Frau Butz, in den letzten Jahren stellte besonders die Energiekrise eine Herausforderung für alle Unternehmen und Bürger in Deutschland dar. Inwiefern haben die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Energiemärkten andere Themen wie z. B. Maßnahmen zur Umsetzung der Dekarbonisierung bei den Stadtwerken beeinflusst?
Wir sind Betreiber eines großen Wärmenetzes in Hanau. Insgesamt haben wir bereits rund 80 Kilometer Wärmeleitung verlegt. Eigentlich war das Ziel, mit der Umsetzung des Transformationsplans zur Dekarbonisierung des Wärmenetzes zu beginnen. Durch die Energiekrise hat sich dies jedoch verzögert.
Auf operativer Ebene mussten wir angesichts von Preisbremsen viele Preisanpassungsschreiben an unsere Kundinnen und Kunden vornehmen und entsprechende Beschlüsse einholen. Dies haben wir mit einem engagierten Team geschafft und alle Fristen eingehalten. Alles, was darüber hinausgeht, wäre zu viel gewesen. Dadurch sind wir in vielen Dingen, die wir uns strategisch vorgenommen haben, mindestens ein halbes Jahr in Verzug geraten. Die Energiekrise hat insgesamt sehr viele prozessuale Anforderungen an die Mitarbeitenden gestellt, damit sind viele Maßnahmen für die Dekarbonisierung verzögert worden.
Welche Rolle spielt das Thema der Dekarbonisierung in Ihrer Kommune?
Die Stadt Hanau ist schon sehr früh dem Konvent der Bürgermeister beigetreten und hat sich verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu sein. Wir als Stadtwerke sind jetzt nachgezogen und haben auch einen CO2-Minderungspfad zur Klimaneutralität veröffentlicht. Damit wollen wir im Gleichklang mit der Stadt sein.
Wir haben allerdings auch schon im Jahr 2016 alle Produkte (Strom und Erdgas) für unsere Privat- und Gewerbekunden und städtischen Liegenschaften klimaneutral gestellt. Dies war erst einmal der größte Hebel, um die Stadt in ihrer Dekarbonisierung und bilanziellen Klimaneutralstellung zu unterstützen. Bei uns bekommen Sie seit 2016 keine Produkte, die nicht mit Öko-Zertifikaten und einer regionalen Komponente hinterlegt sind. Neben Erdgas sind wir im Jahr 2020 auch bei der Fernwärme dazu übergegangen, diese ebenfalls zumindest bilanziell klimaneutral zu stellen. Dies war allerdings nicht regional möglich, sondern mit Projekten in der Türkei, in Indien und Brasilien.
Welchen Schwerpunkt setzen Sie zur Erreichung der von der Bundesregierung vorgegebenen Dekarbonisierung des Wärmesektors? Welche Rolle spielt dabei eine dezentrale Wärmeversorgung?
Der große Hebel zur Dekarbonisierung liegt in der Heizungsfrage. 60 % der Heizungen in Hanau werden mit Erdgas betrieben. Unser Fokus liegt darauf, die Kundinnen und Kunden wo immer technisch und wirtschaftlich möglich an die Fernwärmeversorgung anzuschließen. Momentan bauen wir ein Kraftwerk inklusive dreier wasserstofffähiger BHKWs auf einer großen Konversionsfläche, auf der auch ein sehr großes Rechenzentrum von einem Investor errichtet wird. Ergänzt wird dies durch eine 10-MWPV-Anlage in der Nachbarschaft. Das Heizwerk liegt in der Nähe einer Ferngasleitung und auch das Wasserstoffkernnetz soll zukünftig dort vorbeiführen. Der große Vorteil ist, dass wir dadurch zukünftig auf Wasserstoff umstellen können, wenn dieser erst einmal verfügbar und wirtschaftlich nutzbar ist.
Es gibt aber natürlich auch Gebiete, die so weit weg sind von unserem Wärmenetz, dass die Anbindung an dieses Netz keinen wirtschaftlichen Sinn ergibt. Dort bietet sich eine dezentrale Wärmeversorgung an. In Hanau gibt es beispielsweise zwei Stadtteile, die durch den Main getrennt sind, dies sind prädestinierte Gebiete, um dort dezentral Wärme zu erzeugen.
Im Sinne der wirtschaftlichen Möglichkeiten, unsere CO2-Ziele in Hanau zu erreichen, wäre es unlogisch, das vorhandene Gasnetz vorschnell „rauszureißen“. Je nach Entwicklung beim Thema Wasserstoff denken wir natürlich auch über dezentrale Lösungen und die Versorgung mit Wasserstoff nach. Die strategische Entscheidung für diese Gebiete haben wir aber zunächst zurückgestellt und schauen uns die Situation erst einmal genauer an.
Ein bedeutender Faktor im Wärmesektor sind Heiztechnologien. Welche Heiztechnologien haben in Ihrer Kommune derzeit den größten Anteil? Welche Technologien werden im Jahr 2030 eine hohe Relevanz bei Neubauten und Bestandsanlagen haben?
60 Prozent der Heizungen in Hanau werden mit Erdgas betrieben. Aufgrund des vorhandenen Wärmenetzes haben wir ein großes Interesse daran, Kunden an unsere Fernwärmeleitung anzuschließen. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass wir für das Klimaziel 2040 pro Jahr 10 Kilometer Leitungen zubauen müssten. Momentan kommen wir auf jährlich 1,5 Kilometer, und das ist schon eine anstrengende Aufgabe für uns.
Das nötige Zubauziel schätzen wir technisch und finanziell zunächst als fast nicht erreichbar ein. Deshalb sorgt die Stadt Hanau über ihre Baugenehmigungen bei Neubauten dafür, dass ein Niedrigenergiestandard eingehalten wird. Zusammen mit einer Wärmepumpe kann so bereits viel erreicht werden. Wenn die Gebäude aber in der Nähe unserer Wärmeleitungen liegen, kann es auch günstiger sein, sie an unser Netz zu nehmen. Einige Gebiete werden aber sicherlich über die Wärmepumpe versorgt werden müssen. Anders ist es wiederum bei richtigen Neubauquartieren, dort wird es um die Quartiersversorgung im Gesamten gehen.
Bestandsheizungsanlagen sind ein schwierigeres Thema. Zum Teil bietet das Wärmenetz nicht die benötigte Verfügbarkeit. Ältere Gebäude könnten ebenfalls saniert werden, aber der Altbestand in Hanau ist groß. Nach unserer Einschätzung werden Wärmepumpen in Zukunft einen größeren Anteil ausmachen. Derzeit liegt in Hanau der Anteil der Wärmepumpen bei 6 Prozent, derjenige der Ölheizungen bei 8 Prozent. Da spielt uns das Thema der Verdichtung in die Karten, dann können wir zumindest den Austausch der Ölheizungen angehen. Dass wir aber bis 2040 auch jede Gasheizung abgelöst haben, das sehe ich personell gerade nicht, auch was verfügbare Kooperationspartner bei der Handwerkerschaft angeht. Daher bleibt unser strategischer Ansatz, erst einmal mit vergleichbar günstigen Hausanschlusskosten möglichst viele Kunden an unser Fernwärmenetz zu bekommen.
Welche Wärmepumpenart (Geothermie, Luft, Wasser, Abwasser; zentral, dezentral) sehen Sie im Jahr 2030 führend und warum? Wird es Unterschiede zwischen Neu- und Umbau geben?
Der Einsatz von Geothermie ist bei uns im großen Stil nicht möglich. Zum einen gäbe es Befürchtungen zu Erosionen der Bodenstruktur und zum anderen haben wir keinen Platz für eine Großwärmepumpe, das haben wir untersucht. Ansonsten stellen wir uns technologieoffen auf. Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie es in fünf Jahren aussieht. Wir prüfen da in alle Richtungen, und es ist ein Ergebnis der Wärmeplanung, wie die Struktur der Gebäude und der dort vorhandenen Leitungen zukünftig aussehen wird.
Welche strategischen und welche technischen Herausforderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang?
Strategisch macht mir das Personal die größten Sorgen. Unsere Stellen sind zwar besetzt, aber wir finden kaum weitere externe Handwerker wie Elektriker. Dies liegt schon allein am PV-Boom. Auch gibt es nicht genügend Auszubildende in den handwerklichen Berufen. Hinzu kommt die knappe Verfügbarkeit von Spezialmaterial und Technik. Das sorgt leider auch dafür, dass wir selten pünktlich sind. Ich glaube, das wird auch in absehbarer Zeit so bleiben. Als nächste Herausforderung sind wir dann wieder bei der Bürokratie. Aber das Thema ginge jetzt zu weit …
Welche Finanzierungsinstrumente (z. B. Bürgschaften, Fonds etc.) sind aus Ihrer Sicht sinnvoll, um die Wärmewende stemmen zu können? Wo sehen Sie die größten Hürden?
Wenn Sie die Stadt Hanau als Anteilseigner betrachten, sind wir ein Unternehmen mit einem steuerlichen Querverbund mit Ergebnisabführungsvertrag. In diesem Kontext ist es für uns fast nicht möglich, sämtliche Herausforderungen aus eigener Kraft zu stemmen.
Wir haben in den letzten Jahren von den Gesellschaftern Eigenkapital mit konkreten Anforderungen für Projekte erhalten. Zudem strukturieren wir auch rechtlich zur Arbeit in Projektgesellschaften um, beispielsweise wird die PV-Flächenanlage mittels einer Tochtergesellschaft mit einem strategischen Partner realisiert. Auch Bürgerbeteiligungsmodelle spielen eine immer größere Rolle. Sale-and-Lease-Back-PV-Anlagen haben wir ebenfalls im Portfolio. Hierbei pachten wir Dachflächen und bauen dort unsere eigenen Anlagen auf fremde Dächer. Dies betrifft sowohl städtische Liegenschaften als auch private. Grundsätzlich wäre dies in der Wärmesparte ebenfalls möglich. So versuchen wir mit einem großen Portfolio breit gestreut unsere Finanzierung für den Planungszeitraum sicherzustellen. Dabei müssen wir auch immer noch Altschulden mit im Blick behalten und auf unsere Finanzkennzahlen achten.
In unserer letztjährigen Stadtwerkestudie sind wir bereits darauf eingegangen, dass die Bundesländer unterschiedliche Verpflichtungen zur Wärmeplanung haben. Darauf hat die Bundesregierung reagiert und Ende 2023 das „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ verabschiedet, das seit dem 1. Januar 2024 in Kraft ist. Welche Auswirkungen hat das für Sie als Stadtwerke?
Keine. Nach dem Hessischen Energiegesetz waren wir schon zu einer Frist (bis Mitte 2026) verpflichtet. Diese Verpflichtung halten wir auch für sinnvoll. Natürlich entsteht dadurch ein bisschen Druck, aber die Idee, sich die Netze und die Infrastruktur anzuschauen und wirklich eine Bestandsanalyse zu machen, um die Herausforderungen der Energie- und Wärmewende auf dem Papier zu analysieren, das halte ich für richtig und gut. Die Wärmewende hilft uns auch bei vielen strategischen Entscheidungen weiter.
Zunächst haben wir uns den Ölheizungen und der Frage gewidmet, wo wir nachverdichten und wie die Ölheizungen im Sinne der Strategie 2040 durch klimaneutrale Alternativen ersetzt werden können. Damit wollten wir die Standorte der Ölheizungen und gleichzeitig weiße Flecken identifizieren, um in diesen Gebieten den Anschluss der Kunden an das Wärmenetz zu forcieren.
Welche Schritte haben Sie bereits im Zusammenhang mit den gesetzlichen Verpflichtungen zur Wärmeplanung unternommen? Wo sind Sie auf Hürden gestoßen?
Wir sind mit der Bestands- und Potenzialanalyse fertig. Jetzt muss die Kommune ihre Wärmeplanung schreiben und ihre Conclusio aus diesen Analysen ziehen, die sie aber auch mit den rechtlichen Vorgaben abgleichen muss. Dazu zählt auch die Bestimmung von Vorranggebieten. Auch die Kundinnen und Kunden möchten Klarheit. Diesbezüglich sehen wir aber im Moment, dass wir auf der Zeitschiene ein großes Problem haben. Jeder klopft hier an und fragt, ob wir ausbauen und ob man sich darauf verlassen kann, dass die Wärme kommt. Solche Zusagen können wir eigentlich noch nicht geben, denn wir wollen zuerst rechtlich verbindliche Aussagen abwarten.
Gleichzeitig sollen wir uns zeitlich festlegen, und das am liebsten schnell, um den Bürgerinnen und Bürgern heute schon Sicherheit zu geben, wie ihre Heizung übermorgen aussieht. Es sind alle schrecklich nervös. Das legt sich aber zunehmend. Wir kommunizieren unsere Entscheidungen bereits so früh wie möglich, um Hürden vorwegzunehmen.
Welche nächsten Meilensteine haben Sie geplant?
Wir werden noch einmal das Thema Machbarkeitsstudien angehen und konkret für kleinere Gebiete betrachten, da sind wir auch wieder beim Thema Wasserstoff oder Quartiersversorgung. Die Besonderheit in Hanau ist, dass Großindustrie existiert. Daraus ergibt sich für uns eine weitere Frage, wenn
Wasserstoff erst einmal verfügbar ist und wir eine Leitung zu den Großkunden haben. Teilweise verwenden einige Unternehmen schon Wasserstoff, der per Lkw geliefert wird. Diesen können wir theoretisch durch unsere Leitungen führen und Quartiere anschließen und ein Verteilnetz aufbauen. Das gilt aber nicht immer gleich für ganz Hanau.
Deshalb haben wir Vorranggebiete bestimmt, in denen wir konkrete, geförderte Machbarkeitsstudien zur Bedeutung von Wasserstoff durchführen. Dies ist unser nächster Schritt. Die Stadt muss dann bis zum Jahr 2026 rechtsverbindliche Antworten liefern und die Wärmeplanung veröffentlichen. Die Machbarkeitsstudien geben uns die Möglichkeit zu erkennen, was in Hanau möglich ist, um die Stadt richtig beraten zu können.
Wir sind überzeugt, dass dies der einzige gangbare Weg ist. Es wäre dramatisch, wenn eine Stadt Festlegungen trifft und die Rechnung ohne den Wirt macht. Schließlich kann der Eigentümer der Netze am besten beurteilen, wie diese konstruiert und wozu sie in der Lage sind.
Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das?
Planungssicherheit, klare Förderkulisse und Geschwindigkeit. Mit diesem Thema sind wir auch wieder beim Bürokratieabbau. Wir sehen den Willen und es gibt auch Vorzeigeprojekte, uns ist jedoch noch nicht klar, wie die Fördertöpfe im Detail bestückt sind. Es muss nicht immer alles gefördert werden, das ist kein Allheilmittel. Für uns ist es wichtig zu wissen, welcher Weg der wirtschaftlichste ist, um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Das würde uns sehr helfen. Dazu zählt, Klarheit zum KWKG, zur BEW oder allgemein hinsichtlich der Wärmenetze zu bekommen. Hinzu kommt das Thema eines verlässlichen Zeitrahmens, damit wir unsere Strategien entsprechend anpassen können.
Frau Butz, vielen Dank für das Gespräch.
Martina Butz
ist seit Mai 2019 Alleingeschäftsführerin der Stadtwerke Hanau GmbH. Sie ist u. a. Vorsitzende des Vorstandes des LDEW Hessen und Mitglied des Vorstandes von BDEW, VKU und WVK, Präsidiumsmitglied des VhU sowie Teil der Vollversammlung der IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern.
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