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Mythos und Wahrheit:

Zehn Jahre „Neue Seidenstraße“

2013 versprach China der Welt mit seiner „Belt and Road Initiative“ Milliarden für Infrastruktur. Was daraus wurde.

Verlauf "Neue Seidenstraße" von China nach Europa

© Robert Albrecht / BDEW

 

Den Mittelpunkt der antiken Seidenstraße kann man bis heute bereisen: Auch wenn es die Handelsroute längst nicht mehr gibt, lebt ihr Mythos im usbekischen Samarkand fort. Der Hauptplatz  der Stadt, der Registan, war über viele Jahrhunderte ein wichtiger Basar. Bis in die Gegenwart erhalten sind die historischen islamischen Schulen rings um ihn. Es sind einzigartige Meisterwerke der Architektur in Azurblau, Lapislazuli, Indigo und Gold. Längst ist die Stadt Weltkulturerbe.

Die Seidenstraße führte über mehrere Jahrhunderte als ein Netz unterschiedlicher Karawanenstraßen vom Mittelmeer über Zentralasien bis nach China. Das massenhafte Aufkommen der Handelsschifffahrt zur frühen Neuzeit ab der Mitte des 13. Jahrhunderts brachte den Niedergang der Seidenstraße, die bis dahin den Transport von Seide, Gewürzen oder Porzellan sichergestellt hatte. Und natürlich ging es – auch damals schon – um viel mehr als den Handel mit Luxusgütern. Die Seidenstraße beförderte immer auch: Ideen, Weltanschauungen und Einflussnahmen.

An diesen Mythos wollte Chinas Staatsführung unter Präsident Xi Jinping anknüpfen, als sie 2013 die „Neue Seidenstraße“ beschloss. Die „Belt and Road Initiative (BRI)“ war als Investition von 900 Milliarden Dollar in globale Infrastruktur gegplant, in Straßen und Schienenverkehr, neue Häfen und Handel, überall auf der Welt.  Wie aber ist die Lage zehn Jahre später? Entlang der Route der „Neuen Seidenstraße“ – auf den Spuren von Handel und Macht. 

Die Energieseidenstraße

Ein Beispiel für solche Projekte ist das geplante Solarkraftwerk im usbekischen Ferghana-Tal, das den wachsenden Energiebedarf des Landes  decken soll. Das Vorhaben wird derzeit vom chinesischen Staatsunternehmen Liaoning Lide entwickelt. Laut der Universität Boston bildeten solche Energieinfrastrukturprojekte mit rund 40 Prozent bis ins Jahr 2020 den Schwerpunkt der Seidenstraßen-Initiative. Ursprünglich setzte China auch stark auf Kohlekraftwerke, jedoch verkündete Xi Jinping vor der UN-Generalversammlung im Jahr 2021 ein Moratorium für neue Kohlekraftwerke entlang der Seidenstraße. 

„Es gibt einen deutlichen Shift Richtung Nachhaltigkeit, hin zu grüner Energie“, sagt Katr in Kamin, Co-Direktorin der Geopolitics and Economics Initiative am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Im ersten Halbjahr 2023 stieg der Anteil der Solar- und Windenergie auf rund 42 Prozent.

Doch zugleich sind für den Zeitraum 2023 bis 2033 laut Analysen des Bostoner Global Development Policy Centers (GDPC) nur 61 Energieprojekte weltweit geplant; nicht einmal ein Zehntel der Vorhaben in den Jahren bis 2022. Grund dafür ist Chinas wirtschaftlicher Abschwung der vergangenen Jahre, der auf eine Immobilienkrise und auch auf die strengen Null-Covid-Maßnahmen zurückgeht.    

Duisburg: Vom Kooperationspartner zum Systemrivalen

Realismus statt Euphorie prägt den Blick auf die „Neue Seidenstraße“ mittlerweile auch in Deutschland. Rückblick ins Jahr 2014: Xi Jinping ist zu Besuch in Duisburg, um dort den weltgrößten Binnenhafen „duisport“ an der Mündung der Ruhr in den Rhein zum europäischen Knotenpunkt der „Neuen Seidenstraße“ zu ernennen. Dieser ist über eine rund 10.000 Kilometer lange Schienenverbindung mit China verbunden. 

Mit Markus Teuber, von 2008 bis 2019 Generalbevollmächtigter der Duisburger Hafen AG, bekam die Stadt im Ruhrgebiet einen eigenen China-Beauftragten, der den strategischen Austausch koordiniert. Ein wachsendes Geschäft: Vor zehn Jahren habe alles mit ein bis zwei Zügen pro Woche begonnen, sagt Teuber . „Die Zahl der Verbindungen stieg in den Folgejahren kontinuierlich und konnte in der Coronazeit einen Höhepunkt von bis zu 60 Zügen die Woche erreichen.“ Per Schiene konnten etwa Pandemieschutzartikel  schnell und bis zu zehnmal günstiger als auf dem Luftweg nach Europa importiert werden. Die Zugverbindung, glaubt Teuber, werde sich „auch weiterhin positiv entwickeln, wenn die weltpolitischen Rahmenbedingungen dies zulassen“.

Denn wie wichtig Frieden und Stabilität für das Logistikwesen sind, hat der Krieg in der Ukraine gezeigt, wegen dem die Anzahl der Zugverbindungen im Frühjahr 2022 zurückging. Die „Neue Seidenstraße“ führt auch durch Russland, was bei Auftraggebern Besorgnis auslöste. Die wachsende Vorsicht vor neuen Abhängigkeiten bremsen den Umgang mit China zusätzlich. „Insofern China in Deutschland und Europa zunehmend als ein Systemrivale und weniger als ein Kooperationspartner wahrgenommen wird, musste auch die Stadt ihren strategischen Ansatz ändern“, erklärt Prof. Markus Taube , Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft mit dem Schwerpunkt China an der Mercator School of Management der Universität Duisburg-Essen. 

Für duisport immerhin kein großes Problem: Laut dessen Chef Markus Bangen machen die Container aus China nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz der gesamten umgeschlagenen Warenmenge aus. „Wir werden nüchtern im Umgang mit China“, sagte Bangen gegenüber der Tagesschau und betonte, China sei ein Partner unter vielen. 

Was die „Neue Seidenstraße“ über den Westen verrät

Im Gegensatz zur Duisburger Hafengesellschaft und rund 150 Ländern hat sich die Bundesrepublik bisher nicht der neuen Seidenstraße angeschlossen. Die seit Beginn des Projekts amtierenden Regierungen haben sich gegen  eine BRI-Beteiligung entschieden. Anfang 2023 berichtete die Bundesregierung von Schwierigkeiten , einen Überblick über alle BRI-Projekte zu erhalten. Weder sei die BRI ein konkretes Programm mit detaillierten Inhalten, noch sei ein formalisiertes Verfahren für den Beitritt bekannt.

Andere europäische Länder taten sich damit nicht so schwer: So sorgte Italien für Aufsehen, als es im Jahr  2019 als einziges G7-Mitglied ein Beitrittsabkommen zur „Neuen Seidenstraße“ unterzeichnete. Das Abkommen beinhaltete beispielsweise den Export sizilianischer Orangen wie auch Investments in italienische Häfen von chinesischen Staatskonzernen. Unter der neuen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erwägt Italien jedoch den Austritt  aus dem Projekteinen Imageschaden für Peking nach sich zöge. Und das wiederum nährt in Rom die Sorge, die Beziehungen zur Volksrepublik – und damit auch die italienische Wirtschaft – zu beschädigen.  



Daneben haben auch Griechenland, Polen und Portugal je ein Memorandum of Understanding zur BRI unterzeichnet. Auch in diesen Ländern ist das Projekt hinter den Erwartungen zurückgeblieben, in mehreren Fällen kam es nicht zu den erhofften chinesischen Investitionen. 2015 hatte Angela Merkel bei einem Peking-Besuch gelobt: „Die Seidenstraßen-Initiative ermöglicht osteuropäischen Ländern eine bessere Anbindung an den asiatischen Raum.“

Doch schon da arbeitete die EU  an ihrer Antwort auf das Megaprojekt: eine Konnektivitätsplattform , die jedoch schließlich nur wenige konkrete Projekte  lieferte. Auch eine EU-Asien-Konnektivitätsstrategie,  die die EU-Kommission 2018 vorstellte, konnte in keinem ihrer Aktionsbereiche nennenswerte Erfolge erzielen: Zusammen wollte man – namentlich mit China, Japan und Südostasien – an Verkehrsverbindungen, Energie- und Digitalnetzen arbeiten, den Austausch in Forschung und Kultur stärken und nachhaltige Finanzierung fördern. Mit fairen Vergabeverfahren und gleichen Marktbedingungen für Unternehmen sollte sich die Konnektivitätsstrategie deutlich von der wenig transparenten chinesischen BRI abheben.   

„Reichweite der BRI ist gigantisch“ 

Trotz teils trüber Bilanz auf Projektebene stellt Ökonomin Kamin  fest, „dass der Plan der Chinesen aufgeht. Die geopolitische Reichweite der BRI ist gigantisch.“ China habe einen Vorsprung erlangt und mittlerweile stabilere Beziehungen zu Afrika oder Lateinamerika als die EU ode die USA . Unterdessen hat in der EU das Thema Konnektivität durch die Entwicklung eines „Global Gateway“ neuen Schwung bekommen: Bis 2027 plant die Europäische Union, 300 Milliarden Euro in nachhaltige Infrastrukturprojekte zu investieren.

„Insbesondere die Europäer haben die Neue Seidenstraße lange nicht als das verstanden, was sie ist: ein geoökonomisches Machtinstrument. Erst jetzt definiert die EU ihre Rolle langsam neu“, analysiert Kamin. So bleibt zu hoffen, dass über diese Seidenstraße auch das fließt, was Samarkands Antlitz mitgeprägt hat: Wissen. 

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