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"Empfehle hohe Transparenz in Zusammenarbeit mit Projektträgern."

Klimaneutrale Wärme bis 2035? Unter den jetzigen Rahmenbedingungen unrealistisch, sagt Oliver Brünnich von den Stadtwerken Rostock. 

Portrait Oliver Brünnich, Vorstandsvorsitzender der Rostocker Stadtwerke

© Stadtwerke Rostock

Herr Brünnich, die Hanse- und Universitätsstadt Rostock hat sich vorgenommen, die Wärmeversorgung bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu gestalten. Wie realistisch ist das aus Ihrer Sicht und was sind die nächsten Schritte?
Wir haben schon viel erreicht: Als eine der ersten Großstädte Deutschlands hat Rostock bereits 2022 einen Wärmeplan beschlossen. Mit unserem Wärmespeicher und der Power-to-Heat-Anlage haben wir bereits zwei Meilensteine gesetzt. Doch das ist erst der Anfang der Transformation. Dieser Prozess wird sicherlich noch über mehrere Jahrzehnte andauern. Dazu werden wir schrittweise neue Erzeuger in unser System einbinden, die klimaneutrale Wärme erzeugen und den erforderlichen Netzausbau vorantreiben. Das Ziel, die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen, halte ich unter den jetzigen Rahmenbedingungen für unrealistisch.

Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie als Versorger, damit Sie das Ziel der Klimaneutralität erreichen können?
Die Politik sollte vor allem für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen, um die Investition in erneuerbare und klimafreundliche Energien zu fördern. Wir reden hier über Anlagen, die Jahrzehnte laufen sollen. Dafür brauchen wir langfristige Planungssicherheit. Um nur ein Beispiel zu nennen: Entscheidungen wie der Antragsstopp beim Klima- und Transformationsfonds, der sich nach gerichtlicher Überprüfung als nicht verfassungskonform erwiesen hatte, werfen uns um Monate zurück.

Die Stadtwerke gewährleisten eine sichere und verlässliche Energieversorgung der Bevölkerung. Das ist eine Kernaufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge. Gleichzeitig sollen Strom, Gas und Wärme für unsere Kundinnen und Kunden bezahlbar bleiben. Und natürlich gilt bei alldem: Die Investitionen müssen sich rechnen. Auch deshalb ist die Politik gefragt, wenn es um die Finanzierbarkeit der Energiewende geht.

Wir haben in Zukunft deutlich höhere Kapitalbedarfe. Weitere Kreditaufnahmen führen zwangsläufig zur Senkung unserer Eigenkapitalquote und machen eine Eigenkapitalstärkung notwendig. Zusätzlich sind auch umfangreiche Fördermittel erforderlich, die über die derzeitigen Volumina hinausgehen.

Vor allem für die Wärmewende sind enorme Investitionen notwendig. Wie stellen Sie die Finanzierung sicher und welche Hürden gibt es bei der Beschaffung von Fremdkapital?
Die Wärmewende gibt es nicht zum Nulltarif. Für die klimaneutrale Wärmeversorgung von Rostock rechnet der kommunale Wärmeplan bis 2035 mit Investitionskosten von 1,4 Mrd. Euro. Deshalb brauchen wir erhebliche Mittelzuflüsse von innen, aber insbesondere von außen. Allerdings wird die Einhaltung finanzieller Covenants künftig zu einer Herausforderung.

Erste Schritte zur Eigenkapitalstärkung durch Gewinnthesaurierung haben die Stadtwerke Rostock unternommen. Natürlich verlangt das im Vorfeld eine Menge Überzeugungsarbeit und intensive Gespräche mit den Gesellschaftern und der Kommunalpolitik. Aus Gesprächen mit Banken wissen wir auch, dass das erforderliche Investitionsvolumen zur Energiewende nicht von den Banken allein gestemmt werden kann, beispielsweise aufgrund der Anforderung an Finanzinstitute bezüglich Eigenkapitalunterlegung aus den Basel-Kriterien. Neben konventionellen Hausbankdarlehen und Kommunalkrediten prüfen wir auch alternative Optionen für die Finanzierung der Wärmewende. Dafür tauschen wir uns regelmäßig mit Finanzdienstleistern aus und informieren unsere Stakeholder mit größtmöglicher Transparenz über unseren Transformationspfad und die finanzielle Unternehmensentwicklung.

Welchen Stellenwert haben Fördermittel in diesem Zusammenhang?
Um die anstehenden Investitionen zu realisieren, sind staatliche Förderhilfen zwingend erforderlich. Wir nutzen schon jetzt verschiedene KfW- oder BEW-Förderprogramme. Ich würde mir wünschen, dass die Regierung Förderprogramme stärkt und bürokratische Hürden abbaut. Vereinfachte Antragstellungen und Nachweispflichten können dabei helfen.

Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit, Bezahlbarkeit – das energiepolitische Dreieck. Gerade mit Blick auf die notwendigen Investitionen: Wie halten Sie hier in Zukunft die Balance?
Die Basis dafür liegt in unserem Wärmeplan. Hier suchen wir das Optimum für bezahlbare, sichere und umweltschonende Wärme. Dies wurde schon bei der Erarbeitung berücksichtigt. Denn die Klimaschutzleitstelle der Stadt Rostock brachte verschiedene Stakeholder in der Projektgruppe zusammen, um allen Interessen Gehör zu verschaffen. Es gibt keine Pauschallösung über alle Versorgungsgebiete. Wir reden hier immer von Abwägungsprozessen, um optimale Lösungen mit Stakeholdern wie z. B. den Wohnungsunternehmen oder der Kommune zu erreichen.

Welche relevanten Technologien im Wärmesektor haben zukünftig eine große Bedeutung? Wie sehen hierzu die konkreten Pläne in Ihrer Kommune beziehungsweise Stadt aus?
Für jedes Quartier gilt: Es kann nur eine Technologie geben. Entweder wir bauen dort die Fernwärme aus oder wir erweitern die Leistung des Stromnetzes für moderne Wärmepumpen. Im Rostocker Wärmeplan haben wir das für alle Stadtgebiete ermittelt. Der Fernwärmeausbau spielt dabei eine zentrale Rolle. Im urban verdichteten Raum ist das vordringlich. Deshalb werden wir dort die Fernwärmenetze schnellstmöglich ausbauen.

Auf der Erzeugerseite bereiten wir die Umsetzung der nächsten sogenannten No-Regret-Maßnahmen aus dem Wärmeplan vor. Darunter verstehen wir Investitionsentscheidungen, die in jedem Szenario auf dem Weg zur Klimaneutralität ökonomisch und ökologisch sinnvoll sind.

Unser nächstes Projekt ist der Bau einer Abwasserwärmepumpe auf dem Gelände der größten Kläranlage von Mecklenburg-Vorpommern. Weitere Optionen sind die Abwärmegewinnung aus der Müllverbrennung sowie die Einbindung eines Erdbeckenspeichers. Auch die geplanten Elektrolyse-Projekte im Rostocker Hafen bieten sich mit ihren großen Abwärmepotenzialen an.

Welche Wärmepumpenart (Geothermie, Luft, Wasser, Abwasser; zentral, dezentral) sehen Sie im Jahr 2030 führend und warum? Wird es Unterschiede zwischen Neu -und Umbau geben?
Ich rechne damit, dass sich Wärmepumpen sowohl bei der zentralen Erzeugung für Wärmenetze als auch bei dezentralen Einzelanlagen durchsetzen werden. Wie hoch ihr Anteil 2030 sein wird, hängt maßgeblich von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, der Ressourcenverfügbarkeit und den Förderbedingungen ab.

Besonders wirtschaftlich wird die Wärmepumpentechnologie dort sein, wo sie Wärmepotenziale mit höheren Temperaturen als der Außenluft während der Heizperiode verfügbar machen kann. Solche Wärmequellen sind beispielsweise die unvermeidbare Abwärme aus Industrieprozessen und Rechenzentren oder die Nutzung von Tiefengeothermie. Solche effizienten Wärmequellen sind jedoch mit Einzelanlagen für Kunden kaum nutzbar. Deshalb können Fernwärmenetze hier ihren großen Vorteil ausspielen. Beim Einsatz von Wärmepumpen im Neu- oder Umbau spielt der spezifische Wärmebedarf des Gebäudes eine wichtige Rolle.

Bei Bestandsgebäuden in urban verdichteten Gebieten kommt der Vorteil von zentralen Wärmepumpenlösungen in Fernwärmenetzen zum Tragen. Sie können die höheren Wärmebedarfe effizienter decken als Einzellösungen.

Die Stadt Rostock ist Vorreiter bei der Wärmeplanung. Wie waren Sie als Versorger bei der Erstellung der Wärmeplanung eingebunden und wie lief die Zusammenarbeit mit der Stadt?
In Rostock entstand der Wärmeplan auf der Basis des „Masterplans 100 % Klimaschutz“, den die Rostocker Bürgerschaft 2014 beschlossen hatte. Initiator des Wärmeplans war die Klimaschutzleitstelle des Rostocker Umweltamtes. Sie beantragte 2017 Fördergelder für Erstellung des Wärmeplans. Vom Start der Projektgruppe bis zum Beschluss des Wärmeplans vergingen etwa zwei Jahre.

In der erweiterten Projektgruppe befanden sich neben uns als Stadtwerken auch Vertreter unterschiedlichster Interessen, die von der Transformation der Wärmeversorgung betroffen sind oder sie gestalten: beispielsweise die Wohnungswirtschaft, Mitglieder des Lehrstuhls für Technische Thermodynamik der Universität Rostock und des Agenda 21-Rates, verschiedene Ämter sowie Verbände, Politik und Experten für unterschiedliche klimaneutrale Erzeugungstechnologien. Es gab auch Bürgerbeteiligungen mit mehreren Foren und Veranstaltungen, um die Rostockerinnen und Rostocker in die Wärmeplanung einzubinden.

Welche Ratschläge können Sie den Kommunen und Stadtwerken mit auf den Weg geben, die bei der Wärmeplanung noch ganz am Anfang stehen?
Wichtig ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die unterschiedliche Interessenlagen transparent macht und berücksichtigt: Die Stadtwerke Rostock waren von Anfang an ein wichtiger Partner der Kommune, weil wir schon 66 Prozent aller Haushalte in Rostock mit Fernwärme versorgen.

So konnten wir gleich von Beginn an unsere Expertise einbringen. Ich empfehle anderen Stadtwerken eine hohe Transparenz in der Zusammenarbeit mit den Projektteilnehmern. In Rostock konnten die Beteiligten wie Stadtplanungsämter, Vertreter der Bürgerschaft oder Wohnungswirtschaft auf diese Weise während der Wärmeplanung ein großes Verständnis für die Vorteile der Fernwärme im verdichteten Stadtgebiet entwickeln.

Noch ein kleiner Blick in die Zukunft: Erwarten Sie, dass Ihr Unternehmen zukünftig eher mehr oder weniger Dienstleistungen für die Stadt übernehmen wird oder wird es keine Veränderungen zum Status quo geben?
Wir rechnen damit, dass die Dienstleistungen eher zunehmen werden, die wir für die Stadtverwaltung leisten, beispielsweise beim Bau und Betrieb von Photovoltaik-Anlagen auf städtischen Gebäuden, der Verteilung und Vermarktung des erzeugten Stroms und dem Betrieb von Ladeinfrastruktur für städtische E-Fahrzeuge. Auch bei der Vernetzung von städtischen Gebäuden mit Glasfaser und beim Betrieb von WLAN an öffentlichen Plätzen werden wir die Kommune weiterhin unterstützen.

Herr Brünnich, vielen Dank für das Gespräch!


Oliver Brünnich

ist seit 2013 Vorstandsvorsitzender der Rostocker Stadtwerke. Im gleichen Jahr übernahm er die Geschäftsführung der Rostocker Versorgungs- und Verkehrs-Holding GmbH. Im Jahr 2004 stieg er als Vorstandsmitglied bei den Rostocker Stadtwerken ein.


 „Größte Hebel zur Dekarbonisierung liegt in der Heizungsfrage.“ - Martina Butz, Geschäftsführerin der Stadtwerke Hanau, über die Herausforderungen der Wärmeplanung.

 "Nicht in Scheindebatten wie eFuels verlieren." - Michael Homann, Vorsitzender der Stadtwerke Karlsruhe, zu Klimazielen und Wärmewende.

 "Stadtwerke durch regionale Fokussierung die idealen Ansprechpartner." - Florian Bieberbach über die Rolle der Stadtwerke München bei der Energiewende und der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung.


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