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Drei Fragen an...

Deniz Aytekin

Wie behält man den Fokus auf dem Spielfeld? Im Gespräch mit dem Schiedsrichter Deniz Aytekin.

Portrait Schiedsrichter Deniz Aytekin

© Robert Albrecht / BDEW

 

Wenn der Musiala anzieht und dir auf 80 Metern 60 bis 70 abnimmt, denkst du anders über dein Leben nach“ – mit diesen trockenen Worten landete der Schiedsrichter Deniz Aytekin den offiziellen Fußballspruch des Jahres 2023. Dass er 2011 noch zum „schlechtesten Referee der Bundesliga“ gewählt wurde, hat ihn offenbar nie beeindruckt, im Gegenteil: Aytekin blieb im Wortsinne am Ball – und erarbeitete sich durch kontinuierlich souveräne Leistungen als Unparteiischer in den Folgejahren zahlreiche Lorbeeren.

Heute blickt er auf drei Auszeichnungen als Schiedsrichter des Jahres, zuletzt 2024, zurück. Neben der sicheren Beherrschung aller Regeln muss ein Schiedsrichter topfit sein, Konflikte vermeiden und noch dazu die richtigen Entscheidungen treffen. Das alles nicht selten vor einem Millionenpublikum vor Ort und im TV. Wie schafft man das? Wir haben ihn gefragt.


Herr Aytekin,ein volles Stadion, Fußballer als Weltstars und selber ständig am Laufen: Wie schafft man es als Schiedsrichter, während des Spiels fokussiert zu sein?
Man steht ja glücklicherweise nicht von heute auf morgen vor so einem riesigen Publikum. Als Schiedsrichter fängt man in den unteren Ligen an und entwickelt sich dann über die Jahre oder Jahrzehnte weiter. Man sammelt seine Erfahrungen, lernt mehr Spielerinnen und Spieler kennen, stellt fest, dass manche Situationen immer wieder vorkommen – und entwickelt dann mit der Zeit ein Gespür dafür, wann man wo hinschauen muss. Wenn beispielsweise ein Ball in den Strafraum kommt, dann wandert in diesem Moment mein Blick komplett auf den Ball und nimmt diesen in den Fokus.

Oder nehmen Sie einen Freistoß: Wenn die Mauer im Strafraum steht und der Schütze von der halblinken Position mit dem rechten Bein schießt – dann wird der Ball in 99 Prozent der Fälle rechts an der Mauer vorbeigehen – also habe ich meinen Blick dort, um ein mögliches Handspiel zu erkennen. Diese und andere typischen Szenen bilden über die Jahre einen wertvollen Erfahrungsschatz, auf den man dann später immer wieder zurückgreifen kann.

Wann passieren Ihnen Fehler und was lernen Sie daraus?
Fehler sind ein Teil unseres Jobs. Ein komplett fehlerfreies Spiel habe ich in meiner Karriere noch nicht geleitet. Im Idealfall geschehen sie in nicht spielentscheidenden Momenten. Die schwierigsten Situationen für mich entstehen immer dann, wenn es zu einer Reizüberflutung kommt. Wenn ich also in kürzester Zeit gleich mehrere Entscheidungen mit Tragweite treffen muss: War das jetzt ein Foulspiel? Innerhalb oder außerhalb des Strafraums? Zeige ich Gelb oder Rot? Es ist mir dann schon passiert, dass ich einen Sekundenbruchteil zu lange über eine Einzelentscheidung nachgedacht oder sie rekapituliert habe – und in genau diesem kurzen Zeitraum ist der Spieler abgehauen und ich stand da: „Wer war’s denn nun?“

Ich habe daraus gelernt, dass man sich als Team mit seinen Assistentinnen und Assistenten vorher gut abstimmt und zumindest grob festlegt: Wer konzentriert sich worauf? Und: Wenn ich eine Fehlentscheidung treffe oder getroffen habe, suche ich niemals zuerst den Fehler bei anderen, sondern erst einmal bei mir ganz allein. Das erfordert natürlich Ehrlichkeit mit sich selbst. Ich gebe mich allerdings auch nicht zu lange mit so etwas ab: Sobald ich analysiert und verstanden habe, wo und warum ich einen Fehler gemacht habe, hake ich das Geschehen auch ab und konzentriere mich voll aufs nächste Spiel.

Könnte man theoretisch irgendwann auf einen Schiedsrichter verzichten angesichts des technischen Fortschritts bei Kameras und KI-gestützter Auswertung?
Wir bekommen tatsächlich immer mehr technische Unterstützung als Schiedsrichter, bis hin zur automatischen Abseitserkennung und verbesserten Kameras. Es gibt technisch auch schon die ersten Ansätze, Emotionen der Spieler per KI zu erkennen. Doch das Fußballspiel hat so enorm viele zwischenmenschliche Komponenten – und es geht ja nicht nur um das Abrufen und Anwenden von Fußballregeln.

Ein guter Schiedsrichter erfasst intuitiv die emotionalen Zustände seiner Spielerinnen und Spieler, er vermeidet Eskalationen und Konflikte proaktiv. Er glättet Wogen, verschafft sich Respekt durch klare Führung und sorgt für Fairness. Das alles kann man meines Erachtens noch lange nicht durch Roboter ersetzen. Bis es so weit ist, dass eine KI mich ersetzen kann, bin ich eh kein Schiedsrichter mehr.

Deniz Aytekin

geboren 1978 in Nürnberg, ist Fußballschiedsrichter und Unternehmer. Seine Bundesligapremiere hatte er 2008 in der Partie Hertha BSC gegen Energie Cottbus, von 2012 bis 2022 war er auch FIFA-Schiedsrichter.

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