1. Welche Aufgaben haben Sie im BDEW?
Die Rahmenbedingungen für die deutsche Energie- und Wasserwirtschaft werden ja zum Großteil auf Ebene der EU entschieden. Der European Green Deal, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will, macht dies eindrucksvoll deutlich. Er gibt die Regeln vor für die weitere Umstellung des Energiesystems auf Erneuerbare Energien, aber auch für den zukünftigen Rahmen des Gewässerschutzes. Diese werden in den nächsten Jahren auch die Aufgaben, Herausforderungen und Chancen der KMU im BDEW entscheidend mitprägen.
Als Geschäftsführer der EU-Vertretung des BDEW setze ich mich deshalb mit meinem Team für die Interessen aller BDEW-Mitglieder gegenüber den EU-Institutionen (v.a. Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Rat der EU) ein. Durch unsere mit den Mitgliedern in den BDEW-Gremien abgestimmten Stellungnahmen, über den regelmäßigen persönlichen Austausch mit Vertretern der europäischen Institutionen und im Rahmen von BDEW-Veranstaltungen vertreten wir alle im Team der EU-Vertretung die Interessen unserer Mitgliedsunternehmen in den Verhandlungen und Diskussionen auf EU-Ebene. Zudem koordinieren wir die Arbeit des BDEW in unseren europäischen Verbänden Eurelectric, Eurogas, Hydrogen Europe, SGI Europe und EurEau.
Man darf sich das aber nicht als Einbahnstraße vorstellen: In Brüssel sind wir der BDEW, in Berlin „die Brüsseler“, die wiederum über die unterschiedlichen Ausgangslagen, aber auch über ebenfalls legitime Interessen und Ziele der Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Institutionen, aber auch anderer Stakeholder berichten. Eine ganz wichtige Aufgabe ist es deshalb immer, zuerst gleichsam als „Frühwarnsystem“ die europäischen Entwicklungen „nach Hause“ zu berichten und zu bewerten – in der BDEW-Hauptgeschäftsstelle, den Gremien und den Treffen der BDEW - Landesorganisationen und -Verbänden. Dazu zählt z.B. der wöchentliche Austausch mit den Landesgeschäftsführern.
2. Was sind für Sie die zentralen Herausforderungen für KMU in den kommenden 12 Monaten?
Zentral für die Arbeit in Brüssel ist, dass man eigentlich „das Gras wachsen hören muss“, also sich abzeichnende Entwicklungen und Legislativmaßnahmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennen muss, um gerade zu diesem frühen Zeitpunkt einen Vorschlag, der noch nicht vollständig ausgereift ist, im Interesse unserer Mitglieder begleiten zu können und den europäischen Gesetzgeber auf Verbesserungsmöglichkeiten hinweisen zu können. Die Themen, die heute auf europäischer Ebene diskutiert werden, führen morgen auf nationaler Ebene zu legislativen Änderungen.
In den kommenden Monaten wird z.B. weiterhin intensiv das sogenannte „Fit for 55 - Paket“ mit seinen insgesamt 12 Gesetzesvorschlägen (insbesondere zum Ausbau der EE, der Steigerung der Energieeffizienz oder der Modernisierung des Emissions-zertifikatehandels) sowie das Wasserstoff- und Gasdekarbonisierungspaket diskutiert werden, die die im letzten Jahr beschlossenen Klimaziele für 2030 und 2050 auch erreichen sollen. Beispielsweise sollen die Ziele zum EU-weiten EE-Ausbau bis 2030 von 32% auf mindestens 40% erhöht, die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Umrüstung der Gasverteilnetze zur Einbindung von erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen festgelegt oder die Vorgaben für den EE-Anteils in den Fernwärmesystemen angepasst werden. Geregelt werden sollen auch verbindliche Ausbauziele für und Anforderungen an öffentliche Ladeinfrastruktur, etwa mit Blick auf Bezahlsysteme und intelligentes Laden. Zudem wird gerade über die neuen Cy-bersicherheitsvorschriften für die kritischen Infrastrukturen verhandelt.
Im Sommer wird die Kommission außerdem mit ihrem Vorschlag für die Überarbeitung der kommunalen Abwasserrichtlinie eine grundlegende Richtung für den Rechtsrahmen der Abwasserwirtschaft der kommenden Jahre vorlegen. Alle diese Themen sind von hoher Relevanz für die KMU im BDEW. Auch wenn die EU-KMU-Definition, die öffentliche KMU ausschließt, von der Kommission weiterhin nicht überarbeitet wird, so haben wir es doch erreicht, dass sie in einigen für die Energie- und Wasserwirtschaft wichtigen Vorschlägen, wie z.B. jüngst zur Energieeffizienzrichtlinie, nicht mehr das entscheidende Kriterium für den Anwendungsbereich ist.
3. Wie stellen Sie sich die Energiebranche 2030 vor?
Viele der derzeit diskutierten Vorhaben auf EU-Ebene sind auf das Jahr 2030 ausgerichtet und setzen konkrete Zielvorgaben für die Energiewirtschaft um. So soll beispielsweise der Anteil der EE bis dahin mindestens 40% des Energieverbrauchs betragen und der THG-Ausstoß der gesamten EU gegenüber 1990 um mindestens 55% gemindert werden. 2030 ist also ein Schlüsseljahr für die europäische Energie- und Klimapolitik auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050.
Für die Energiebranche ist klar, dass gerade auch auf europäischer Ebene „Tempo“ gemacht werden muss und insbesondere die langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Erreichung dieser Ziele in den nächsten acht Jahren erheblich entbürokratisiert und beschleunigt werden müssen. Unsere Branche, und dabei ganz entscheidend auch die KMU als Rückgrat der Energiewende vor Ort, ist das Fundament und der „enabler“ des European Green Deal, und damit vor allem auch Treiber dieses Wandels. Ziel muss dabei sein, auch 2030 und darüber hinaus eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zu erhalten, die auf EE basiert und flankiert wird von zunehmend dekarbonisierten Gasen.
Im Energieversorgungssystem der Zukunft werden daher regelbare Wasserstoffkraftwerke als Partner der EE agieren, die die schwankende Stromerzeugung von Wind- und Solarenergie unterstützen und auch die Wärmeerzeugung jederzeit sicherstellen. Dieser wichtige Beitrag wasserstofffähiger Gaskraftwerke zur Energiewende muss somit zum Beispiel auch in der EU-Taxonomie anerkannt werden. Eine ganz wichtige Rolle kommt dabei auch dem Hochlauf einer europäischen Wasserstoffwirtschaft zu, um die Gasversorgung schrittweise zu dekarbonisieren und die saisonale Speicherung der EE zu ermöglichen. So wollen wir nicht nur das Fundament für die effektive Bekämpfung des Klimawandels schaffen, sondern auch die Zukunftsfähigkeit des Wirtschafts- und Industriestandortes Deutschland in Europa für das klimaneutrale Zeitalter sichern.