Die starken Preisausschläge am Strom-Spotmarkt haben für einiges Aufsehen gesorgt. 936 Euro kostete eine Megawattstunde (MWh) Strom (= 93,6 ct/kWh) an der Strombörse EPEX am vergangenen Donnerstag (12.12.2024) zwischen 17.00 und 18.00 Uhr – und damit fast 12-mal mehr als der durchschnittliche Spotmarktpreis im bisherigen Jahresverlauf. Bereits um 20.00 Uhr lag der Preis schon wieder bei 296 Euro/MWh und um 22 Uhr bei 169 Euro/MWh.
Der Strommix in Deutschland bestand zu diesem Zeitpunkt aus erhöhten Anteilen von Strom aus Braun-, Steinkohle- und Gas-Kraftwerken sowie aus Pumpspeichern und sonstigen Stromerzeugungsanlagen, wie beispielsweise Ölkraftwerken, siehe Grafik der BNetzA unten. Zur Deckung der restlichen Stromnachfrage wurde außerdem Strom aus anderen EU-Ländern importiert, da zu diesem Zeitpunkt dort teilweise günstigere Erzeugungsoptionen zur Verfügung standen als in Deutschland. Aufgrund der in den Wintermonaten üblicherweise höheren Nachfrage stiegen auch die Preise an den anderen europäischen Märkten.
Grafik der BNetzA zu Strommix am 12.12.2024
Nachdem sich der Preis kurz darauf wieder auf ein derzeit übliches Preisniveau eingependelt hatte (und Deutschland aufgrund deutlich höherer Stromerzeugung aus Windenergie in den Folgetagen bereits wieder Strom ins Ausland exportierte), blieb dennoch eine Frage offen: Wie kann das sein?
Was sind Dunkelflauten?
Preisschwankungen mögen in einem auf Erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem auf den ersten Blick zwar überraschend sein. Sie sind allerdings keineswegs ungewöhnlich oder besorgniserregend. Stattdessen gibt es zunehmend Stunden mit günstigen oder sogar negativen Strompreisen. Aber vereinzelt auch Momente sehr hoher Preise – wie am Donnerstag, den 12. Dezember 2024.
Diese Preisspitzen entstehen typischerweise, wenn die Stromerzeugung aus Photovoltaik- (PV) und Windanlagen niedrig ist und gleichzeitig kein günstigerer Strom aus Erneuerbaren Energien (EE) oder anderen Quellen aus EU-Nachbarstaaten importiert werden kann. Diese Situation wird als (kalte) „Dunkelflaute“ bezeichnet: wenig Wind und kurze Tage mit geringer Sonneneinstrahlung.
Häufig handelt es sich hierbei um Großwetterlagen im Winterhalbjahr, die nicht nur lokal in Deutschland auftreten. Für den Strommix am 12. Dezember 2024 im Zeitraum zwischen 17 und 18 Uhr bedeutete das, dass neben Braun- (11,6 GW) und Steinkohlekraftwerken (6,2 GW) viel Gas (19,1 GW), Pumpspeicher (5,3 GW) und Sonstige (1,9 GW, beispielsweise durch Ölkraftwerke) Energie lieferten. Strom aus Photovoltaik und Windanlagen hingegen stand nur in geringem Umfang zur Verfügung – siehe BNetzA-Daten unten.
Unterschiedliche Erzeuger im Strommix am 12.12.2024
Was bedeuten schwankende Strompreise für Verbraucher?
Haushalte und Unternehmen mit langfristigen Lieferverträgen spüren wenig von den Preissprüngen an der Strombörse. Sie beziehen ihren Strom über einen Versorger, der die Preisrisiken über eine strukturierte Beschaffung im Voraus langfristig absichert. Das ist vergleichbar mit Aktien- oder Indexfonds, bei denen die Endverbraucher auch nicht direkt an der Börse einkaufen, sondern über Zwischenhändler die Volatilität der Preisentwicklungen abfedern.
Für die überwiegende Zahl der privaten Kundinnen und Kunden sind vor allem langfristige Durchschnittspreise wichtig. Und langfristig betrachtet bewegen sich die Preise auf einem durchschnittlichen Niveau: Wenige extreme Preissprünge nach oben sowie viele wiederkehrende Preissprünge nach unten, mitunter sogar in den negativen Bereich. Dazu kommt, dass sehr viele Versorger den benötigten Strom für die normalen Stromverträge ihrer End- und Haushaltskunden langfristig am Terminmarkt beschaffen. Mit dieser Strategie werden Preisausschläge an den Strombörsen für die EndkundInnen abgemildert.
Sogenannte dynamische Stromverträge, die ab Januar 2025 von allen Vertrieben angeboten werden müssen, bieten diese Absicherung nicht. Die Endkunden sind hierbei dem volatilen Preissignal der Strombörsen vollständig ausgesetzt. Allerdings ist auch hier, wenn keine extremen Preisänderungen dauerhaft auftreten, über einen längeren Zeitraum eine Glättung des Durchschnittspreises – vergleichbar einem lange gehaltenen ETF – wahrscheinlich. Ebenso können Preisspitzen bei Kunden mit steuerbaren Anlagen und einer entsprechenden Steuerung vermieden werden. Kurzfristig sind Preissprünge jedoch direkt spürbar – mit allen Risiken und Chancen, die ein auf erneuerbaren Energien basierendes Stromsystem bietet.
Keine Engpässe – Sicherheit durch Reservekraftwerke
Die kurzfristigen Preisspitzen sind Ausdruck einer marktlichen Knappheit von Strom. Gleichzeitig zeigen sie aber auch, dass das System ausreichend Kapazitäten bietet und der europäische Energiemarkt grundsätzlich funktioniert. Damit es nicht zu Versorgungsengpässen kommt, stehen außerhalb des Strommarktes darüber hinaus Reservekraftwerke zur Verfügung. Diese springen ein, bevor es zu kritischen Situationen kommen kann. Das sind beispielsweise die Netz- und die Kapazitätsreserve. Behörden, wie die Bundesnetzagentur (BNetzA) und die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), überwachen den Markt und die Einhaltung der Marktregeln nach der Verordnung (EU) Nr. 1227/2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts (REMIT).
Das detaillierte Berichtswesen sorgt zusätzlich für Transparenz: Jede Transaktion an den Spotbörsen wird an ACER gemeldet und bleibt auch später noch nachvollziehbar. Auch aus diesen Gründen sind Regelverstöße oder sogar Manipulationen auf den Energiemärkten kaum denkbar. Selbst zu den Hochpreisphasen während der Energiepreiskrise 2022 urteilte ACER, der Markt regelkonform funktioniert habe.
Und Behörden wie die BNetzA wären es auch, die im Fall der Fälle das Zuschalten weiterer Kraftwerkskapazität zur Vermeidung eines Engpasses veranlassen würden. Insgesamt sind derzeit nach Angaben der Bundesnetzagentur gut 15.000 Megawatt (MW) Braunkohlekraftwerke am Netz. Allerdings waren zum Zeitpunkt des starken Preisausschlages zwei Braunkohle-Blöcke in Boxberg in der Lausitz mit knapp 1.600 MW wegen eines Brandes am 07.12.2024 vom Netz genommen. Die installierte Leistung der Steinkohlekraftwerke beträgt derzeit insgesamt rund 16.000 MW (BNetzA). Allerdings sind davon derzeit knapp 6.400 MW in der Netzreserve und stehen dem Markt daher nicht zur Verfügung. Sie dürfen lediglich im Bedarfsfall zur Netzstabilisierung abgerufen werden. Von einem solchen Eingriff war der jüngste kurzfristige Preisausschlag allerdings weit entfernt.
Tatsächlich ist er im Sinne eines zukunftsfähigen Energiesystems sogar zu begrüßen gewesen. Warum das?
Marktsignale und Anreize für Investitionen
Klar ist: Das Stromsystem der Zukunft braucht mehr Speichertechnologien und Flexibilitäten, damit die Erzeugung, der Verbrauch und die Speicherung künftig besser und kostengünstiger in Einklang gebracht werden können. Preisausschläge sind dabei nicht nur eine Herausforderung, sondern auch ein Anreiz. Sie signalisieren der Energiebranche, wo investiert werden muss: in innovative Technologien wie Wasserstoff-Elektrolyseure und Batteriespeicher.
Eine besondere Rolle kommt dabei neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerken zu. Diese Anlagen können schnell einspringen, wenn Wind und Sonne nicht genug Energie liefern – und auf diese Weise Strompreisspitzen abmildern. Hier hätte das Kraftwerksicherheitsgesetz (KWSG) ein Anreiz für den schnellen Bau der erforderlichen Gaskraftwerke sein können. Nach dem Scheitern der Ampelkoalition hat das zuständige Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) das entsprechende Gesetzgebungsverfahren allerdings gestoppt. Daher muss der Investitionsrahmen für den Zubau steuerbarer Kraftwerkskapazitäten auf die 100-Tage-Agenda der neuen Bundesregierung.
Denn klar ist auch: Nur mit dem zügigen Zubau neuer zusätzlicher und steuerbarer Kapazitäten lässt sich die Versorgungs- und Systemsicherheit auch langfristig gewährleisten und gleichzeitig der Kohleausstieg umsetzen.
Erneuerbare Energien und die Preisentwicklung am Spotmarkt
Gegenteilig zu Preissprüngen bei Dunkelflauten führen Zeiten hoher Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windenergieanlagen zu stark sinkenden Strompreisen am Spotmarkt bis hin zu negativen Preisen: Je mehr Strom in EE-Energiesystemen vorhanden ist, desto geringer wird sein Preis im Markt. Für den deutschen Strommarkt bedeutet das, dass der Strompreis im Jahr 2023 an insgesamt 301 Stunden im negativen Bereich lag, 2024 waren es bislang bereits 449 Stunden (Stand: 15.12.2024).
Extrem hohe Preise im Spotmarkt hingegen sind bislang ein seltenes Phänomen im deutschen Markt: 2024 gab es bis einschließlich 15. Dezember bislang lediglich 15 Stunden mit einem Preis über 500 Euro/MWh. In gerade mal 118 Stunden lag der Preis zwischen 200-500 Euro/MWh, also zusammen in lediglich 1,64 % der Stunden. Am häufigsten (in 4.442 Stunden) bewegte sich der Preis zwischen 50 bis 100 Euro /MWh. In gut 5 % der Stunden (449) gab es negative Preise, siehe nachfolgende Abbildung.
Sehr hohe Preise gab es in der Vergangenheit in der zweiten Jahreshälfte 2021 sowie 2022. Dieser Zeitraum kann allerdings nicht maßgeblich sein, da diese Zeit von der Energiekrise geprägt war. Es wird in der Grafik allerdings sichtbar, dass – abgesehen von der Zeit der Energiekrise – Ende 2024 erstmalig hohe Strompreise im Spotmarkt auftreten. Daher muss diese Entwicklung weiter beobachtet werden.
Eine weitere Analyse zeigt die Häufigkeit und Dauer von Phasen mit geringen Einspeisungen aus Wind und Photovoltaik. In der Grafik werden Phasen analysiert, in denen die Einspeiseleistung von Wind und Photovoltaik dauerhaft weniger als 20 % der installierten Leistung von Wind und PV betrug. Hierzu ist wichtig anzumerken, dass eine 20%-ige Einspeiseleistung schon eine relativ gute Einspeiseleistung darstellt. Daher liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der Dauer. Eine Definition bezüglich Einspeiseleistung, Lastdeckung und Dauer gibt es nicht, daher ist eine Analyse hier variabel in seinen Parametern.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass mehrtägige Situationen mit dauerhaft geringer Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren mit relativ konstanter Häufigkeit vorgekommen sind. Situationen mit mehr als 5 Tagen am Stück mit einer geringen Einspeiseleistung aus Wind und PV kamen 2- bis 5-mal pro Jahr vor.