None

Marokko:

Traumpartner für die Energiewende?

Marokko gilt als Musterland in Sachen regenerativer Stromerzeugung. Aber das Land verfolgt auch eigene Interessen – nicht immer offensichtlich.

None

© Robert Albrecht/BDEW

Wer sich im Projektbereich auf der Website von MASEN umsieht, der ist eine ganze Weile beschäftigt. Das Akronym MASEN steht auf Deutsch übersetzt für „Marokkanische Agentur für Solarenergie“. Die öffentlich finanzierte private Unternehmensgruppe koordiniert den Aufbau Erneuerbarer Energien in Marokko – und auf einer Landkarte präsentiert sie ein beeindruckendes Portfolio: Ob Wasserkraft, Wind- oder Solarenergie, der nordafrikanische Staat kann in allen Bereichen eine Fülle von Projekten vorweisen. Allen voran die beiden Aushängeschilder, die Solarkraftwerke Noor Ouarzazate und Noor Midelt. Das erste gehört mit einer Leistung von rund 600 Megawatt zu den größten weltweit. Das zweite könnte das erste nach seiner – derzeit nicht absehbaren – Fertigstellung sogar noch übertreffen: 800 Megawatt Leistung soll es dann liefern – das ist die Größenordnung, die auch ein typischer Block eines Kohlekraftwerks erreicht. 

„Marokko ist Pionier bei der Nutzung von Solarenergie in der Region“, so beschreibt es Professor Eckart Woertz, der Direktor des GIGA-Instituts für Nahoststudien, eines Teils des Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien. Dabei gibt es für die Transformation gute Argumente. Erstens muss das rohstoffarme Marokko rund 90 Prozent seiner Primärenergie importieren, zweitens ist es reich an Sonne und Wind – und drittens als Anrainerstaat von Atlantik, Mittelmeer und Sahara besonders betroffen von dem Folgen eines Anstiegs des Meeresspiegels und der Ausbreitung von Wüstengebieten. 

Erneuerbare ein Muss – kein „Nice to have“

Das macht die Hinwendung zu Erneuerbaren Energien zur existenziellen Sache. Marokko ist offiziell eine konstitutionelle Monarchie. Bereits im Jahr 2009 haben König Mohammed VI. und seine Berater eine Nationale Energiestrategie vorgestellt, die ehrgeizige Ziele festschreibt: Bis 2030 sollen mehr als 40 Milliarden Dollar in die Transformation investiert worden sein. Gut die Hälfte der im Land erzeugten Energie soll dann aus regenerativen Quellen kommen, im Jahr 2020 waren es bereits rund 20 Prozent. Das bisher Erreichte wird honoriert: Im Klimaschutz-Index 2023 der Umweltschutz-Organisation Germanwatch liegt Marokko auf Platz sieben weltweit – und damit neun Positionen vor Deutschland. 

In Europa verfolgt man die marokkanische Energiewende mit großem Interesse. Denn auch hier will man seit geraumer Zeit die Energieerzeugung stärker regenerativ ausrichten – das sonnenreiche, dünn besiedelte Marokko erscheint da als begehrenswerter Partner. So schlossen Deutschland und Marokko schon im Jahr 2012 eine Energiepartnerschaft namens PAREMA, die vor allem deutschen Investoren dabei helfen soll, gemeinsame Projekte mit Marokko zu starten. 

Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau engagierte sich, zum Beispiel mit verbilligten Darlehen über mehrere hundert Millionen Euro für das Solarkraftwerk Noor Midelt. Andere europäische Staaten möchten ebenfalls mit Marokko ins Geschäft kommen. So sind neue Unterseekabel nach Spanien und Portugal in Planung, über die Marokko grünen Strom in die Länder exportieren könnte. Ein britisches Unternehmen möchte sogar Leitungen bis zu den britischen Inseln ziehen. 

Zusätzliche Dynamik erhielt die Partnerschaft mit Deutschland durch das Thema Wasserstoff: So schlossen die beiden Länder im Jahr 2020 ein Abkommen, in dessen Rahmen in dem nordafrikanischen Land bis 2025 eine Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in industriellem Maßstab errichtet werden soll. Was sie produziert, soll zum Teil auch nach Deutschland exportiert werden und hier die Energiewende beschleunigen.

Wirklich alles im grünen Bereich? 

Hier mischt sich allerdings Kritik in das viele Lob für Marokko. Denn zur Wasserstoffproduktion wird viel Wasser benötigt – und das ist knapp in dem nordafrikanischen Staat. Um dem abzuhelfen, sollen die Elektrolyseure mit entsalztem Meerwasser betrieben werden. Doch um das zu erzeugen, ist noch einmal mehr regenerativ erzeugter Strom nötig. Und der muss irgendwo herkommen.

„Bislang ist diese Ambition stark nachfragegetrieben“, schreibt die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung in einer Analyse dazu. Sprich, die Projekte zum Thema Wasserstoff würden von Deutschland und anderen EU-Staaten an Marokko herangetragen – und dieses lukrative Geschäft wolle sich Marokko nicht entgehen lassen. 

Doch noch ist die Energieerzeugung in dem Staat nicht klimaneutral, noch 2018 ging zum Beispiel das neue Kohlekraftwerk Safi mit einer Leistung von knapp 1.400 Megawatt ans Netz. Deshalb gilt es für die Partner, gut im Auge zu behalten, ob Projekte zum Strom- oder Wasserstoff-Export wirklich zu einer globalen Energiewende beitragen – oder ob exportierte regenerative Energie nicht in Marokko selbst wieder durch fossile ersetzt wird. „Die Exportorientierung darf (...) nicht auf Kosten der lokalen Bevölkerung gehen“, schreibt die Böll-Stiftung, ansonsten drohe die Energiewende dort ihre Legitimierung zu verlieren. 

Die Geopolitik darf nicht vergessen werden

Auch interessant ist in diesem Zusammenhang, dass am 25. November 2022 die russische Nachrichtenagentur TASS ein unterschriftsreifes Abkommen meldete zur Kooperation  bei der friedlichen Nutzung von Atomenergie zwischen Marokko und Russland..Der Nahost-Experte Eckart Woertz merkt dazu zwar an, es gebe keine Hinweise darauf, dass diese Vereinbarung vor einer konkreten Umsetzung stehe. Aber bemerkenswert ist die Meldung doch.



In diesem Zusammenhang lässt auch aufhorchen, dass sich im Jahr 2021 die deutsch-marokkanische Kooperation in Sachen Wasserstoff für einige Monate in einer schweren Krise befand. Der Grund: Die marokkanischen Entscheider fühlten sich brüskiert von deutschen Äußerungen zur Unabhängigkeit der Westsahara – ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt in der Grenzregion von Marokko und Mauretanien. „Die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko ist für das Land nicht verhandelbar, das muss man wissen“, beschreibt Woertz. „Und durch die Kooperation bekommt Marokko für Deutschland mehr Gewicht und mehr Verhandlungsmacht.“ 

Denn der nordafrikanische Staat verfolgt eben auch eigene Interessen, kommerzielle und politische. Oder wie Institutsdirektor Woertz es zusammenfasst: „Marokko ist sicher nicht der schlechteste Partner für solche Projekte. Aber wie das Sprichwort sagt: ‚Alles hat seinen Preis.‘“ 

Mehr Länderportraits bei Zweitausend50

USA: Billionen für Straßen, Strom und Staudämme – Buckelpisten, Energie-Blackouts mitten im Winter: Die US-Infrastruktur braucht Investitionen. Ist Joe Bidens Weg der richtige? Zum Artikel

Energiewende in Zypern: Eine Insel sucht Anschluss  – Bei seinen Klimazielen hat Zypern einen umstrittenen Etappensieg errungen. Bis zur Klimaneutralität ist es aber noch weit. Mehr erfahren

Suche nach der Win-Win-Situation: Grünes Geld für Ghana – Das Weltklima ist nur zu retten, wenn der globale Süden mitzieht. Doch wie lassen sich Maßnahmen finanzieren? Unterwegs in Ghana. Zum Beitrag


Zurück zur Magazin-Übersicht Generation Neu

Suche