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Serie zur Wärmewende:

Power-to-Gas, Wasserstoff und Windthermie

Der Wärmemarkt steht vor einem Umbruch. Was hat eine LKW-Bremse damit zu tun? Kleine Deutschlandreise in drei Etappen.

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© Robert Albrecht/BDEW

Der Anteil der fossilen Energien am deutschen Wärmemarkt muss sinken. In unserer dreiteiligen Serie stellen wir im Rahmen einer kleinen Deutschlandreise Innovationen im Bereich klimaschonende Wärmeversorgung vor. Hier Teil1 : über Wasserstoffinseln, Prototypen und umfunktionierte LkW-Bremsen.

Eine Wiese, eine Lagerhalle, ein grauer Container – und dazu eine Kleinwindanlage, deren Flügel sich leise drehen: Auf den ersten Blick passiert nur wenig auf dem Gelände des Windkraftanlagenherstellers PSW in Celle. Dabei ist hier echte Pionierarbeit zu sehen. Anhand eines weltweit einmaligen Prototyps erprobt ein Team des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik, wie sich Windenergie direkt in Wärmeenergie verwandeln lässt. Entscheidend dafür ist ein Bauteil, das im Container steckt und aus einer ganz anderen Branche stammt – eine LKW-Bremse. Über eine Welle ist sie direkt mit dem Windrad verbunden.

Diese Bremse, in der Fachsprache auch „hydrodynamischer Retarder“ genannt, wandelt das Drehmoment in Wärme um. Im LKW selbst wird diese Wärme nicht gebraucht, die Komponente ist daher darauf optimiert, möglichst viel Wärmeenergie an ein Austauschmedium abzugeben, erklärt Projektleiter Malte Neumeier. Dies will man sich in Celle zunutze machen und mit der so gewonnenen Wärme heizen. Das könnte vor allem für standortnahe Verbraucher wie Gewächshäuser und die Industrie, aber auch über die Einbindung in ein Fernwärmesystem funktionieren. Die Vision dahinter: mit der Windthermie einen neuen Ansatz für die klimaneutrale Wärmeversorgung von morgen zu entwickeln. 

Fast 40 Prozent der CO2-Emissionen für Wärme

Denn jeder Hebel zählt, um die Klimaschutzziele und damit die vollständige Treibhausgasneutralität bis 2045 auch im Wärmemarkt zu erreichen. In der Gesamtbilanz hat dieser Bereich großes Gewicht: Mehr als jede zweite Kilowattstunde Energie in Deutschland wird für Raum- und Prozesswärme oder Warmwasser aufgewendet, fast 40 Prozent aller CO2-Emissionen entstehen im Wärmesektor. Während der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch im ersten Halbjahr 2022 bei 49 Prozent lag, betrug ihr Anteil am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte 2021 nur 16,5 Prozent. Nicht erst angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine wird deutlich, dass hier etwas passieren muss: Gesucht sind neue Ideen und Umsetzungen im wirklich großen Maßstab. Was tut sich also in der Praxis? 

Windrad ohne Strom: der Windthermie-Prototyp

Zurück nach Celle: Dort ist heute an den Retarder bereits ein Wärmespeicher angebunden, in dem eine Temperatur von 70 Grad Celsius erreicht wird. Es klappt also, Windkraft direkt für die Wärmeerzeugung zu nutzen. „Wir haben gesehen, dass das technisch funktioniert“, sagt Projektleiter Malte Neumeier. „Jetzt geht es darum, die Wärmeverluste zu reduzieren und die mechanische Effizienz zu erhöhen, indem wir den Retarder in die Gondel des Windrads integrieren“, beschreibt er die nächsten Schritte. Auch das wirtschaftliche Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten wolle man weiter untersuchen. In wenigen Jahren könnte die Technologie dann marktreif sein. Langfristig sieht Neumeier dafür durchaus einen großen Markt: „Für Raumwärme und rund die Hälfte der Prozesswärme sind Temperaturen unter 200 Grad eigentlich ausreichend. Die Windthermie hat daher großes Potenzial, zur Dekarbonisierung und Flexibilisierung des Wärmemarkts beizutragen.“ Wie es kurzfristig weitergeht, hänge allerdings vor allem davon ab, ob der Prototyp in Celle eine Förderung für die nächste Phase bekommt.



Denn noch steckt die Entwicklung der Windthermie weltweit in den Kinderschuhen; erst in den letzten Jahren hat das Thema Auftrieb bekommen. Die Pluspunkte, die die WissenschaftlerInnen sehen, gerade im Vergleich mit dem Bau klassischer Windkraftanlagen: Die eingesetzten Kleinwindanlagen lassen sich ohne größere Hürden im Genehmigungsprozess dort aufstellen, wo die Wärme verbraucht wird, auch die Investitionen in die Anlagen sind ohne die kostenintensiven elektronischen Komponenten niedriger, die in Windkraftanlagen zur Stromerzeugung verbaut werden. „Grundsätzlich ist es einfach sinnvoll, Wärme direkt aus Wind herzustellen. Weil wir erstens mehr Wärme als Strom verbrauchen und zweitens sowieso viel Windstrom in Wärme umgewandelt wird. So erhöhen wir den Wirkungsgrad, wenn wir uns einen Umwandlungsschritt sparen“, sagt Malte Neumeier. Und man entlaste die Stromnetze. Ob die Technologie auch in größerem Maßstab funktioniert, so dass sie für Stadtwerke oder die Industrie bald eine Option ist? „Wir sind optimistisch, dass sich diese Technologie vergleichsweise einfach nach oben skalieren lässt“, so Neumeier.

Mit Wasserstoff klimaneutral kochen und heizen

Technologisch deutlich anspruchsvoller sind da schon die Schlüsseltechnologien Power-to-Gas und Power-to-Heat: Die entsprechenden Anlagen nutzen zum Beispiel überschüssigen Windstrom, um Gas – etwa grünen Wasserstoff – oder direkt Wärme zu erzeugen. Der Ertrag der Erneuerbaren wird so speicherbar, Stromerzeugung und Wärmeversorgung sind direkt miteinander gekoppelt. Um die Dekarbonisierung und den Ausstieg aus den fossilen Energien voranzutreiben, geht es jetzt darum, diese Technologien in der Praxis in den Wärmemarkt zu integrieren. 

Zum Beispiel in Öhringen bei Heilbronn. Im Rahmen des Leuchtturmprojekts der Energiewende „Wasserstoffinsel Öhringen“ erprobt der Verteilnetzbetreiber Netze BW GmbH deutschlandweit zum ersten Mal in Deutschland die Beimischung von 30 Prozent Wasserstoff ins Erdgasnetz. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich grüner Wasserstoff, chemisch: H2, innerhalb der bestehenden Infrastruktur als klimaneutraler Erdgasersatz, chemisch: Methan bzw. CH4, nutzen lässt – und das, obwohl sich die Zusammensetzung und Eigenschaften der Gase unterscheiden. Wasserstoff ist beispielsweise besonders flüchtig, so dass Rohre, Tanks und Speicher aufwändiger abzudichten sind als bei „klassischen“ Gasleitungen. Auch das Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW)  zur Einspeisung von Wasserstoff wurde zuletzt angepasst. In einem Forschungsprojekt in Sachsen-Anhalt wurde zum Ende der Heizperiode 2021/2022 zum ersten Mal überhaupt 20 Prozent Wasserstoff ins Netz eingespeist. 



Langfristiges Ziel der Netze BW ist es, komplett auf Erdgas zu verzichten: In Zukunft soll klimaneutrales Heizen mit 100 Prozent regenerativem Wasserstoff ermöglicht werden. In Öhringen startete man Ende 2021 zunächst mit einer Beimischung von zehn Prozent, um herauszufinden: Sind die Netze fit für die Umstellung? Sind Nachrüstungen nötig, und wenn ja: wo? Im ersten Schritt wurde dafür ein Segment des lokalen Erdgasnetzes abgetrennt, an das neben den Liegenschaften des Unternehmens auch rund 30 Testhaushalte angeschlossen sind. Im Juni 2022 war dann der erste Meilenstein erreicht. Die unternehmenseigenen Betriebsgebäude wurden ohne Einschränkungen mit einem Mischgas aus Erdgas und 30 Volumenprozent Wasserstoffanteil versorgt. Seither wird auch in den umliegenden Haushalten der Wasserstoffanteil nach und nach erhöht.

Dieses Einbeziehen der Nachbarschaft sei für ein möglichst realistisches Szenario besonders wichtig, so Netze BW: Schließlich habe jeder ein anderes Nutzungsverhalten, auch die verbaute Technik sei nirgendwo gleich. „Wir wollen zusammen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern der Stadt Öhringen zeigen, dass mit der bestehenden Infrastruktur sowohl netzseitig als auch anwenderseitig, also mit den Geräten beim Kunden, schon so ein hoher Wasserstoffanteil möglich ist,“ sagt Netze BW-Projektleiterin Dr. Heike Grüner in einem Unternehmensvideo. Letztlich wolle man belegen, dass man mit weniger CO2 genauso gut heizen und kochen könne wie mit Erdgas.  Der Elektrolyseur, der den klimaneutralen Wasserstoff erzeugt, steht seit Ende 2022 jedenfalls auf dem Unternehmensgelände. Im ersten Quartal 2023 wird er in Betrieb genommen. Ein weißer Tank, zwei helle Container – auf den ersten Blick sieht die Wärmewende auch in Öhringen recht unspektakulär aus. 

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