Ilustration Header Magazin Fokus Zweitausend50

Interview Ron-Arne Sydow:

„Arbeit für Energiewende ist sinnstiftend.“

Wie sieht modernes Recruiting für Energieunternehmen aus? Im Gespräch mit dem Personalberater Ron-Arne Sydow.

Portrait Recruiter Ron-Arne Sydow

© Robert Albrecht / BDEW

Herr Sydow, alle Welt redet derzeit über den Fachkräftemangel. Wie sieht der Personalmarkt in der Energiebranche aus? Und zeigen sich Unterschiede beim Personalmangel zwischen Fachkräften und High Potentials?
Wir sehen keinen Unterschied. Auch wenn Sie an allen Ecken und Enden lesen können, dass die wirtschaftliche Lage hierzulande herausfordernd ist: An Jobs mangelt es in der Energiebranche überhaupt nicht -und das vom Facharbeiter bis hin zum Geschäftsführer. Wir haben dazu kürzlich eine Studie aufgelegt, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass der Fachkräftemangel zurzeit eines der drängendsten Probleme in den  Unternehmen ist. 

Wenn wir die heutige Situation mit der vor 10-15 Jahren vergleichen: Welche besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten stehen heute im Fokus, wenn es darum geht, Stellen im Energiebusiness zu besetzen?
Grundsätzlich sehen wir, dass heute alle Kenntnisse rund um die Energiewende viel stärker nachgefragt werden, also: Kompetenzen zu erneuerbaren Energien, Energiedienstleistungen, intelligenten Netzen und zur Digitalisierung im weiteren Sinne. Die Energiewirtschaft wird immer komplexer, daher werden Flexibilität und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen auch immer wichtiger. Mit Silodenken und Nischenwissen allein ist keine Energiewende zu schaffen – es braucht zunehmend die Fähigkeit, Dinge im größeren Zusammenhang zu sehen und über den vielzitierten Tellerrand zu schauen.

Sind Referenzen und Erfahrungen dabei mittlerweile wichtiger als Zeugnisse und Abschlüsse?
Definitiv, wobei ich hier unterscheide: Akademische Zeugnisse und Abschlüsse haben grundsätzlich immer noch Relevanz. Bei Arbeitszeugnissen hingegen sehe ich für uns da nicht mehr so große Aussagekraft – nicht wenige dieser Zeugnisse sind ja auch Gefälligkeitszeugnisse. Am Ende entscheiden immer die Eindrücke, die wir im direkten Gespräch erhalten und das Gesamtbild - also auch der bisher eingeschlagene Karrierepfad.

Sie arbeiten als Personalberater. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert? Gibt es noch „Headhunter-Anrufe“ oder geht man inzwischen anders vor?
Es gibt die Headhunter-Anrufe immer noch, sie werden aber etwas weniger. Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass der gesamte Rekrutierungsprozess digitaler wird. Social-Media-Profile spielen bei der Auffindbarkeit von Talenten schon eine große Rolle, insbesondere natürlich LinkedIn und vergleichbare Netzwerke. Dass ein Unternehmen hingegen bei Facebook schaut, ob ein Bewerber sich in seiner Freizeit ordentlich benimmt, habe ich zum Glück in den letzten Jahren nur sehr selten erlebt.

Wie kann es gelingen, in zunehmend virtuellen Recruiting-Situationen zu erkennen, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber geeignet ist?
Es ist inzwischen Standard, dass die meisten Unternehmen – und auch wir als Personalberater – zunächst ein virtuelles Gespräch führen und erst dann ein persönliches. Entscheidend bei jeder Interview-Situation ist es, kluge Fragen zu stellen und aufmerksam zuzuhören. Das gilt übrigens für beide Parteien. Sicherlich kann man im persönlichen Gespräch noch mehr Körpersignale aufnehmen und wir werden persönliche Gespräche auch nie abschaffen; man kann aber im Videocall schon einen sehr guten und sicheren ersten Eindruck gewinnen.

Wie haben sich in postpandemischen Zeiten die Arbeitsmodelle verändert, welche Rolle spielt das Homeoffice?
Eine sehr wichtige. Neben dem Gehalt ist das sofort die zweite Frage: Wie hält es das Unternehmen mit dem Homeoffice? Das Thema hat für die allermeisten Bewerberinnen und Bewerber eine sehr große Priorität, viele Unternehmen zeigen dementsprechend hier auch zunehmend mehr Flexibilität. Ein Wegdriften von der Vollzeitarbeit hingegen sehen wir zumindest bei Führungskräften immer noch nicht, hier haben wir doch zumeist die klassische 35- oder 40-Stundenwoche. Ob das gut ist, sei dahingestellt. Hier, das ist zumindest unsere Einschätzung, sollten Unternehmen gerade angesichts des schwierigen Personalmarkts noch flexibler werden.



Wie steht die Energiebranche als Arbeitgeber im Vergleich zu anderen Branchen da – wo kann und muss sie noch besser werden?
Ich bin ja schon seit 15 Jahren als Personalberater unterwegs. Als ich anfing, mich auf die Energiebranche zu fokussieren, wurde ich teilweise noch belächelt im Freundeskreis: „Das ist doch langweilig“, hieß es. Heute ist das komplett anders: Die Energiewende ist eines der größten gesamtgesellschaftlichen Projekte. Sich hier aktiv zu engagieren, hat etwas zutiefst Sinnstiftendes. Mich wundert allerdings, dass viele Unternehmen der Branche, allen voran die Energieversorger, dieses Pfund noch gar nicht so richtig ausspielen. Ja, das Employer Branding ist bei vielen noch stark ausbaufähig.

Welche neuen Berufsbilder sind in den letzten fünf Jahren entstanden und wie haben sich die bisherigen verändert? Bieten KI und Big Data neue spannende Jobs?
Ein paar neue Berufsbilder gibt es sicherlich, von der Spezialistin für KI-Anwendungen über den Business Developer für Wasserstoff bis hin zur Drohnenpilotin. Wirklich viele Stellen gibt es in diesen neuen Berufsbildern aber gar nicht. Viel spannender ist, wie sich bestehende Berufsbilder teils drastisch verändern. Was heute ein Energiehändler macht, hat nur noch entfernt etwas mit dem zu tun, wie er vor 20 Jahren gearbeitet hat. Gleiches gilt für viele andere Berufe in der Energiewirtschaft. Aber was KI und Big Data angeht: Darüber wird pausenlos geredet, wir sehen aber hier vergleichsweise wenig neue Stellen, die wirklich ausgeschrieben und besetzt werden.



Wie erkennen Mitarbeiter, ob ein Unternehmen für sie geeignet ist, worauf sollten Sie achten?
Ich rate jedem Kandidaten, am Ende auf das Bauchgefühl zu hören, es ist letztlich doch ein erstaunlich verlässlicher Indikator. Man sollte sich nicht blenden lassen von einer Stellenbeschreibung oder davon, ob ein Unternehmen Rang und Namen hat. Am Ende arbeiten Sie von morgens bis abends mit Menschen zusammen. Sie sollten sich also überlegen, ob Sie mit diesen Menschen gerne acht Stunden am Tag zusammen sein möchten. Und: Die aktuelle Marktsituation gestattet es auch, eine Fehlentscheidung zu korrigieren und es noch einmal woanders zu versuchen. Wir haben definitiv einen Bewerbermarkt, und das wird noch lange so bleiben. Neben dem öffentlichen Dienst ist die Energiebranche diejenige, die besonders stark vom demografischen Wandel betroffen ist.

Herr Sydow, vielen Dank für das Gespräch.

Ron-Arne Sydow

ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Callidus Energie. Der studierte Betriebswirt ist seit über 15 Jahren in der Personalberatung tätig und betreut Energieversorger und Dienstleister bei der Besetzung von Führungspositionen.

Mehr Interviews bei Zweitausend50

„Schuldenbremse passt nicht mehr ins Hier und Jetzt.“ – der Ökonom Jens Südekum plädiert für eine Anpassung der Schuldenbremse. Zum Interview

„Nur der Staat kann in Krisen Sicherheit bieten.“ – der DIW-Präsident Marcel Fratzscher fordert in Krisen staatliches Handeln – und benennt ein Tabu. Zum Interview

„Schon jetzt ein Bröckeln des Generationenvertrags.“ – der Soziologe Stefan Schulz über die Frage,  wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet. Zum Interview


Zurück zur Magazin-Übersicht „Fokus“

Suche