Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, das ließ schon Antoine de Saint-Exupéry den von ihm erdachten „kleinen Prinzen“ sagen. Ein Physiker würde dem sicher beipflichten. Denn schließlich besteht das komplette materielle Universum aus Teilchen, die so winzig sind, dass kein Mensch sie jemals mit bloßem Auge sehen wird – doch ohne sie wäre alles nichts. Wer sich mit Molekülen, Atomen und Elementarteilchen beschäftigt, der taucht ein in eine faszinierende Welt, die nach ganz eigenen Regeln funktioniert. Wir nehmen sechs kleine Teilchen und ihre erstaunlichen Eigenschaften in den Fokus.
Atom – das angeblich Unteilbare
Schon im alten Griechenland entwickelte der Denker Demokrit die Theorie, dass jeder Stoff auf der Erde aus kleinen, sich bewegenden Teilchen bestehe, die sich nicht weiter aufspalten ließen. Diese Teilchen erhielten in Griechenland den Namen „Atom“ - von „atomos“, was „unteilbar“ bedeutet.
Die Annahme von Demokrit markiert den Beginn der Teilchenphysik, wie wir sie heute kennen und die immer noch Stück für Stück weiterentwickelt wird. So wurde auch die Theorie des griechischen Denkers irgendwann widerlegt: Im Jahr 1938 gelang es Otto Hahn, ein Atom aufzuspalten. Dabei wurden große Mengen Energie frei, Hahn hatte die Grundlage für die Atomenergie entdeckt – aber auch für Kernwaffen.
Photon – das Lichtteilchen
Wellen sind Schwingungen, die sich im Raum ausbreiten – so wie Wasserwellen in einer Badewanne. Teilchen sind dagegen definierte Objekte, deren Bewegungsenergie sichtbar wird, wenn sie mit anderen Teilchen kollidieren – so wie die Billardkugel, die nach dem Anstoß andere Kugeln in Bewegung versetzt und selbst dabei ihre Richtung ändert. Doch es gibt auch Dinge, die der Physiker mal als Welle und mal als Teilchen betrachten muss, um ihr Verhalten berechnen zu können. Ein Beispiel dafür ist Licht.
Licht aus verschiedenen Quellen mischt sich miteinander, wie das von verschiedenen Wellen (die Badewanne…) zu erwarten wäre. Doch Ende des 19. Jahrhunderts legten Beobachtungen nahe, dass Licht auch die Eigenschaften eines Teilchens haben muss. Anfang der 1920er folgte der experimentelle Beweis: Bestrahlte man Elektronen mit Röntgenlicht, so wurden die Elektronen in Bewegung versetzt und das Röntgenlicht wiederum abgelenkt – so, als seien die Elektronen von einzelnen Teilchen getroffen worden wie von Kugeln auf dem Billardtisch. Diese „Licht-Teilchen“ erhielten den Namen „Photon“.
Astat – das Seltenste
Astat ist das seltenste Atom, das natürlich auf der Erde vorkommt. Im Periodensystem trägt es die Ordnungszahl 85, es entsteht beim natürlichen Zerfall von Uran. Wissenschaftler gehen davon aus, dass in der Erdkruste maximal wenige Gramm davon vorhanden sind – je nach Quelle zwischen 0,7 und 40. So sind die Eigenschaften von Astat erst bekannt, seitdem es gelang, das Element künstlich zu erzeugen.
Das geschah durch den Beschuss des Elements Bismut mit Alpha-Teilchen. Seitdem wissen wir: Astat ist wasserlöslich, stärker metallisch als Jod und lagert sich wie dieses in der Schilddrüse ab. Wegen dieser Eigenschaften werden Astatverbindungen bei Bestrahlungen in der Krebstherapie verwendet. Und auch als Marker bei Untersuchungen der Schilddrüse findet Astat Verwendung.
Xenon 124 – das stabilste Instabile
Den radioaktiven Zerfall einer Menge von Atomen kann man sich vorstellen wie das Platzen der Kohlensäurebläschen in einem Glas Cola: Das eine platzt später, das andere früher, man kann keine Prognose treffen, wann genau ein bestimmtes Bläschen platzen wird. Man kann aber messen, nach welcher Zeit nur noch die Hälfte der Bläschen vorhanden ist Auf atomarer Ebene nennt man diesen Wert die Halbwertzeit. Sie ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit des Zerfalls. Je länger sie ist, desto stabiler ist das Atom.
Bei Xenon 124 lässt sich theoretisch belegen, dass das Teilchen früher oder später zerfallen muss. Allerdings eher später als früher: Seine Halbwertzeit – also die Zeit, nach der von einer Menge Xenon-124-Atome die Hälfte zerfallen sind - liegt bei sagenhaften 18 Trilliarden Jahren. Das ist weit mehr als das Alter des Universums. Im Jahr 2019 wurde trotzdem erstmals der Zerfall eines einzelnen Xenon-124-Atoms beobachtet – eine wissenschaftliche Sensation.
Oganesson – das schwerste unter den Atomen
Uran ist das schwerste Atom, das natürlich auf der Welt vorkommt. Im Periodensystem trägt es die Ordnungszahl 92, seine Masse liegt bei rund 4 x 10-25 Kilogramm – das ist knapp das 240-Fache des leichtesten Atoms auf der Erde, Wasserstoff. Theoretisch lässt sich jedoch berechnen, dass noch schwerere Atome möglich sein müssen. Um die Erzeugung dieser Teilchen läuft eine Art wissenschaftlicher Wettbewerb – wer erschafft ein noch schwereres Exemplar als die Vorgänger?
Dazu werden Teilchenbeschleuniger verwendet, in denen andere Atome aufeinander geschossen und so vereinigt werden. Derzeit ist Oganesson das schwerste künstlich erzeugte Atom, seine Masse liegt bei etwa 5 x 10-25 Kilogramm, seine Halbwertszeit bei 89 Millisekunden – es zerfällt also einen Wimpernschlag nach seinem Entstehen wieder. Eines Tages dürfte vermutlich ein noch schwereres Element erschaffen werden: Derzeit laufen Versuche, die bisher nur theoretisch definierten Ununennium (Ordnungszahl 119) und Unbinilium (Ordnungszahl 120) herzustellen. Warum dieser Wettbewerb läuft? Es handelt sich um Grundlagenforschung, man trachtet nach reinem Wissen. Konkrete Anwendungen ergeben sich möglicherweise später.
Higgs-Boson – das Gottesteilchen
In der Literatur wird das Higgs-Boson immer wieder als „Gottesteilchen“ bezeichnet, ein Begriff, der die Fantasie vieler Künstler anzuregen scheint. Seinen Beinamen bekam das Teilchen deshalb, weil in den sechziger Jahren die Theorie aufkam, dass andere Teilchen einen Teil ihrer Masse nicht einfach so hätten. Sondern dass sie ihnen erst durch die Anwesenheit von Higgs-Bosonen verliehen würde – etwa so, wie ein Star erst deshalb zum Star wird, weil es Fans gibt, die sich um ihn scharen.
In dieser Idee wurde das Higgs-Boson also zu dem Teilchen, von dem alle anderen abhingen - eben zum „Gottesteilchen“. Nach der Veröffentlichung der Theorie dauerte es noch Jahrzehnte, bis das Higgs-Boson experimentell nachgewiesen wurde, 2012 gelang das am CERN in Genf. 2013 erhielten Peter Higgs und Francois Englert den Nobelpreis dafür. Nick Cave veröffentlichte im gleichen Jahr den „Higgs Boson Blues“.
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