Die Transformation des Energiesystems und der beschleunigte Ausbau Erneuerbarer Energien tragen entscheidend dazu bei, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten zu verringern. Doch mit einem wachsenden Anteil dargebotsabhängiger Stromerzeugung aus Windenergie- und Photovoltaikanlagen steigt auch der Bedarf an flexiblen Lösungen, um Angebot und Nachfrage im Strommarkt jederzeit auszugleichen – insbesondere bei Stromüberschüssen oder Dunkelflauten.
Hierfür bieten sich unterschiedliche, sich ergänzende Technologien an: Neben Stromspeichern, die kurzfristig elektrische Energie speichern, Nachfrageflexibilitäten und Lastverschiebungen, sind auch Sektorkopplung (wie P2G od. P2H) und steuerbare Erzeugungskapazitäten in Form moderner und flexibler Gaskraftwerke erforderlich.
Aktuelle Marktbedingungen setzen zu wenige Investitionsanreize
Derzeit liefert der Strommarkt jedoch kaum ausreichende Anreize für Investitionen in solche steuerbaren Kraftwerke, da diese in einem zunehmend von Erneuerbaren Energien geprägten Stromsystem weniger Betriebsstunden aufweisen. Trotzdem sind diese Anlagen unverzichtbar, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund wird aktuell intensiv über verschiedene Kapazitätsmechanismen diskutiert, um den notwendigen Zubau flexibel steuerbarer Kapazitäten anzureizen. Die Implementierung eines Kapazitätsmechanismus ist neben der Ausschreibung von 20 GW Kraftwerksleistung auch im neuen Koalitionsvertrag verankert.
Der vom BDEW vorgestellte Integrierte Kapazitätsmarkt (IKM) schafft hierfür genau die nötige langfristige Klarheit für Investoren und ermöglicht gleichzeitig die Integration dezentraler und innovativer Flexibilitätsoptionen. Im IKM wird auf Basis staatlicher Verantwortung ein zentrales Absicherungsniveau festgelegt und die gesicherte Bereitstellung von Leistung zuverlässig vergütet. Für Unternehmen bedeutet dies mehr Planungssicherheit, verringerte Finanzierungsrisiken und langfristig günstigere Investitionskonditionen.
Der Integrierte Kapazitätsmarkt umfasst dabei alle Technologien und Lösungen. Er integriert etablierte Instrumente wie das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG), ist gleichzeitig offen für dezentrale Flexibilitäten und Speicherlösungen. Die Gutachtenden von Frontier Economics haben in der Studie „Einbindung von dezentralen Flexibilitäten in einen Integrierten Kapazitätsmarkt“ herausgearbeitet, dass ein umfassender Katalog von Optionen für zentrale Ausschreibungen besteht, um dezentrale Flexibilitäten zu berücksichtigen. Dies zeigt auch die in der Studie enthaltene quantitative Analyse bestehender Kapazitätsmechanismen in EU-Nachbarstaaten. Dadurch schafft der IKM stabile Investitionsbedingungen und stellt sicher, dass zentrale wie auch dezentrale Akteure, einschließlich innovativer Technologien, gleichberechtigt am Markt teilnehmen können.
Absicherungspflicht bietet keine ausreichende Planungssicherheit
Eine sogenannte Absicherungspflicht – also die Verpflichtung für Stromlieferanten, sich über Hedging-Produkte gegen Strompreisrisiken abzusichern – soll die Nachfrage nach solchen Absicherungsinstrumenten erhöhen. Anbieter dieser Produkte wären typischerweise Betreiber steuerbarer Kapazitäten, insbesondere Spitzenlasttechnologien wie Gasturbinen oder Batteriespeicher. Es ist zweifelhaft, ob eine solche Regelung überhaupt ausreichende wirtschaftliche Anreize für langfristige Investitionen in neue steuerbare Stromerzeugungsanlagen erzeugt. Hinzu kommt ein erheblicher regulatorischer und administrativer Aufwand: Die komplexe Überwachung der Einhaltung und Pönalisierung, die Entwicklung geeigneter Handelsprodukte sowie der Aufbau eines umfassenden Risikomanagements wären notwendig. Die Verpflichtung auf einen bestimmten Typ von Derivaten oder auf bestimmte Risikomanagementstrategien stellt zudem einen direkten Eingriff in die Unternehmensführung dar. Ein entsprechender Handel mit solchen Derivaten wurde bereits 2015 an der EEX eingeführt – German Intraday Cap Futures –, jedoch mangels Nachfrage wieder eingestellt.
Diese Produkte gelten als sehr komplex und da sie in der Regel als Finanzinstrumente eingestuft werden, ist für sie ein besonderes Risikomanagement erforderlich. Produkte mit dieser Komplexität werden oft „exotische Derivate“ genannt, um sie von Standardprodukten wie Futures und Forwards zu unterscheiden. Gerade für kommunale Versorger ist der Handel mit komplexen Finanzinstrumenten in der Regel durch die jeweiligen Gemeindesatzungen der Länder ganz oder teilweise untersagt oder unterliegen zusätzlichen aufsichtsrechtlichen Hürden der kommunalen Anteilseigner.
Ein Integrierter Kapazitätsmarkt bietet nicht nur einen verlässlichen Rahmen für Investitionen in gesicherte Leistung, sondern ist auch der effektivere und praxistauglichere Weg, um die Versorgungssicherheit in einem klimaneutralen Stromsystem dauerhaft zu gewährleisten.
Zusätzliche Unterstützung für die Einführung eines Integrierten Kapazitätsmarkts (IKM) dürfte vom geplanten „Clean Industrial State Aid Framework“ (CISAF) der Europäischen Kommission ausgehen. Der Entwurf sieht vor, staatliche Fördermaßnahmen für gesicherte Erzeugungskapazitäten – etwa im Rahmen eines Kapazitätsmarkts – beihilferechtlich zu erleichtern. Werden bei der Ausgestaltung bestimmte Kriterien erfüllt, erfolgt eine beschleunigte Genehmigung durch die Kommission. CISAF könnte damit eine zentrale Grundlage schaffen, um den IKM, zügig, rechtssicher und wirkungsvoll umzusetzen.
Hier finden Sie die Kurzstudie Einbindung von Dezentraler Flexibilität in einen integrierten Kapazitätsmarkt, das Papier Strommarkt – Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit sowie die Stellungnahme Strommarktdesign der Zukunft.