„Just a revolution“ – nur eine Revolution. Mit diesem Anspruch an sich selbst schickte sich Enyway 2017 an, den Strommarkt aufzumischen. Die Idee des jungen Unternehmens aus Hamburg: Ein virtueller Ökostrom-Marktplatz bringt die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen direkt mit Endkundinnen und -kunden zusammen. Private Stromverkäufer können so ohne Umweg über einen Energieversorger ihren grünen Strom zum Beispiel an Menschen aus der Nachbarschaft verkaufen. Außerdem im Angebot der Hamburger: Nachhaltige Investitionsmöglichkeiten per Crowdfunding in PV-Anlagen und Waldflächen, um den eigenen CO2-Fußabdruck auszugleichen. Das innovative Geschäftsmodell erregte Aufmerksamkeit, schien den Nerv der Zeit zu treffen. Und doch: Ende 2021 musste Enyway Insolvenz anmelden. Warum die vermeintlich erfolgsversprechende Idee scheiterte und wie man nach der Pleite weitermacht – ein Gespräch mit Enyway-Mitgründer Andreas Rieckhoff.
Herr Rieckhoff, Sie haben Enyway 2017 mitbegründet. Was war damals Ihre gemeinsame Vision?
Wir wollten eine Energiewelt erschaffen, die es allen ermöglicht, direkt von den Erneuerbaren Energien zu profitieren. Wir wollten neue Wege für eine grüne Energiewelt aufzeigen und das Steuerrad in die Hände von Menschen statt von Konzernen legen. Daher war unser Claim auch „just a revolution“. Groß gedacht aus der Sicht von heute, aber als Start-up braucht man eine große Vision, etwas Neues, sonst kann man es auch sein lassen.
Mit dieser Vision haben Sie damals für Aufsehen gesorgt, etwa 9.000 Kunden und Kundinnen gewonnen. Warum ist das Unternehmen trotzdem gescheitert?
Der Grund ist trivial und traurig zugleich. Als Start-up mit vergleichsweise kleiner Kundenbasis mussten wir unseren Strom zu Marktpreisen einkaufen und konnten nicht wie etablierte Marktteilnehmer einen Großteil hedgen – also unser Risiko mit Termingeschäften absichern. Die ab Sommer 2021 stetig steigenden und ab Herbst 2021 rasant explodierenden Strompreise haben uns finanziell überfordert. Es wäre nicht möglich gewesen, unser Geschäft wirtschaftlich weiter zu betreiben. Und auch unsere Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen im Stromhandelsgeschäft waren nicht positiv, so dass wir frühzeitig schweren Herzes die Reißleine ziehen mussten.
Wie haben Sie die Insolvenz empfunden – persönlich und als Arbeitgeber?
Die erste Zeit schmerzt, und das aus vielerlei Gründen. Eine gute Idee ist aufgrund äußerer Umstände gescheitert. Das ist erstmal schwer zu akzeptieren. Wir hatten außerdem 30 sehr qualifizierte und engagierte Mitarbeitende und waren als Team sehr gut eingespielt. Das war daher für alle eine sehr traurige Situation, wenngleich nahezu alle Mitarbeitenden neue Aufgaben gefunden und angenommen haben. Und auch für unsere Geschäftspartner, insbesondere unsere Energieproduzenten, war und ist die Insolvenz nicht leicht. Die weiter sehr stark gestiegenen Energiepreise haben für sie aber aktuell einen positiven Effekt, da die Marktwerte deutlich über EEG-Förderung liegen und damit mehr Geld verdient wird.
Was hat Ihnen nach dem Scheitern geholfen, wieder nach vorne zu blicken?
Ich bin ein grundsätzlich sehr positiv denkender Mensch und habe ein gutes privates Umfeld, allen voran meine Familie, meine Frau und meine beiden Jungs. Beschleunigt wurde dieser Prozess sicherlich auch durch eine Vielzahl spannender neuer Jobangebote, auch wieder mit Fokus auf Nachhaltigkeit.
Wie hat die Branche reagiert: Haben Sie das Gefühl, dass dem Scheitern heute noch immer ein Makel anhaftet?
Ich persönlich habe keine negativen Erfahrungen gemacht. Klar mag der eine oder die andere Schadenfreude empfunden haben – aber mir gegenüber haben sich die meisten fair und verständnisvoll geäußert. Insgesamt ist Deutschland aber sicherlich kein Vorzeigeland, was das Begreifen des Scheiterns als Chance angeht. Es wäre wünschenswert, dass sich das ändert.
Was hat die Insolvenz finanziell für die Kundinnen und Kunden bedeutet?
Unsere Stromkunden sind per Beschluss des Insolvenzverwalters in die Grundversorgung gefallen. Das war für einige Kunden ein finanzieller Nachteil, vor dem Hintergrund der Marktentwicklung damals aber für einen Großteil der Kunden finanziell sogar ein Vorteil. Wir hatten unsere Preise massiv angehoben, aufgrund der Genehmigungspflicht bei Grundversorgungstarifen waren viele Tarife noch vergleichsweise günstig. Ich war ja selbst Kunde bei Enyway und habe in der Grundversorgung mehr als 10 Cent pro kWh gespart. Für unsere Crowdfunding-Kunden hatte die Insolvenz keinen Einfluss auf die Werthaltigkeit der eingezahlten Darlehen, da Enyway lediglich als Vermittler auftrat. Die Rückzahlung der Darlehen inklusive Zinsen erfolgt allein durch die Emittenten zum planmäßigen Zeitpunkt.
Wie sehen Sie das heute, mit etwas Abstand – was war Ihr wichtigstes Learning aus Ihrer Erfahrung mit Enyway?
Wir haben bei Enyway schon sehr auf einen kundenzentrierten Produktentwicklungsfokus gesetzt. Das heißt wir haben Hypothesen aufgestellt und diese dann an und mit den Kundinnen und Kunden getestet, wir haben Entscheidungen datenbasiert getroffen und unsere Idee in vielen Iterationen ausgehend von einem „Minimum Viable Product“ – also einem minimal brauchbaren Produkt – immer weiterentwickelt. Aber wir haben das alle zum ersten Mal gemacht und dabei natürlich viel gelernt. Heute weiß ich: Wir hätten das – also das ständige Auf-den-Prüfstand-Stellen unseres Produktes – noch konsequenter machen können. Diese Erfahrung nehme ich mit und lasse sie bei meiner jetzigen Tätigkeit für Caeli Wind einfließen.
Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen: Was würden Sie Gründerinnen und Gründern von Start-ups in der Energiebranche mit auf den Weg geben wollen?
Kurzgefasst: Testet, was das Zeug hält! Ich bin grundsätzlich ein großer Befürworter agiler Arbeitsweisen, und zwar nicht nur bezogen auf Softwareentwicklung, sondern insbesondere auch in der Produktentwicklung. Deshalb würde ich Start-ups empfehlen, unabhängig von der Branche, in kurzen Zyklen das Ergebnis des eigenen Schaffens an den Kunden und im Markt zu testen und auf der Basis dieses Feedbacks das Produkt beziehungsweise die Lösung stetig weiterzuentwickeln. Das sorgt dafür, dass man zielgerichteter handelt und seine Ressourcen effizient einsetzt.
Gibt es Besonderheiten, die Newcomer in der Energiebranche bedenken sollten?
Ich denke jeder Markt hat seine Besonderheiten, die es zu ergründen gilt, möchte man erfolgreich sein. Bezogen auf den Energiemarkt sind es sicherlich die sich regelmäßig ändernden regulatorischen Rahmenbedingungen. Mal zum Guten, mal zum Schlechten. Das stellt durchaus eine Eintrittsbarriere dar, die Innovationen und Wettbewerb einschränkt. Jedenfalls ist eine laufende juristische Begleitung erforderlich, um hier up-to-date zu bleiben und das eigene Geschäftsmodell im Fall der Fälle an die neuen Bedingungen anpassen zu können.
Andreas Rieckhoff…
…ist seit fast 20 Jahren im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig. Der Fokus des Wirtschaftsinformatikers liegt seit jeher darauf, nachhaltige Geschäftsmodelle mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu verknüpfen. Seit Anfang 2004 baute er unterschiedliche IT-Bereiche beim Ökostromanbieter Lichtblick auf. 2017 gründete er zusammen mit Varena Junge und Heiko von Tschischwitz die Ökostrom-Plattform Enyway, die 2021 Insolvenz anmeldete. Seit Sommer 2022 ist er Geschäftsführer von Caeli Wind, einem Online-Markplatz für die Bereitstellung von Windkraftflächen.
Mehr zu Innovationen
Unter Strom – Innovationen im Strom-Bereich. Mehr erfahren
Alte Strecke, neue Technik – Seit 120 Jahren verbindet die „Heidekrautbahn“ den Berliner Nordosten mit dem Umland; ab 2024 mit Wasserstoffantrieb. Zum Beitrag
Wenn das Windrad mit der Cloud spricht – mit dem IoT zum Energienetz der Zukunft. Zum Artikel
Zurück zur Schwerpunkt-Übersicht Geld