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Stresstests zur EU-Energiesicherheit: Kommission plädiert für marktbasierte Maßnahmen

Die Europäische Kommission hat am 16. Oktober 2014 die Ergebnisse der Stresstests zur Sicherheit der Gasversorgung im kommenden Winter und einen Evaluierungsbericht zur Gasversorgungssicherheitsverordnung (SoS-VO) vorgelegt.

Am 16. Oktober 2014 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung mit den Ergebnissen der Stresstests zur Energiesicherheit im kommenden Winter zusammen mit einem Bericht zur Umsetzung der Gasversorgungssicherheitsverordnung (SoS-VO) vorgelegt. Die Mitteilung beinhaltet Empfehlungen zur Vermeidung möglicher Versorgungsengpässen, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind, und wird durch spezifische Empfehlungen für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten und EU-Nachbarländer ergänzt. Die Stresstests gehen zurück auf den Beschluss des Europäischen Rates vom 26./27. Juni 2014 und die Mitteilung der Kommission zur EU-Energiesicherheitsstrategie vom 28. Mai 2014, die der BDEW in einem umfassenden Positonspapier bewertet hat.

Die Stresstests basieren auf einem Modell der europäischen Vereinigungen der Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSOG) und analysieren die Versorgungssituation der Mitgliedstaaten und weiterer europäischer Länder (Schweiz, Türkei, Georgien und die Vertragsstaaten der Energiegemeinschaft) für den Fall einer Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland bzw. des Gastransits über die Ukraine im Zeitraum September 2014 bis Februar 2015.

Deutschland gut vorbereitet, beträchtliche Auswirkungen in Osteuropa möglich

Insgesamt kommt die Kommission in den Stresstests zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland selbst bei einer länger andauernden Unterbrechung der Lieferungen aus Russland in einem normalen Winter vermutlich nicht zu großen Problemen kommt. Im Gegensatz dazu rechnet sie bei einer längeren Versorgungsunterbrechung mit beträchtlichen Auswirkungen auf die östlichen EU-Mitgliedstaaten und die Länder der Energiegemeinschaft (die Balkanstaaten, die Ukraine und die Republik Moldau) - trotz der erheblich verbesserten Vorkehrungen seit den Lieferunterbrechungen in den Jahren 2006 und 2009. So würden Finnland, Estland, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien mindestens 60 Prozent ihrer Gaslieferungen nicht erhalten.

Zur Minimierung der Auswirkungen einer möglichen Lieferunterbrechung empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten grundsätzlich, marktbasierte Ansätze voll auszuschöpfen und erst im Notfall auf nicht-marktbasierte Maßnahmen als letztes Mittel zurückzugreifen. Dazu beinhalten die Stresstests zum einen an alle Mitgliedstaaten gerichtete Handlungsempfehlungen, die sich im Wesentlichen auf die Umsetzung bestehender Gesetzgebung und die Ausschöpfung kurzfristig zur Verfügung stehender Abhilfemaßnahmen beschränken. Zum anderen beinhalten die Stresstests spezifische Empfehlungen für die im Falle einer Lieferunterbrechung am stärksten betroffenen Länder.

Überarbeitung des Rechtsrahmens für die Versorgungssicherheit bei Gas und Strom

In ihrem Bericht zur SoS-VO bewertet die Kommission die darin vorgesehen Maßnahmen insgesamt positiv, kritisiert aber die mangelnde Umsetzung einzelner Aspekte in einigen Mitgliedstaaten sowie den mitunter starken nationalen Fokus der von den Mitgliedstaaten zu erstellenden Risikobewertung und ihrer Präventions- und Notfallpläne. Auch gebe es eine Reihe offener Fragen, zum Beispiel im Hinblick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Definitionen von geschützten Kunden im Krisenfall.

Vor diesem Hintergrund plädiert die Kommission dafür, die SoS-VO zu überarbeiten und dabei u.a. folgende Punkte zu prüfen:

  • Versorgungsstandard: Verbesserung der Durchsetzung und ggf. Verschärfung des bestehenden Standards z.B. durch eine Verlängerung der Mindestversorgungsdauer von bisher 30 Tagen,

  • Infrastrukturstandard: Einführung zusätzlicher Kriterien neben der N-1-Regel, 

  • Einrichtung von Flussumkehr: Ausweitung der Flussumkehrmöglichkeiten, insbesondere zur Verbesserung der Transportmöglichkeiten von West- nach Osteuropa,

  • Risikobewertung, Präventiv- und Notfallpläne: Einführung eines verbindlichen Formats und Stärkung der regionalen Kooperation z.B. durch regionale Pläne und Einrichtung eines europäischen Krisenkoordinationszentrums.

  • Koordinierung der Notfallmaßnahmen auf EU-Ebene zur Gewährleistung der Konsistenz nationaler Maßnahmen.

Darüber hinaus strebt die Kommission im Rahmen der Energiesicherheitsstrategie an, zentrale Mittelfristziele für die Versorgungssicherheit für Gas und Strom zu definieren.

Bewertung und BDEW-Position zur Energiesicherheitsstrategie

Aus Sicht des BDEW betont die Kommission in der Mitteilung zu Recht, dass ein marktwirtschaftlicher Ansatz die sichere Erdgasversorgung am besten gewährleisten kann - in engem Zusammenspiel mit den zuständigen Aufsichtsbehörden. Auch teilt der BDEW die Auffassung der Kommission, dass staatliche Eingriffe in den Markt deshalb nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Da die Gaswirtschaft in den einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich strukturiert ist und sich die regionalen Gegebenheiten unterscheiden, ist es zudem sinnvoll, dass die Kommission für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten spezifische Empfehlungen vorgelegt hat.

Mit Blick auf die Energiesicherheitsstrategie hat der BDEW ein ausführliches Positionspapier erarbeitet, in dem die Mitteilung der Kommission vom 28. Mai 2014 und die darin enthaltenen mittel- bis langfristigen Maßnahmen bewertet werden. Darin fordert der BDEW u.a. folgende Punkte:

  • Die Regelungen des Dritten Binnenmarktpakets sollten vollständig in allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

  • Dem Ausbau der Energieinfrastruktur in Europa kommt dort, wo er für einen funktionierenden Binnenmarkt erforderlich ist, eine Schlüsselrolle zu.

  • Auf Basis bestehender Berichtspflichten sollte der Binnenmarkt durch Erhöhung der Transparenz gestärkt werden; von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Einkaufsgemeinschaften widersprechen aus Sicht des BDEW den zielführenden Bestrebungen zur Liberalisierung der Energiemärkte.

  • Das gemäß Erdgas-Versorgungssicherheits-Verordnung (Erdgas-SoS-VO) bestehende Instrumentarium sollte den Anforderungen entsprechend in den jeweiligen Mitgliedstaaten individuell angewendet werden; der bewährte dreistufige Gemeinschaftsmechanismus (1. Erdgasunternehmen, 2. Mitgliedstaaten, 3. EU) ist zu bewahren.

  • Eine intensivere europäische Koordinierung im Hinblick auf die Umsetzung der Erdgas-SoS-VO (Risikobewertungen, Präventions- und Notfallpläne) ist zu begrüßen; ohne festgestellte Notwendigkeit und Prüfung des positiven Effekts für die Versorgungssicherheit sollte von der Einführung weiterer Notfallmechanismen abgesehen werden.

  • Eine zügige und stringente Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie kann zur Senkung des Energieverbrauchs und damit zur Reduktion des Importbedarfs beitragen.

  • Der Ausbau Erneuerbarer Energien kann zur Energiesicherheit beitragen. Um ein fester Bestandteil im europäischen Energiemix zu werden, muss die Markt- und Systemintegration vorangetrieben werden.

  • Die Europäische Kommission kommt zu dem Schluss, dass die europäische Energieversorgung einen äußerst ausgewogenen Energiemix vorweisen kann. Der BDEW befürwortet deshalb insbesondere in der Stromerzeugung den technologieoffenen Einsatz eines breiten Energieträger-Mixes.

  • Wichtig bleibt eine klare Abgrenzung der Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen der Politik und den Unternehmen. Eine gemeinsame europäische Energiepolitik im Verhältnis zu den Energieproduzenten aus Drittstaaten ist zu unterstützen. Die Politik sollte jedoch weiterhin eine ausschließlich unterstützende Rolle einnehmen, wohingegen die Unternehmen im EU-Modell der offenen Marktwirtschaft weiterhin eigenverantwortlich ihre Verträge mit den Partnern aus Drittstaaten verhandeln. Daher bedarf es aus Sicht des BDEW auch keiner zentralen Einheit, die den Einkauf von Erdgas oder anderer Energieträger zentral organisiert.

Der BDEW hat sich umfassend an der Umsetzung des SoS-VO beteiligt und wird sich in eine mögliche Überarbeitung auf europäischer Ebene intensiv einbringen. Grundsätzlich sollte der bewährte dreistufige Mechanismus bewahrt werden. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Definitionen der geschützten Kunden könnte aus Sicht des BDEW die Prüfung einer weitestgehend Harmonisierung sinnvoll sein.

Nächste Schritte

Der Stand der Versorgungssicherheit wird gemäß der SoS-VO im Rahmen der Gaskoordinierungsgruppe unter Vorsitz der Europäischen Kommission mit Vertretern der Mitgliedstaaten und der europäischen Gaswirtschaft beraten. Die nächste reguläre Sitzung ist für den 10. November 2014 geplant. Nach ihrem Amtsantritt wird die neue Europäische Kommission zudem die Überarbeitung der SoS-VO sowie der Richtlinie zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung prüfen und dazu gegebenenfalls im Jahr 2015 Legislativvorschläge vorlegen.


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