Frau Dr. Burghard, Sie sind Expertin für Beteiligungsforschung. Wie erreicht man die jüngere Generation?
Wir unterscheiden zwischen formellen und informellen Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung. Von formellen Verfahren spricht man bei vom Gesetz vorgeschriebenen Partizipationsformaten, beispielsweise Wahlen oder Konsultationen. Jüngere Menschen sind dabei oft unterrepräsentiert – obwohl sie selbst stark betroffen sind, gerade wenn es wie bei Energie und Klimaschutz um ihre Zukunft geht. Das ist kritisch zu sehen, denn eigentlich sollten, wenn man sich beteiligen kann, auch alle Bevölkerungsgruppen vertreten sein.
Gleichzeitig sind informelle Formate, die wie Klimaschutzinitiativen wenig institutionalisiert sind, von jüngeren Menschen dominiert. Ein Beispiel ist Fridays for Future. Wenn es in Richtung LGBTIQ, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit niedrigem Einkommen oder andere vulnerable Gruppen geht, sagt allerdings selbst die Klimabewegung, dass sie diverser werden könnte.
Woran hakt es bei Beteiligungsformaten rund um Infrastrukturprojekte?
Man spricht hier auch vom sogenannten Beteiligungsparadox. Wenn Menschen in übergeordneten Planungsstufen noch viele Möglichkeiten haben, Einfluss zu nehmen, nehmen sie diese Möglichkeiten als abstrakt wahr und nutzen sie kaum. Wird es dann lokal konkret mit einem Infrastrukturprojekt, beispielsweise mit Rodungen, wächst der Wunsch, sich doch zu beteiligen. Allerdings sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme dann eher begrenzt. Das kann zu Frust führen.
Im Projekt INTEGER arbeiten Sie an einem „integrativen Beteiligungsansatz“. Was bedeutet das?
Zunächst wollen wir überregionale Formate im Thema Energiewende evaluieren, wie es sie mit dem Bürgerdialog Stromnetz oder dem Bürgerrat Klima mittlerweile gibt. Darauf aufbauend wollen wir in INTEGER einen integrativen sektor- und ebenenübergreifenden Beteiligungsansatz entwickeln. Das bedeutet, die Bundes- und die Landesebene mitzudenken und die Sektoren Wärme, Strom und Mobilität zu integrieren.
Auf diese Weise können wir zum Beispiel die Sektorkopplung besser erklären. Wir hoffen, mit diesem integrativen Ansatz auch dem beschriebenen Beteiligungsparadox entgegenzuwirken.
Wie wollen Sie Jüngere einbinden?
Etwa über Zukunftswerkstätten. Da gibt es dann eine Art moderierte Gruppendiskussion, mit Kritik-, Fantasie- und Realisierungsphase. Allerdings erreicht man damit auch eher diejenigen, die ohnehin am Thema Energie interessiert sind. Hier sollte man berücksichtigen, dass Jüngere keine homogene Gruppe sind, gerade zwischen Stadt und Land sind die Unterschiede groß.
Worauf kommt es an, wenn Projektierer vor Ort Beteiligung gestalten?
Viele schaffen freiwillig informelle Verfahren oder zusätzliche Beteiligungsmöglichkeiten, obwohl das gar nicht vorgeschrieben ist. Weil die Erfahrung zeigt: Wir müssen früh anfangen zu kommunizieren, um Akzeptanzhürden und Widerstand vor Ort entgegenzutreten. Wichtig ist auch, dass der Absender als glaubwürdig und vertrauenswürdig wahrgenommen wird.
Haben Sie konkrete Tipps?
Man kann zum Beispiel mit externen Expertinnen und Experten arbeiten, um eine Tatsachenbasis zu schaffen. Auch die Verfahrensgerechtigkeit und Transparenz spielen eine Rolle, das heißt, deutlich zu machen: Wie werden Beteiligungsergebnisse in das Projekt überführt? Wo ist überhaupt Gestaltungsspielraum? Und man sollte sich überlegen, wie man mit Konflikten umgeht, die vor Ort schon aufgetreten sind.
Da wäre es ratsam, Kritik nie abzutun, selbst wenn sie abwegig erscheint, sondern die Bedenken anzunehmen, Wertschätzung zu zeigen und auch auf emotionale Vorbehalte einzugehen. Gerade um Jüngere zu erreichen, sind Digitalformate eine gute Möglichkeit. Man kann über eine Projektwebsite, ein Blog oder Social Media zum Beispiel Infografik-Storys und Videos veröffentlichen.
Können Sie aus der lokalen Praxis berichten?
Im Murgtal begleiten wir das Projekt eWayBW, bei dem es um Oberleitungsmasten für LKW geht. Hier sehen wir, wie wichtig kontinuierliche Information durch die Vorhabensträger ist, gerade wenn im Realbetrieb technische Probleme auftreten – und die treten auf, wenn man eine neue Technologie testet. Das müssen wir ansprechen und offen über den Zweck und die Hintergründe kommunizieren. Diese Kommunikation bedeutet auch Aufwand, es braucht ein Budget und Zeit.
Welche digitalen Formate haben sich in diesem Zusammenhang etabliert?
Das interdisziplinäre Projekt MEnergie, das im gleichen Programm gefördert wird wie INTEGER, nutzt beispielsweise Virtual Reality und Augmented Reality. Das ist ein gutes Hilfsmittel, um Dinge zu visualisieren und Jüngere und IT-affine Menschen zu erreichen. Auch Serious Games könnten in Zukunft eine Option sein.
Wenn man die Energiewende als gesamtgesellschaftliche Transformationsaufgabe versteht, ist es zentral, dass sich alle Akteurinnen und Akteure beteiligen können und wir keine Zielgruppe verlieren. Dafür braucht man differenzierte Instrumente.
Stichwort Serious Games: Welches Potenzial haben diese Formate?
KollegInnen entwickeln für die Stadt Karlsruhe gerade das Mobile City Game. Dabei geht es um Transformationsprozesse und konkret um die Frage: Was sind Ziele und Zielkonflikte der Stadt- und Mobilitätsentwicklung bis 2030? Eine Aufgabe wäre zum Beispiel, Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen – entweder bei maximaler Zufriedenheit der BürgerInnen oder eben bei minimaler Belastung der Stadtkasse.
Die Spielenden müssen dann einen Blick auf die Interessensgruppen haben, Konflikte aushandeln und Ziele priorisieren. Natürlich muss so ein Spiel auch eine ansprechende Oberfläche haben, und man braucht Zeit und Motivation, um mitzumachen. Grundsätzlich kann das Format aber sehr sinnvoll sein. Denn im Idealfall entstehen Wissen und Akzeptanz, wenn man die Auswirkungen seines Handelns sieht.
Frau Dr. Burghard, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Uta Burghard ...
… ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende, insbesondere von neuen Mobilitätstechnologien, -konzepten und -infrastrukturen, ist einer ihrer Arbeitsschwerpunkte. Burghard studierte Soziologie und Psychologie und promovierte 2016 an der Leuphana Universität Lüneburg.
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