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Portfoliomanagement:

Alles eine Frage der Strategie

Was bedeutet das Auf und Ab der Märkte für diejenigen, die Strom beschaffen? Blick in die Abteilung Energiehandel der Stadtwerke Solingen.

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© Robert Albrecht/BDEW

 

Wenn sich Stefan Stüllein morgens an den Rechner setzt, fällt der erste Blick auf seinen Zweitmonitor, auf dem ununterbrochen die Zahlen einlaufen. Was kostet Strom, was kostet Gas gerade im Großhandel? Wie werden sich die Preise entwickeln? Für Stüllein sind diese Fragen zentral: Als Abteilungsleiter Energiehandel ist er mit seinem achtköpfigen Team dafür verantwortlich, dass sich die Stadtwerke Solingen mit der Energie eindecken, die für ihre Kunden wie selbstverständlich aus der Steckdose oder dem Gashahn kommt. Und dabei zählt vor allem eines: ein guter Preis.

Kein Wunder also, dass Stüllein auch im Laufe des Tages das Auf und Ab der Zahlen im Blick behält. „Im Energiehandel ist es am wichtigsten, dass man den Markt richtig einschätzen kann“, sagt er. Und dafür werden schon lange keine Zeitungen mehr gewälzt: „Alle Informationen, die ich brauche, bekomme ich über digitale Kanäle. Ohne IT-Unterstützung könnten wir diese Datenfülle gar nicht mehr analysieren.“ 

Wie viele Elektroautos sollen 2025 ans Netz?

Woher kommt aber nun der Strom, den Stüllein beschafft? „Wir haben ein breites Netzwerk an Handelspartnern und können wir bei diversen Anbietern einkaufen, zum Beispiel bei großen Energieversorgungsunternehmen oder größeren Stadtwerken“, sagt er. Konkret sind die Stadtwerke Solingen im Over-the-Counter-Markt (OTC) aktiv, wo bundesweit rund drei Viertel des Stroms gehandelt werden. Über die branchenbekannte digitale Plattform Enmacc treten die Einkäufer direkt mit den Händlern in Kontakt, schreiben aus, welche Mengen sie für welchen Zeitraum benötigen. Die Preise schwanken ähnlich wie an der Strombörse. Den Zuschlag bekommt der günstigste Anbieter; über die Plattform wird der Kauf besiegelt. 

Während die Stadtwerke den Strom für Industriekunden tatsächlich erst dann beschaffen, wenn diese auch einen Abnahmevertrag unterschrieben haben, wird bei den Privat- und Gewerbekunden mit Prognosen gearbeitet. Stülleins Team und die Kolleginnen und Kollegen anderer Abteilungen, etwa aus dem Vertrieb, kalkulieren dafür den Strombedarf für die kommenden Jahre: Wie viele Kunden springen wohl ab, wie viele Neuverträge kommen dazu? Aber auch: Mit wie vielen Elektroautos am Netz, mit wie vielen installierten Wärmepumpen ist zu rechnen? Könnten Effizienzmaßnahmen zu größeren Einsparungen führen? 

Das Auf und Ab der Märkte ausgleichen

Im OTC-Handel können Lieferungen mit unterschiedlichem Vorlauf vereinbart werden, von 24 Stunden bis hin zu mehreren Jahren. Das ist ähnlich wie im Termingeschäft der Strombörse. Die Stadtwerke Solingen splitten ihren Bedarf in Pakete, platzieren die erste Ausschreibung drei Jahre im Voraus. „Dieses Jahr kaufen wir für das Privatkundensegment Strom für die Jahre 2024, 2025 und 2026 ein. Das machen wir monatlich“, sagt Stüllein. „Andere Unternehmen planen kurzfristiger und beginnen beispielsweise erst ein halbes Jahr vor Belieferung mit der Eindeckung.“ Aktuell zahlt sich die Solinger Beschaffungsstrategie aus: Weil sich die Stadtwerke einen Teil des heutigen Strombedarfs bereits 2020 und 2021 gesichert haben, schlagen die hohen Preise aus dem letzten Jahr weniger stark durch. 

Doch nicht jede Kilowattstunde, die die Solinger 2023 verbrauchen, lässt sich weit im Voraus absehen: Neben dem Terminhandel sind die Stadtwerke daher noch im Spotmarkt der Börse aktiv, um im Day-Ahead- und im Intradayhandel Lücken für den Folgetag bzw. denselben Tag zu schließen. Und weil selbst Kurzfristprognosen nicht zu 100 Prozent genau sind, kommt die sogenannte Ausgleichsenergie dazu, für die oft hohe Spitzenpreise anfallen. Die Kosten werden den Stadtwerken direkt vom Übertragungsnetzbetreiber in Rechnung gestellt.

„Wer sein Portfolio relativ risikoneutral halten möchte, schaut daher, dass er möglichst wenig Ausgleichsenergie benötigt“, sagt Stüllein. Eine präzise Prognose ist Geld wert. Die funktioniert aber nicht ohne smarte Prognosetools: „Diese Tools sind elementar für die Ermittlung der Prognosen und die Prognoseanpassungen. Ohne IT-Unterstützung wäre eine möglichst optimale Ermittlung von Prognosen nicht mit vertretbarem Aufwand möglich.“ 

„Ein Portfoliomanager sollte Zahlen mögen“

„Man muss Zahlen mögen“, fasst der studierte BWLer die wichtigste Voraussetzung für seinen Job zusammen. Das zählt im Energiehandel sowie im Austausch mit den anderen Abteilungen – etwa dann, wenn die Portfoliomanager den Vertrieb mit ihren Daten unterstützen, damit die Risiken auch in die Absatzpreise einkalkuliert werden können. Viele der bisher ausschließlich männlichen Kollegen sind beispielsweise Ingenieure, Mathematiker, Naturwissenschaftler oder haben einen technischen Hintergrund, einen klassischen Werdegang gibt es nicht.

Allerdings dürfe man sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen, wenn es um den richtigen Einkaufszeitpunkt geht, sagt Stüllein: „Früher war es schon ein wilder Tag, wenn sich der Preis um mehr als einen Euro bewegt hat. Das wäre heutzutage sehr, sehr ruhig.“ Dieses Auf und Ab kann erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, im schlimmsten Fall also: teuer werden. Im Idealfall ergeben sich daraus Chancen. 



Um diese zu nutzen, kommt es vor allem darauf an, den Markt genau zu kennen und die Auswirkungen aktueller Ereignisse und politischer Entscheidungen einschätzen zu können. Das hat gerade das letzte Jahr gezeigt, in dem Stüllein in noch mehr Besprechungen saß als bisher. Durch die aktuellen Entwicklungen sei der Kommunikationsbedarf weiter gestiegen. Auch die Beschaffungsstrategie kam auf den Prüfstand.

Zum Beispiel wird abgewogen, was eigentlich für den OTC-Handel, was für das Termingeschäft an der Strombörse spricht. „Mittlerweile kann der Unterschied zwischen einer guten und einer nicht so guten Beschaffungsstrategie einen sieben- bis achtstelligen Betrag ausmachen und das Jahresergebnis signifikant beeinflussen. Für die Versorger ist es damit noch wichtiger geworden, sich verantwortungsvoll einzudecken“, sagt er. Die Jobaussichten für PortfoliomanagerInnen seien daher gut; viele Energieversorger sind auf der Suche nach Unterstützung im Energiehandel. Das dürfte sich angesichts des Aufs und Ab der Märkte auch in den kommenden Jahren kaum ändern. 

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