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Soft Power aus Asien:

Mit Popkultur zu wirtschaftlicher Macht? 

Auch Rock’n’Roll machte die USA zur Weltmacht. Wohin solche „Soft Power“ Asien führt, analysiert Publizist Jens Balzer.

Portrait Autor Jens Balzer

© Robert Albrecht / BDEW

 

Der erfolgreichste Abenteuerheld unserer Gegenwart ist ein junger Piratenkapitän mit einem Strohhut auf dem Kopf und einem Körper aus Gummi. Seit über einem Vierteljahrhundert reist Monkey D. Ruffy mit seiner Bande über die Weltmeere und sucht nach dem „One Piece“, dem mythischen Schatz des größten aller Piraten. Dabei geht es ihm und seinen Kumpanen nicht um den Schatz, sondern um die endlose Suche. Und um die Freiheit, die sie beim Durchkreuzen der Ozeane erfahren. Monkey D. Ruffy ist ein Comic-Held. 1997 debütierte er in der Serie „One Piece“ des japanischen Zeichners Eiichirō Oda; mit über 500 Millionen verkauften Exemplaren ist dies die erfolgreichste Comic-Serie der Welt. Im Herbst 2023 hat Netflix eine Live-Action-Serie mit den „One Piece-Figuren produziert. Es war das aufwändigste und ambitionierteste Projekt des Streaming-Dienstes in diesem Jahr.

Generell sind die japanischen Comics, die Manga, in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu einer globalen Leitkultur aufgestiegen. Damit nehmen sie heute jene Position ein, die über Jahrzehnte den US-amerikanischen Comics und ihren Superheldenfiguren zukam oder deren frankobelgischen Pendants, den Bandes Dessinées, mit Asterix oder Tim und Struppi. Als 2022 in Frankreich der Jugendkulturpass eingeführt wurde, der Jugendlichen kostenlosen Zugang zu Kulturangeboten ermöglicht, stellten die Verantwortlichen schockiert fest, dass die Zielgruppe über die Hälfte ihres Budgets in Manga investierte. Von der französischen Kultur wollten die französischen Jugendlichen schlicht nichts wissen. Auch in Deutschland hat sich der Absatz von Mangas seit der Corona-Pandemie verdoppelt.

Hallyu: Die koreanische Welle und ihre Auswirkungen auf Musik und Serien

So wie japanische Comics und Zeichentrickfilme, Manga und Anime, visuell weltweit wirkmächtig geworden sind – so kommen einige der derzeit erfolgreichsten Popgruppen des Planeten aus Südkorea. Die Boygroup BTS aus Seoul stand in der Statistik des internationalen Tonträgerverbands IFPI 2020 und 2021 auf dem ersten Platz. Ihr weibliches Pendant Blackpink ist derweil zur erfolgreichsten Girlgroup der Welt aufgestiegen. Wie BTS haben sie sich ältere popmusikalische Standards aus den USA – R’n’B-Gesang, ausgefeilte Tanz-Choreografien, ein Casting-System, dank dem jeder einzelne Charakter in der Band eine eigene Zielgruppe anzusprechen vermag – angeeignet und modernisiert. Ihr gewaltiger Erfolg im Westen rührt mithin auch daher, dass sie vertraute Arten der Pop-Ästhetik in „exotischer“ und zeitgemäßerer Form in eben diesen Westen zurückspiegeln.

„Hallyu“ nennt sich dieses Phänomen, die „koreanische Welle“: Nicht nur die Superstars des K-Pop, des südkoreanischen Pop, und Streaming-Serien wie „Squid Game“ stoßen weltweit auf erstaunliche Resonanz, ebenso südkoreanische Kosmetik und Mode und natürlich die Gastronomie.

Asiatische Soft Power: Kultur als treibende Kraft für wirtschaftlichen Einfluss

Vom Staat wird diese Expansion nach Kräften gefördert. Denn Südkorea betrachtet Kultur als „Soft Power“ – in einem ähnlichen Sinn, in dem die USA dies in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg vorgemacht hatten. Diese wollten seinerzeit mit dem Export von Coca-Cola, Jeans und Rock’n’Roll auch westliche Werte exportieren. Indem sie die Jugend für den „american way of life“ zu begeistern versuchten, glaubten sie die liberalen Demokratien in Westeuropa dauerhaft stärken zu können. Nach dem Ende des Kalten Kriegs 1989 richteten die USA den Blick auf Osteuropa und auf Asien. Tonangebende Theoretiker wie Francis Fukuyama waren überzeugt davon, dass die „Ausbreitung der westlichen Konsumkultur“ gleichbedeutend sei mit dem „Sieg des Liberalismus“ sowohl in politischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Als im Januar 1990 der erste McDonald’s in Moskau eröffnete, wollte man das schon als Symbol für den Anbruch eines Ewigen Friedens zwischen den einstmals verfeindeten Blöcken bewerten; und dass sich auch die chinesische Jugend für westliche Rock- und Popmusik begeisterte, nährte Hoffnung auf eine Liberalisierung der dazugehörigen Gesellschaft.

Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt, wie wir wissen; der westliche Liberalismus ist weltweit auf dem Rückzug. Und die Strahlkraft der US-amerikanischen Popkultur ist in den vergangenen Jahren in dem Maße erschlafft, in dem sich die USA aus ihrer globalen Führungsposition zurückgezogen haben. Der Erfolg von K-Pop und Manga zeigt vielmehr, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Popkultur die kulturelle Hegemonie des englischsprachigen Westens gebrochen ist. Bedeutet das also, dass die asiatische Popkultur an ihre Stelle tritt? Und dass sich in deren wachsender Bedeutung auch die wachsende wirtschaftliche Macht der asiatischen Staaten spiegelt?

Japan: Melancholie und Abstiegsangst

Diese Parallele liegt nah, doch gibt es – im Vergleich zum US-amerikanischen Streben nach „Soft Power“ in der Nachkriegszeit – einen entscheidenden Unterschied. Diesmal sind es – wie sich am Beispiel von Japan oder Südkorea zeigt – gerade nicht hegemoniale Mächte, die ihre Kultur in alle Welt exportieren. Die japanische Wirtschaft befindet sich seit Anfang der 1990er-Jahre in einer lang anhaltenden Rezession. Diese begann fast zeitgleich mit dem ersten Boom der japanischen Popkultur in den USA und Europa. Wer sich heute populäre japanische Zeichentrickfilme wie zuletzt Makoto Shinkais „Suzume“ ansieht, der spürt vor allem die tiefe Melancholie einer von Überalterung und Abstiegsängsten gezeichneten Gesellschaft – weit entfernt von jenem Aufbruchsgeist, der die US-amerikanische Popkultur der 1950er prägte.



Und weit entfernt von jenem Aufbruchsgeist und Expansionswillen, der die südkoreanische Popkultur heute immer noch prägt. Doch hat diese in einer entscheidenden Hinsicht ihrerseits einen Dämpfer erhalten. Als ich 2008 mit einem der ersten global bekannten K-Pop-Superstars, dem R’n’B-Sänger Rain, sprach, glaubte dieser noch fest an seine Vision einer „panasiatischen“ Popkultur. In der gemeinsamen Begeisterung für die gleiche Musik sollten die Menschen in Korea und Japan, in Südostasien, im pazifischen Raum und in China erkennen, dass sie zu einem gemeinsamen Kulturkreis gehören.

Popkultur im Wandel: Asiatische Demokratien als neue Hegemonien?

In vielen Ländern mag sich ein solches Bewusstsein entwickelt haben. Keinesfalls jedoch in China, dem mit Abstand wirtschaftlich stärkstem Land in Asien, das sich seit der Amtsübernahme von Xi Jinping 2013 wieder schrittweise gegen die Außenwelt abgeschottet hat. 2017 wurde ein Bann über südkoreanische Streaming-Serien und K-Pop-Künstler erlassen; letztere standen wesentlich wegen ihrer sexuellen Inszenierungen, wegen ihrer oftmals androgynen und queeren Ästhetiken im Visier. Für die chinesischen Autoritäten verbindet sich die K-Pop-Kultur eben nicht mit asiatischen, sondern vielmehr mit „westlichen Werten“, in denen sie wiederum eine Bedrohung der eigenen „nationalen Sicherheit“ sehen. China zeigt seinerseits keinerlei Interesse daran, seine eigene Popkultur in alle Welt zu exportieren. Das Modell der Expansion, das die Politik unter Xi Jinping gegenwärtig verfolgt, ist vielmehr darauf ausgerichtet, politischen und ökonomischen Einfluss durchzusetzen, mit der kalten Exekution imperialistischer Macht.

Wenn wir heute von der Expansion der asiatischen Popkultur reden, dann reden wir von der Popkultur der asiatischen Demokratien. Aus dieser spricht jene Sehnsucht nach Freiheit, von der auch die westliche Popkultur von Beginn an geprägt gewesen ist. Anders als diese glaubt sie aber nicht mehr an die Utopie einer globalen Befreiung. Aus der japanischen und südkoreanischen Popkultur spricht vielmehr der Abwehrkampf der freien Welt gegen ihre Bedrohung durch autoritäre Regime. Es spricht aus ihr die Sehnsucht danach, die Utopien eines schöneren, freieren, glamouröseren Lebens gegen dessen Feinde zu verteidigen. Und es spricht aus ihr das melancholische Sentiment für eine Zeit, in der man an die globalen Erfolge solcher Utopien noch zu glauben vermochte; wobei man doch weiß, dass diese Zeit unwiderruflich vorüber ist.

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