Ladepunkten halten wir für einen sehr zielgerichteten und effizienten Ansatz in Abhängigkeit von den installierten Leistungsklassen – von AC-Ladepunkt bis HPC-Ladepunkt. Wenn man dann noch das ganze Verfahren online abwickeln könnte, kämen wir der Entbürokratisierung schon ein ganzes Stück näher.
Was würden Sie an der Stelle der Bundesregierung mit Blick auf die bisherige Entwicklung des Ladeinfrastrukturausbaus tun?
Es gibt einen stark wachsenden Wettbewerb rund um den Ausbau von Ladeinfrastruktur. Der Bundesregierung sollte es jetzt darum gehen, neue Flächen auszuweisen, Genehmigungsprozesse zu vereinfachen und einen stabilen regulatorischen Rahmen zu schaffen, um beim Ausbau des Netzes Tempo zu machen – natürlich in Zusammenarbeit mit der EU. Insbesondere für Betreiber wie uns, die in ganz Europa aktiv sind, ist ein abgestimmter Rechtsrahmen auf EU-Ebene enorm wichtig.
Würden Sie den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter fördern oder die finanziellen Mittel primär für die Stärkung der Nachfrage nach Elektroautos nutzen?
Jede Förderung sollte primär dem Ziel dienen, Veränderungsprozesse im Dienste der Gesellschaft zu beschleunigen. Nur wenn gleichzeitig beide Elemente – Elektrofahrzeug und Ladeinfrastruktur – berücksichtigt werden, können die gesetzten CO2- und Dekarbonisierungsziele erreicht werden. In der aktuellen Markthochlaufphase müssen die Programme einfach, zuverlässig und pragmatisch aufgesetzt sein. Neben der Dekarbonisierung der Mobilität, als Teil der Mobilitätswende, muss natürlich auch die Energiewende weiter vorangetrieben werden.
Im Jahr 2015 wurde die Umweltprämie für Elektroautos eingeführt, in den darauf folgenden Jahren die Förderung von Ladestationen für Privathaushalte (2020), das Förderprogramm Ladeinfrastruktur sowie eine Aufstockung der Umweltprämie auf 6.000 Euro. Wie schätzen Sie die Ankündigung der Bundesregierung zur schrittweisen Reduzierung der Umweltprämie ab Anfang 2023 von derzeit 6.000 Euro auf 4.500 Euro (bei Fahrzeugwerten unter 40.000 Euro) und von 5.000 Euro auf 3.000 Euro (bei Fahrzeugwerten von 40.000 bis 60.000 Euro) für Elektrofahrzeuge ein?
Wichtig ist es, den Menschen und Unternehmen Verlässlichkeit und Stabilität zu geben. Ein neues Fahrzeug ist eine Anschaffung, die meist nicht von heute auf morgen entschieden, geschweige denn umgesetzt wird. Vor einer Reduzierung der Förderung muss geprüft werden, ob der politisch incentivierte Veränderungsprozess schon den Reifegrad erreicht hat, den man sich als Ziel gesetzt hat. Falls nicht, sollte man die Umweltprämie konsequent verlängern.
Welche Hemmnisse sehen Sie aktuell bei der Entwicklung und Ausbringung neuer Produkte im Zusammenhang mit Elektromobilität? Wie können die Branche oder die Politik diesen Hemmnissen entgegenwirken?
Die regulatorischen Vorgaben fokussieren sich sehr stark auf das „Laden wie Tanken“. Wir reden immer von „Energie- und Verkehrswende“, aber es soll eigentlich alles beim Alten bleiben. Das passt nicht so richtig zusammen. Laden ist NICHT Tanken. Laden eröffnet neue Möglichkeiten, da es an viel mehr Standorten realisiert werden kann – denken wir nur an die heimische Garage. Die Wende bekommen wir nur hin, wenn wir uns auch gedanklich weiterentwickeln, neue Geschäftsmodelle zulassen und für die Nutzer attraktiv machen.
Wie sehen Sie Deutschlands Infrastruktur gewappnet im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn?
Deutschland ist im Grunde sehr gut gewappnet, insbesondere entlang der Hauptverkehrsachsen – und das gleich in mehreren Punkten. Denn es gibt genügend Betreiber von Ladeinf-rastruktur, sodass die Elektro-Fahrer auf ein zunehmend breites Angebot von qualitativ hochwertigen Ladestationen zurückgreifen können. Es gibt auch eine große Auswahl an Mobilitätsanbietern, die die übergreifende Nutzung der Ladeinfrastruktur zu attraktiven Kondi-tionen zugänglich machen. Und das Stromnetz ist sehr zuverlässig und leistungsstark im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
Trotzdem: Auch in Deutschland muss das Netz weiter ausgebaut werden, um die stetig steigende Nachfrage in allen Bereichen bedienen zu können. Denken wir zum Beispiel allein an die Nutzfahrzeuge: Sie benötigen – langfristig prognostiziert, also bis 2040 und darüber hinaus – mehr Energie als die Pkw-Flotte.
Welche zentralen Erfahrungen haben Sie mit der Netzinfrastruktur in den Boom-Jahren 2021 und 2022 gesammelt?
Der Netzanschluss ist einer der kritischen Punkte beim Rollout von Ladesäulen, insbesondere der großen HPC-Ladeparks mit Mittelspannungsanschluss. Es gibt einfach viele Fragen, die beachtet werden müssen: Welche Netzanschlussleistung steht an einem Standort überhaupt zur Verfügung? Wann kann die benötigte Netzleistung bereitgestellt werden? Wie weit ist die Entfernung vom Netzanschlusspunkt zur Ladesäule? Wie lange dauert das Genehmigungsverfahren für den Netzanschluss? Es gibt in den 24 Ländern, in denen wir vertreten sind, unterschiedliche Antworten auf diese Fragen. Zusammenfassend kann man aber sagen, dass Netzanschlüsse immer längere Vorlaufzeiten brauchen, da es zunehmend Bedarfe aus anderen Sektoren gibt – insbesondere aus dem Energiesektor. Solar- oder Windparks benötigen ja ebenfalls einen Netzanschluss. Aktuell reden wir von Vorlaufzeiten von bis zu einem Jahr, nicht selten auch mehr. Was die Planung des Netzausbaus erschwert: Oft können wir Ladeinfrastrukturbetreiber heute noch nicht konkret sagen, wo wir in einem Jahr neue Netzanschlüsse benötigen, da dies von den verfügbaren Flächen abhängt. Eine knifflige Planungssituation, an der wir gemeinsam mit allen Stakeholdern arbeiten.
Herr Hajesch, vielen Dank für das Gespräch.
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