Herr Mayer, Sie sind seit fast 20 Jahren als Ausbilder und Personalverantwortlicher bei der MVV Energie AG tätig. Wenn Sie vergleichen: Unterscheiden sich die BewerberInnen heute von damals, als Sie angefangen haben?
Ganz klar: ja. Aus meiner Sicht sind die jungen Menschen heute im Vergleich zu früher sehr idealistisch und selbstbewusst, aber in der beruflichen Orientierung recht unreflektiert. Das liegt nicht daran, dass sich die Jugendlichen heute mangelnd informieren, sondern an der Vielfalt der Möglichkeiten. Über 300 Ausbildungsberufe, über 20.000 Studiengänge in Deutschland. Und alle reißen sich um den Fachkräftenachwuchs. Dadurch hat der Bewerbungsprozess eine andere Dynamik erhalten.
Worauf kommt es Ihnen beim Nachwuchs an: Zählen heute andere Dinge als früher?
Früher war es so, dass wir als Unternehmen die Forderungen an die Bewerberinnen und Bewerber gestellt haben. Diese sollten die passenden Schulnoten mitbringen, gut über das Unternehmen informiert sein und schon relativ klare Vorstellungen über den Beruf haben. Was wir heute vor allem aber sehen wollen: Stimmt die Motivation? Ist eine grundlegende Eignung da?
Wenn beispielsweise jemand einen technischen Beruf erlernen möchte, ist das mit schlechten Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern schwierig. Da wollen wir niemanden in die Falle laufen lassen. Und deshalb versuchen wir, junge Leute bereits im Rekrutierungsprozess bei der Jobwahl zu unterstützen. Diese berufliche Orientierung zu geben – dafür muss man heute als erfolgreich agierendes Unternehmen offen sein.
Welche Erwartungen hat die neue Generation ArbeitnehmerInnen – speziell in der Energiewirtschaft – an ihre ArbeitgeberInnen?
Sie erwarten, dass sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Ihnen ist das Thema Nachhaltigkeit wichtig und, aus meiner Sicht fast der wichtigste Punkt: Sie erwarten eine höhere Flexibilität auf ihrem beruflichen Weg. Das heißt, sie wollen nicht einem vorgezeichneten Karrierepfad folgen, sondern die Freiheitsgrade haben, ihre Entwicklung selbst mitzugestalten. Außerdem sind sie nicht mehr so stark an das Unternehmen gebunden, es sei denn, es gibt einen Grund, neudeutsch: Purpose. Früher war es bei Energieversorgern fast selbstverständlich: ‚Ich lerne hier, ich bleibe hier.‘ Ein Arbeitsleben bei einem einzigen Unternehmen – das ist heute eher die Ausnahme.
Wie gehen Sie damit um?
Wir haben uns bei der MVV von dieser Flexibilität inspirieren lassen und dem Thema Talentmanagement in der Ausbildung einen großen Stellenwert zugewiesen: Wir wollen Talente so früh wie möglich erkennen und intensiv fördern. Wir verlassen den vorgezeichneten Ausbildungsweg manchmal bereits nach einem halben Jahr, wenn wir sehen, dass ein junger Mensch an anderer Stelle besser aufgehoben wäre. Diese Talentförderung ist ein wichtiger Bindungsfaktor. Dazu gibt es entsprechende Übernahmeregelungen. Und wenn die jungen Menschen im Job fest angekommen sind, bereitet unser Talent Management sie auf Fach- oder Führungskarrieren vor. Das ist ein umfassender Prozess.
Sie haben es bereits angesprochen: Die heute junge Generation vertritt neue Werte wie etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Diversity oder Nachhaltigkeit. Muss sich bei den Energieversorgern ein Wandel der Unternehmenskultur vollziehen, damit junge Leute kommen – und auch bleiben?
Ja, wir müssen uns ständig wandeln. Und jedes Unternehmen ist gefordert, diesen Prozess mitanzustoßen: Bei der MVV etwa sind alle Jugendlichen eingeladen, sich an den Dialogformaten der Kulturentwicklung zu beteiligen und ihren Beitrag zu unserer Strategie zu leisten, für unser „Mannheimer Modell“ und unser Ziel, langfristig klimapositiv zu agieren.
Das führt dazu, dass die jungen Leute die Veränderung im Unternehmen mit vorantreiben. Dieser Kulturwandel vollzieht sich auch ein Stück weit automatisch, wenn Sie viele junge Leute ins Unternehmen eingliedern und die ihre Werte in unsere Reihen tragen.
Es sind herausfordernde Zeiten, in denen die Generationen Y und Z heranwachsen. Was hat im Speziellen die Energiebranche diesen jungen Menschen zu bieten?
Viel! Zum Beispiel Sicherheit und Verlässlichkeit, einen guten Verdienst und Entwicklungsmöglichkeiten. Denn bei aller Flexibilität, die sich die neue Generation wünscht: auch sie möchte einen sicheren Job und ein attraktives Gehalt. Darüber hinaus kann die Energiebranche aber vor allem mit dem Thema unserer Zeit, nämlich der Nachhaltigkeit punkten: Hier können junge Leute genau an denjenigen Technologien und Dienstleistungen mitarbeiten, die für unsere Gesellschaft eine klimafreundliche Zukunft der Energie gewährleisten. Bei der MVV punkten wir unter anderem mit unserem Engagement für das „Mannheimer Modell“. Das Problem ist, dass viele Energieversorger – die MVV nehme ich hier allerdings aus – dieses Ass im Ärmel nicht ausspielen und zu wenig Selbstmarketing betreiben.
Wie meinen Sie das?
Energie- und Wasserversorger müssen gerade heute herausstellen, dass sie auch in Krisenzeiten dafür sorgen, dass es warm und hell ist. Und dass Nachhaltigkeit bei ihnen wirklich gelebt wird. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir unter einem riesigen Konkurrenzdruck stehen und Fachkräfte rar sind. Kommunikation wird da zu einer wichtigen Aufgabe, um sichtbarer zu werden und Fachkräfte zu sichern.
Stichwort Kommunikation: Inwieweit ist es nötig, die erfahrenen, langjährigen KollegInnen bei diesem Kulturwandel abzuholen – erleben Sie hier Vorbehalte oder Aufgeschlossenheit?
Noch vor zehn Jahren hatten wir auf Seiten der älteren Kolleginnen und Kollegen eher abwehrende Reaktionen und Unverständnis gegenüber der hohen Anspruchshaltung der jungen Generation. Aber wir haben es bei der MVV geschafft, die Älteren mitzunehmen und so überwiegt heute eine sehr positive Sicht auf den Nachwuchs.
Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen die Aufgeschlossenheit und Flexibilität der jungen Menschen als Chance wahr, geben ihnen anspruchsvollere Aufgaben oder lassen sie an konzeptioneller Arbeit mitwirken. Und sie sind sich bewusst: Die junge Generation – die ja auch viel mitbringt, insbesondere ihre digitalen Kenntnisse – bereichert unsere Arbeitswelt.
Am Ende an Sie eine DER Personalerfragen: Wo sehen Sie sich und die Energiebranche in fünf Jahren? Sprich: Wird sich Ihr Job durch die nachkommende Generation verändern?
Ich bin überzeugt davon, dass Energieversorger in fünf Jahren an vielen Stellen ganz anders aussehen werden als heute. Dass wir uns gänzlich neuen Geschäftsprozessen und Themen zuwenden werden. Das ist eine Entwicklung, an der ich als Personalentwickler gerne mitarbeite. Denn diese Zeit der Krisen bedeutet auch die Chance, große Veränderungen anzustoßen. Die Gelegenheit, dass wir unseren Zweck als Energieversorger nicht nur erfüllen, sondern darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag leisten, unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln. Ich glaube, diesen Job müssen wir in den nächsten fünf Jahren machen. Das wird sehr anspruchsvoll. Aber ich bin überzeugt, dass die Chancen am Ende gegenüber den Risiken überwiegen werden.
Herr Mayer, vielen Dank für das Gespräch.
Hans-Joachim Mayer…
… ist seit rund 20 Jahren bei der MVV Energie AG in Mannheim tätig, zunächst als Ausbildungsleiter, heute als Leiter der Abteilung Personal- und Kulturentwicklung. Ehrenamtlich engagiert sich Hans-Joachim Mayer als Obmann des „Gremienverbunds Facharbeiter, Meister und Techniker“. Die MVV hat rund 6.500 Mitarbeitende, davon etwa 130 Auszubildende am Standort Mannheim.
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