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Albanien:

Spitzenreiter beim „grünen“ Strom?

Albanien ist spitze bei den Erneuerbaren. Strom wird fast nur aus Wasserkraft erzeugt. Also alles gut? Nicht ganz.

Illustration Albanischer Adler über Wasserkraftwerk

© Robert Albrecht / BDEW

 

Die Vjosa in Albanien ist außergewöhnlich: einer der letzten Flüsse in Europa, der weitgehend ungestört durch menschliches Wirken ist. Von der Quelle in Nordgriechenland bis zur Mündung in die Adria führt sein Lauf fast 280 Kilometer durch mehrheitlich unberührte Natur. Diese Idylle war zeitweilig in Gefahr: Für den Bau neuer Wasserkraftwerke sollten über 40 neue Staudämme entlang ihrer Ufer entstehen. Jahrelang protestierten Anwohner und Umweltschützer aus dem In- und Ausland. Die Arbeiten waren bereits begonnen und dutzende Hänge kahlgeschlagen worden, als Premierminister Edi Rama die Vjosa 2023 zum Nationalpark erklärte: „Unter dem Schutzmantel des Nationalparks wird die Vjosa intakt bleiben, für Albanien, für Europa und für den Planeten, den wir für die Kinder unserer Kinder wollen.“

Noch etwas macht die Vjosa besonders: Albanien ist eines der wenigen Länder weltweit, das ausschließlich grünen Strom erzeugt - zu beinahe 100 Prozent aus Wasserkraft. Schon seit den 1970er und 1980er Jahren werden große Stauseen und Wasserkraftwerke gebaut. Wasserkraft ist in Albanien Standard. Diese Abhängigkeit schafft allerdings auch Probleme – und insofern steht der Baustopp an der Vjosa im Kleinen für den Wandel der Energieerzeugung, den das Land im Großen durchmacht. Ein Wandel, der allerdings nur teilweise aus freien Stücken erfolgt.

Denn der Balkanstaat gehört zu den Ländern in Europa, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Es regnet viel zu wenig und es wird immer heißer. Die Folge: Der Strombedarf kann aus Wasserkraft nicht mehr gedeckt werden, die Nachbarstaaten müssen aushelfen. In diesen Phasen ist das Land gezwungen, Strom teuer zu importieren - bis zu 30 Prozent der benötigten Energie. Umgekehrt führen Starkregen oder die Schneeschmelze im Winter zu einem Stromüberschuss, der exportiert wird, denn Albanien verfügt bisher über keine Speichermöglichkeiten. Das Land setzt deshalb nun auf Alternativen und will seine Stromversorgung diversifizieren. „Der Plan, Albanien unabhängig von Energieimporten sowie zu einem Nettoexporteur zu machen, wird immer realistischer", sagte Premierminister Edi Rama im Frühjahr 2023.



Druck aus Brüssel

Der Stopp der geplanten Wasserkraftwerke hat vermutlich auch damit zu tun, dass Albanien Mitglied der Europäischen Union (EU) werden möchte. Seit 2022 laufen die Beitrittsverhandlungen. Die albanische Regierung war bereits früher ermahnt worden, bei der Planung von Stauseen mehr Rücksicht auf die Natur zu nehmen. Außerdem sieht der europäische Green Deal vor, dass 25.000 Kilometer Flusslandschaft bis 2030 renaturiert werden sollen. So scheiterte der Bau der Wasserkraftwerke an der Vjosa wohl auch, weil er ihren natürlichen Lauf stark verändert hätte.

Viel Potenzial für Solarenergie

In Europa zählt Albanien zu den ärmsten Ländern, vor allem in manchen abgelegenen Bergregionen liegen die Lebensumstände unter dem europäischen Standard. Hier soll Solarenergie neue Möglichkeiten für Menschen in vielen Dörfern bieten, die die auch heute oft noch ohne Anschluss an das Elektrizitätsnetz leben. Stattdessen nutzen sie zur Beleuchtung Kerzen, Dieselgeneratoren, Taschen- und Kerosinlampen. Das ist teuer und verschmutzt die Umwelt.

Was im Kleinen funktionieren soll, kann aber im Großen eine Chance für Investoren sein: Albanien hat dank der Lage am Mittelmeer und dank des Klimas viel Potenzial für Solar- und Windenergie. Die Sonne scheint viel und lange, viele Standorte bieten sich für On- und Offshore-Anlagen an. Das macht das Land attraktiv für ausländische Investoren.

Solarpark mit 140 Megawatt

Im Herbst 2023 ging in Karavasta der größte Solarpark im Westbalkan in Betrieb – mit einer Kapazität von 140 Megawatt. Das entspricht dem Jahresverbrauch von 200.000 Menschen. Im Südwesten Albaniens produziert ein anderer Solarpark im Dorf Topojë 108 Megawatt. Und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gewährte 9,1 Millionen Euro Kredit, um auf dem Gelände des Wasserkraftwerkes Vau i Dejës eine schwimmende Photovoltaikanlage zu errichten.

Und die Windenergie? Auch sie schreitet voran: Mit über 350 Kilometern Küstenlinie und den hohen Bergen im Norden eignet sich Albanien gut für den Bau von Windparks an Land und auf dem Meer. 2023 fand die erste Auktion für Windenergie statt. Das albanische Ministerium für Infrastruktur und Energie vergab Kapazitäten für 222 Megawatt. Drei Bieter erhielten den Zuschlag.

Investitionen in das Stromnetz – auch aus Deutschland

Doch mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien allein ist es nicht getan. Albanien muss dringend in seine Stromleitungen investieren. Denn etwa ein Fünftel des produzierten Stroms geht aktuell im Übertragungs- und Verteilernetz verloren. Deutschland unterstützt Albanien daher beim Ausbau der Hochspannungsnetze in die Nachbarstaaten sowie beim Neu- und Ausbau von Übertragungs- und Verteilstationen.

Seit Beginn der Zusammenarbeit im Jahr 1988 hat Deutschland dem südosteuropäischen Land 1,2 Milliarden Euro – überwiegend in Form zinsvergünstigter Darlehen – zur Verfügung gestellt. Ein Geldgeber ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW): „Diese Projekte sind ein wichtiger Beitrag zum Beitrittsprozess, denn sie ermöglichen den Anschluss der albanischen Netze an den europäischen Energieverbund“, sagt Brit Horschke, Büroleiterin der KfW in der albanischen Hauptstadt Tirana.



Um die eigene Energieversorgung zu sichern und den steigenden Energiebedarf vor allem der Wirtschaft zu decken, setzt die Regierung daher nun auch auf Sonnen- und Windenergie. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien Agentur (IRENA) wurde beauftragt, Empfehlungen für einen Energiemix vorzuschlagen. Einige Projekte sind bereits umgesetzt, viele Wind- und Solarparks im Bau.

Auf den Energiemix kommt es an

Albanien hat lange Zeit das Potenzial von Solar- und Windenergie nicht erkannt und nicht genutzt. Das ändert sich nun. Prognosen gehen davon aus, dass der Energiebedarf durch den wirtschaftlichen Aufschwung um über 70 Prozent bis 2030 steigen und die Stromproduktion aus Wasserkraft um bis zu 20 Prozent sinken wird.

Albanien setzt deshalb auf einen Mix aus Sonne, Wind und Wasser und zeigt so nicht nur anhand der Vjosa: Alles ist im Fluss.

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