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Herausforderung Wärmewende

Ein Gespräch mit Christian Feuerherd (Vattenfall) zu aktuellen Fragestellungen im Wärmesektor, über Großwärmepumpen und neue Partnerschaften

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© Dmitry Kalinovsky / Shutterstock

Elektrifizierung verbreitet sich zunehmend im Bereich der dezentralen Lösungen und in der Fernwärme. Laut Christian Feuerherd, Vorstandsvorsitzender Wärme bei Vattenfall in Berlin, ist die Dekarbonisierung des Gebäudebestandes jedoch weiterhin ein großes Problem - hier wird es wichtig sein, alle relevanten Bereiche wie Gebäude-, Energie- und weitere Sektoren zusammen zu denken und vorhandene Ressourcen dort einzusetzen, wo sie am effizientesten sind. Das Osterpaket der Bundesregierung ist für den Wärmesektor nur ein kleiner Fortschritt. U.a. ist ein Abbau von Hindernissen wie Bürokratie und Personalmangel für die Planungs- und Genehmigungsverfahren notwendig, um die Geschwindigkeit der Transformation zu erhöhen.

Herr Feuerherd, bis 2030 setzt die Politik ehrgeizige Ziele zur Dekarbonisierung des Strom- und Wärmemarktes. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Handlungsfelder?
Die Erkenntnis der Politik, dass die Zukunft der Wärmeversorgung eher elektrisch sein wird, ist unstrittig. Der Ausbau der Erneuerbaren im Stromsektor muss daher bis 2030 zu 80 Prozent und bis 2035 zu 100 Prozent gelingen. Die daraus abgeleitete Technologie im Wärmesektor ist im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser und kleinerer Mehrfamilienhäuser vor allen Dingen die Wärmepumpe, die dann auf der Grundlage verschiedener Umweltenergiequellen eingesetzt werden kann: von der Umgebungsluft über oberflächennahe Geothermie bis hin zur Nutzung von Abwärme aus Abwasser.

Wie sehen Sie die Entwicklung bei größeren Gebäuden?
Insbesondere die großen Bestandsgebäude stehen im Fokus der Dekarbonisierung. Wir sind sehr froh, dass jetzt die Europäische Kommission die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) genehmigt hat, um damit den Ausbau von dekarbonisierten Wärmenetzen zu fördern, die für diese Objekte einen wichtigen Hebel zur Transformation darstellen. Auch bei den Wärmenetzen geht es genau wie bei Einfamilienhäusern insbesondere um elektrische Technologien. Hier sind primär Großwärmepumpen und andere „Power to Heat“-Anwendungen zu nennen, die in Anbetracht der steigenden installierten Leistung der Erneuerbaren die Kopplung zwischen Strom- und Wärmesektor ermöglichen können und Überschussstrom sinnvoll nutzen, anstatt abzuregeln.

Was hindert Sie noch an der konkreten Umsetzung von Projekten in dem Bereich?
Um den notwendigen Hochlauf in der anvisierten Geschwindigkeit zu realisieren, brauchen wir unbedingt deutlich schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dies gilt für alle Ebenen des Systems – vom Bund über die Länderebene bis hinunter in die einzelnen Kommunen. Dabei sind es gar nicht nur die Anforderungen des Gesetzgebers, die der Genehmigung im Wege stehen, sondern Probleme mit dem Genehmigungsprozess als solchem, die beispielsweise durch Bürokratie und Personalmangel hervorgerufen werden.

Darüber hinaus sehen wir im Wärmesektor seit Jahren ein großes Problem mit der Wärmelieferverordnung (WärmeLV). Die Idee, Mieter vor überhöhten Kosten bei der Umstellung auf eine gewerbliche Wärmelieferung zu schützen, unterstützen wir. Wenn ein Hauseigentümer das Objekt beispielsweise an ein Wärmenetz anschließen möchte, dürfen die neuen Heizkosten die Heizkosten der letzten Jahre nicht übersteigen. Eine dekarbonisierte Contracting- oder Fernwärmelösung war jedoch gegen die historisch niedrigen Preise für Gas, Kohle und Heizöl nicht sofort wettbewerbsfähig, was für ausbleibende Investitionen in die Dekarbonisierung der Gebäude sorgte. Wir stehen für eine Änderung der Wärmelieferverordnung im Sinne der Förderung des klimaneutralen Gebäudebestandes – das wäre echter Mieterschutz mit Zukunftsperspektive.

Wie stehen die Chancen, den Gebäudebestand bis 2030 klimaneutral zu versorgen?
Die Dekarbonisierung des Bestandes ist das vorrangige Problem. Der Gebäudebestand in Deutschland emittiert heute rund 120 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die Emissionen müssen bis auf 67 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2030 abgesenkt werden. Auf dem Weg dahin haben wir im Gebäudesektor, im Gegensatz zu anderen Sektoren, bislang noch kein Jahreszwischenziel erreicht. Deswegen ist es so wichtig, die Sektoren hier zusammen zu denken, um dieses anspruchsvolle Ziel überhaupt erreichen zu können.

Können Sie uns an einem Beispiel erläutern, was Sie mit „zusammen denken“ meinen?
Es wird nötig sein, den Endenergieverbrauch von Gebäuden zu senken. Die Beschränkung auf Einzelmaßnahmen wäre jedoch, auf den gesamten Gebäudebestand gesehen, volkswirtschaftlich kostenineffizient. Es braucht hier vielmehr eine politische Steuerung, welche die vorhandenen Ressourcen am effizientesten einsetzt


Christian Feuerherd, Vorstandsvorsitzender Wärme Berlin bei Vattenfall © Vattenfall


Dabei müssen wir Infrastrukturen und Sektoren zusammen denken. Vor allem die Kommunen müssen relativ schnell dafür Sorge tragen, dass es einen zielgerichteten, konsistenten Weg nach vorn gibt, der alle relevanten Akteure aus Gebäude-, Energie- und weiteren Sektoren mit einschließt. Der Ausbau des Stromnetzes und der Wasserstoffinfrastruktur sowie die kommunale Wärmeplanung sind die großen Projekte, die auf allen Ebenen durchdacht werden müssen – hier braucht es ein Miteinander statt eines Gegeneinanders, um am Ende eine erfolgreiche Lösung zu haben.

Trotz der aktuellen Hemmnisse und Probleme, in welchen Bereichen des Marktes haben Sie in den letzten Jahren Fortschritte gesehen?
Es gibt neben den ganzen Herausforderungen und Problemen in der Tat eine ganze Reihe von relevanten Entwicklungen, die wir bereits in der Vergangenheit beobachten konnten. Das BEW wird dafür sorgen, dass Technologien, die sich bislang aus ökonomischen Gründen nicht gegen bestehende Lösungen durchsetzen konnten, zunehmend einen Platz im System finden werden. Dazu zählen vor allen Dingen Wärmepumpen und „Power to Heat“-Anwendungen. Hierbei stellt die BEW nicht nur eine Förderung für die Anlagenerrichtung bereit, sondern auch eine Betriebskostenförderung, was zu einer noch größeren Verbreitung der Technologie beiträgt. Allerdings ist schon heute absehbar, dass das BEW dringend mit zusätzlichen Finanzmitteln ausgestattet und bis 2030 verlängert werden muss.

Der bereits erwähnte Grundsatz „Nutzen statt Abregeln“, also die Integration von „Power to Heat“-Anwendungen in die Wärmesysteme, ermöglicht eine Nutzung des überschüssigen erneuerbaren Stroms und wird bereits heute praktiziert. Diese Regelung läuft leider 2023 aus und sollte unbedingt bis 2030 verlängert werden.

Wo sehen Sie noch Bedarf zur Weiterentwicklung von Technologien oder zur Ausweitung der Anwendungen von Technologien?
Auf der Grundlage der heute bekannten Technologien können wir bereits ein konsistentes und zukunftsfähiges Energiesystem bauen. Insbesondere im Speicherbereich gibt es Technologiebausteine, die wir heute zwar kennen, die aber noch keine echte Marktreife haben. Bei Vattenfall haben wir zum Beispiel Salz- und Eisenspeicher ausprobiert. Da wird es sicherlich noch weitere Anstrengungen brauchen, um die technologischen und ökonomischen Optima zu ergründen.

An den Fortschritten im Bereich der Wärmepumpe sehen wir jedoch sehr deutlich, dass sich die Anstrengungen lohnen und hier noch viel Potenzial zur Weiterentwicklung vorhanden ist.

Was meinen Sie mit der Weiterentwicklung der Wärmepumpe genau?
Die Wärmepumpe hat in Deutschland leider noch immer einen schlechten Ruf. Im Neubau ist sie nicht mehr wegzudenken, aber im Bestand wird sie noch mit Zurückhaltung eingesetzt. Viele Leute denken, dass sie nur in gut gedämmten und mit Fußbodenheizung ausgestatten Gebäuden installiert werden kann, da die Vorlauftemperatur zu gering ist. Dieses Wissen ist veraltet: Für den Endnutzer im Gebäudebereich gibt es mittlerweile sogenannte Sanierungswärmepumpen, die effizient auch 70 Grad warmes Wasser in den Vorlauf einbringen können und somit auch mit alten Heizungssystemen kompatibel sind.

Wir selbst realisieren zusammen mit Siemens eine Hochtemperatur-Wärmepumpe am Potsdamer Platz in Berlin – dort erreichen wir bedarfsgerecht sogar noch höhere Temperaturen. Die Entwicklung befindet sich in vollem Gange und ist mit Blick auf Effizienzen und Kosten noch nicht am Ende angekommen.

Welche Entwicklungspotenziale in Bezug auf die Wärmewende sehen Sie noch in Ihrem eigenen Unternehmen?
Im Hinblick auf den Technologieeinsatz für die Wärmewende gibt es einige offene Themen, die wir noch weitertreiben müssen. Unsere Erfahrung aus der Errichtung und dem Betrieb mit Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen deckt nicht die Kompetenzen ab, die es für zukünftige Technologien wie die Großwärmepumpe braucht – da müssen wir in die Ausbildung unserer lokalen Teams investieren und uns im Rahmen von echten Projekten ausprobieren. Gleichzeitig muss das Wissen in der Organisation so verbreitet werden, dass es die Basis für zukünftige Projektentwicklung bildet. Wir haben hierfür Reallabore mit verschiedensten Technologiekombinationen, an denen wir genau diese Dinge ausprobieren. Partnerschaften sind hierbei ein wichtiger Schlüssel, auch außerhalb der Energiewirtschaft. Heutzutage sind die Lösungen viel kleinteiliger als das frühere Geschäft mit Großkraftwerken.

Muss sich Vattenfall noch stärker im Sinne der Sektorenkopplung öffnen?
Wir werden neue Partnerschaften eingehen, auch außerhalb der Energiewirtschaft. Mein Lieblingsbeispiel hierfür sind Partnerschaften mit Rechenzentrumsbetreibern. Deren Abwärme wird über das Dach abgeführt und wir sind ein neuer Abnehmer dafür. In der Vergangenheit war unser Geschäft häufig von klassischen Lieferantenbeziehungen abhängig. Die wird es in Zukunft sicherlich auch noch brauchen, aber eben auch sehr viel mehr Partnerschaften.

Wie sieht in der nahen Zukunft das Zusammenspiel von Wärmeversorger und lokalen Stakeholdern aus?
Das geht nur im engen Zusammenspiel mit den Kundinnen und Kunden vor Ort, mit der Industrie sowie weiteren Stakeholdern im Rahmen einer kommunalen Wärmeplanung. Auch für andere Zukunftstechnologien benötigt es hier ein geordnetes Zusammenspiel.

Eine weitere mögliche Zukunftstechnologie für klimafreundliche Wärme ist die Geothermie. Welches Potenzial sehen Sie in diesem Gebiet?
Das ist eine der Schlüsseltechnologien, vor allem die tiefe Geothermie. Leider tragen Geothermieprojekte Risiken in sich, die manchmal zu groß sind, um sie allein zu schultern. Manche Akteure wünschen sich eine Diversifikation dieser Risiken, verteilt auf verschiedene Träger. Spannend finde ich aber auch die Frage, ob die Unternehmen der Energiewirtschaft immer auch der Eigentümer und Betreiber der Geothermieanlage sein müssen oder ob es da nicht ganz andere Unternehmen gibt, die diese Aufgabe übernehmen. Wir wären dann als Wärmeversorger lediglich Abnehmer der Wärme aus der Anlage, die jemand anderem gehört und von ihm betrieben wird. Solche Konstellationen sind für uns in Zukunft durchaus denkbar.

Mit dem Osterpaket 2022 will die Regierung den Ausbau der Erneuerbaren noch mehr beschleunigen. Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Beschlüsse auf den Wärmesektor?
Das Paket kam in einer hektischen Zeit zustande. Aus Sicht der Wärme hat es noch nicht alle Bedürfnisse hinreichend gedeckt. Es hat zwar wichtige, aber eben nur kleine Impulse gesetzt. Das Osterpaket ist hauptsächlich ein wichtiger Hinweisgeber für das Thema Sektorenkopplung gewesen. Ausgelöst von den anvisierten Ausbauzielen der Erneuerbaren stellen wir uns auf wachsende Mengen fluktuierender Einspeisungen im Stromnetz ein. Genau dies löst wiederum Entwicklungen in der Wärme aus, sei es Power to Heat, Großwärmepumpen oder auch Energiespeicher und damit auch das Thema Wasserstoff.

Das Osterpaket war also wichtig, aber mein Gefühl ist, dass der Politik auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bewusst war, dass das noch zu wenig ist. Dies wurde deutlich, als das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zwei Tage nach der Verabschiedung des Osterpakets im Bundesrat bereits über neue Gebäudestandards diskutiert hat. Von daher gehe ich davon aus, dass noch ein umfassendes „Wärmepaket“ kommen wird, bei dem wir dann entsprechend die notwendigen Regularien und Anreize sowohl für den Wärmesektor als auch für den Gebäudesektor sehen werden.

Herr Feuerherd, vielen Dank für das Gespräch.


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