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Start-up Decarbon1ze:

Mit eigenem Stromvertrag an die Ladesäule

Mit dem virtuellen Netz von Decarbon1ze sollen E-Autofahrer ihren Stromvertrag künftig an andere Ladesäulen „mitnehmen“.

Illustration Elektroauto lädt mit verschiedenen Stromquellen und Verträgen

© Robert Albrecht / BDEW

 

Begonnen hat es damals vor 16 Jahren mit einer denkbar simplen Idee: Die Umrüstung von Straßenlaternen in Ladestationen für E-Autos. Eine Idee, die Knut Hechtfischer mit dem Start-up Ubitricity erfolgreich vermarktete. Zum Beispiel in Großbritannien, wo sein damaliges Unternehmen – mittlerweile verkauft an den britisch-niederländischen Ölriesen Shell – heute ein führender Anbieter von öffentlicher Ladeinfrastruktur ist.  

Aber trotz des Erfolges in Großbritannien: „Unsere eigentliche Idee war noch nicht verwirklicht”, sagt Hechtfischer heute, „nämlich die Versorgung von E-Autos an mobilen Ladestationen durch unterschiedliche Anbieter.” Genau daran arbeitet er heute mit dem Start-up Decarbon1ze. Per Software betreibt das Unternehmen ein „virtuelles Bilanzierungsgebiet“: ein Energiekonto für Strom, in dem der Verbrauch (oder Einspeisung) jedes einzelnen Fahrzeugs genau erfasst, bilanziert und allen Marktakteuren zugänglich gemacht werden kann.

Den eigenen Stromvertrag mitnehmen

Das Ziel des Start-ups: Wer an einer öffentlichen Ladesäule Energie zapft, muss nicht den Tarif des jeweiligen Betreibers nutzen. Er kann in Zukunft einen eigenen Stromvertrag mitbringen, erklärt Hechtfischer die Geschäftsidee, die er und vier ehemalige Kollegen von Ubitricity mit Decarbon1ze seit 2021 vorantreiben. Damals legte die Bundesnetzagentur neue Netzzugangsregeln für Elektromobilität (NZR-EMob) festgelegt – und schaffte so die Voraussetzung, um Ladesäulen freiwillig für Drittanbieter zu öffnen.

„Man soll künftig sein Elektroauto unterwegs so günstig laden können wie zu Hause, mit einem speziellen Tarif, zum Beispiel vom örtlichen Stadtwerk, oder sogar mit Photovoltaik-Strom vom eigenen Dach“, so Hechtfischer. Die individuelle Abrechnung und Vergütung dieser „kleinen Flexibilitäten“ vereinfache es zudem, dynamische Stromtarife zu entwickeln: Fahrzeuge werden genau dann geladen, wenn Energie gerade im Überfluss vorhanden ist, Belastungsspitzen im Netz vermieden.

Dass die IT hinter der virtuellen Bilanzierung in der Praxis funktioniert, zeigt seit vergangenem Jahr ein Berliner Pilotprojekt des Start-ups: Mitarbeiter von 50Hertz laden Lichtblick-Strom im Durchleitungsmodell an den E-Auto-Ladesäulen ihres Unternehmens. Die Abrechnung erfolgt über die privaten Stromverträge der Mitarbeiter. Das Projekt sei erfolgreich, so Hechtfischer. Der tägliche Datenaustausch laufe wie vorgesehen, die Schnittstellen funktionieren. „Die Zahl der Lieferanten, die ihren Strom am intelligenten Ladepunkt durchleiten können, ist nicht begrenzt. Sie kann künftig beliebig erweitert werden“, erklärt Hechtfischer.

Feldversuch in Baden-Württemberg

Wie der eigene Stromlieferant an eine öffentliche Pkw-Ladesäule mitgenommen werden kann, wurde auch in einem Feldversuch in Baden-Württemberg erprobt. Beteiligt waren neben Decarbon1ze TransnetBW, Badenova und Stadtwerk am See. „Wir konnten zeigen, dass der Übergang von öffentlichen Ladesäulen in das Modell des virtuellen Bilanzierungsgebietes reibungslos verläuft und der Normalbetrieb der Ladesäulen garantiert ist“, sagte Tobias Egeler, Leiter Netzwirtschaft bei TransnetBW. Parallel ist Roaming oder Ad-hoc-Laden an den Säulen weiter möglich wie bisher. Ladepunktebetreiber, die ihre Zapfsäulen zur Verfügung stellen, sollen künftig ein Entgelt dafür bekommen.

Warum lohnt sich das neue Modell außerdem für Ladepunktbetreiber? Hechtfischer: „Sie können ihre Auslastung erhöhen und die Wünsche der Kunden passgenauer erfüllen. Wir verstehen uns dabei als ‚Durchleitungsdienstleister‘, das heißt, wir bereiten Ladedaten auf, übermitteln sie an Marktpartner und verwalten das virtuelle Netz.“

Lkw-Ladenetz als Geschäftschance

Ein großer Fortschritt für das neue Modell ist aus Sicht von Decarbon1ze eine aktuelle Ausschreibung des Bundes, bei der es Pflicht sein soll, das Modell anzuwenden. Lkw-Ladesäulen sind Teil des Lkw-Schnellladenetzes, das entlang der Bundesautobahnen entstehen soll. Hechtfischer: „Für uns ist das ein Quantensprung, der unser Angebot als Durchleitungsdienstleister stärker in den Blickpunkt der Mobilitäts- und Energiewirtschaft rückt und für große Aufmerksamkeit sorgt.“ Bisher hat das Start-up circa 3,5 Millionen Wagniskapital eingeworben, überwiegend von sogenannten Impact Investoren, die Geld in soziale oder ökologische Projekte anlegen.



Nächster Schritt für das Start-up ist 2025 die Weiterentwicklung und Vermarktung digitaler Produkte, die auf virtueller Bilanzierung basieren. Im Fokus stehen dabei Angebote für Unternehmen. Zum Beispiel die Tankkarte fürs Elektroauto: Alle Ladevorgänge eines Dienstwagens werden dem gewünschten Tarif oder Abrechnungspartner zugeordnet und erscheinen auf einer Rechnung, auch wenn Mitarbeiter zu Hause laden. Komplizierte Abrechnungen und Rückerstattungen vom Arbeitgeber sind dann nicht mehr notwendig.

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