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Vorbild Weltall:

Das Potenzial der Kernfusion 

US-Wissenschaftler feiern einen Durchbruch, in Deutschland wird diskutiert: Ist die Kernfusion Meilenstein oder Milliardengrab? 

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© Robert Albrecht/BDEW

Thomas Klinger sitzt vor hoch gestapelten blauen Schreibtisch-Ablagen. Es ist ein Montag und der Leiter des Bereichs „Stellarator-Dynamik und -Transport“ des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald sieht im Gespräch gut erholt aus  – obwohl für ihn gerade eine wichtige Experimentierphase dem Ende zugeht: In wenigen Wochen wird die weltgrößte Kernfusionsanlage „Wendelstein 7-X“ vom Typ Stellarator genügend Daten angehäuft haben, um mehr als ein Jahr dran zu forschen. Hunderte Terabyte an Daten werden die Wissenschaftler auswerten. 

Im Fokus der Wissenschaftler: Sie wollen aus den Ergebnissen des Testbetriebes erfahren, ob auch ein kontrollierbarer Dauerbetrieb möglich wäre. Anders gefragt: Wie kann auf Erden das geschehen, was die Sonne seit über fünf Milliarden Jahren schafft – die Fusion von Kernen? 

Kernfusion - sie ist eine der großen Rätsel der Energiegewinnung. Die positive Erzählung - sie geht in etwa so: Auf der Suche nach einer Lösung für die Energieprobleme der Menschheit könnte die Kernfusion einen gewichtigen Beitrag leisten. Anders als im Atomkraftwerk werden bei der Kernfusion die Kerne nicht gespalten, sondern verschmolzen. Und im Unterschied zu Atomkraft erzeugt die Kernfusion dabei keinen hochradioaktiven Abfall. Stattdessen verschmelzen diebeiden leichten Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Die dabei entstehende Masse ist geringer - dieser Massenunterschied wird als Energie freigesetzt. Es ist die selbe Reaktion, die die Sterne im Weltall leuchten lässt - eine ungeheure Kraftquelle. 

Die negative Erzählung rund um die Kernfusion hingegen lässt sich mit einem Witz erklären: "Der erste Kernfusionsreaktor ist immer 30 Jahre entfernt." Mit anderen Worten: Kernfusionsforschung dauert ewig, kostet Unsummen, führt zu nichts. Das galt im Jahr 1985, als die Atommächte in Person von Gorbatschow, Mitterand und Reagan den ersten gemeinsamen Forschungsmeiler anstießen. Oder in den 2000er-Jahren, als US-Wissenschaftler in Kalifornien mit Lasern auf kleine Diamantkugeln schossen, gefüllt mit Deuterium und Tritium. Vielleicht ist der Witz seit dem 5. Dezember 2022 nun aber überholt. 

Durchbruch in den USA

Da gelang es den Kernfusionsforschern an der National Ignition Facility – eine Einrichtung des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien –, mehr Energie durch eine Kernfusion zu erzeugen als verbraucht wurde. Die US-Forschungsministerin sprach von einem „bedeutenden wissenschaftlichen Durchbruch“, die internationale Forschergemeinschaft zeigte sich beeindruckt. Auch Thomas Klinger bezeichnet das Ereignis als einen großen wissenschaftlichen Erfolg. Jedoch schiebt er hinterher: „Daraus wird noch kein Kraftwerk in den nächsten Jahren.“ Denn bei aller Freude argumentieren Kritiker, dass es eine Frage der Perspektive und Definition sei, wie viel Energie tatsächlich ins Experiment geflossen und wie viel freigesetzt worden ist.

30 Jahre Forschung für den Bruchteil einer Sekunde

„Unsere Kollegen in Kalifornien haben 30 Jahre geforscht, um dies einmal für den Bruchteil einer Sekunde hinzubekommen“, sagt Thomas Klinger. "Sie haben Rückschläge erlitten und Enttäuschungen erfahren, sind aber trotzdem zäh am Ball geblieben.“ Allein dafür zollt er seinen Respekt. „Doch in aller Bescheidenheit: Wir sind hier mit unserer Technologie der Magnetfusion und unserem Stellarator Wendelstein 7-X schon näher dran.“ Denn während die US-Amerikaner mit der Lasertechnologie arbeiten, setzen die Deutschen auf die Magnetfusion im Stellarator: einem Reaktortyp, der die Kernfusion mithilfe des magnetischen Einschlusses ermöglicht. 

Ein Donut aus Metallspulen

Rund 150 WissenschaftlerInnen  und ebenso viele IngenieurInnen arbeiten in Greifswald daran, die Kraftwerktauglichkeit der Kernfusion mittels Magnettechnologie zu realisieren. Kernstück der Anlage ist ein Metallring. Er hat die Form eines Donuts aus speziell geformten Magnetspulen, die mit einem optimierten Magnetfeld 50 Millionen Grad heißes Plasma einschließen.

Bildergalerie: Der Greifswalder „Donut“

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„Wir schaffen mittlerweile gute 100 Sekunden lange Plasmaentladungen mit fünf Megawatt Heizleistung, das ist etwa die Hälfte von dem, was wir leisten wollen – zudem für 30 Minuten.“ In den Reaktor wird Wasserstoffgas eingelassen, das mittels der Magnetspulen zu heißem Plasma wird (Plasmaentladung) und so die Kernfusion auslöst. Rund 1,3 Milliarden Euro Fördermittel des Bundes sind bereits in das Projekt geflossen.

Kritik: Zu teuer, zu langsam

Eine Menge Geld - und das bisher Erreichte genügt KritikerInnen bei Weitem nicht. „Im Kampf gegen die Klimakrise kommt die Kernfusion Jahrzehnte zu spät, sollte sie je funktionieren“, sagt der Grünen-Politiker Stefan Wenzel, früherer niedersächsischer Umweltminister und heute Mitglied des Bundestages. Er beobachtet die Entwicklungen rund um die Kernfusion seit Jahrzehnten und kann über den Witz mit den 30 Jahren keineswegs lachen. „Der Zeitraum für die potenzielle ökonomische Nutzbarkeit, der seit Jahrzehnten in Aussicht gestellt wird, liegt immer noch in weiter Ferne. Wir wollen aber in Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Das ist in 22 Jahren, und alle mir bekannten Forschungsberichte sagen: Dafür kommt es zu spät.“ 

Den Politiker stört zudem die Heilserwartung, die die Kernfusionsforschung schüre: „Aus meiner Sicht ist Grundlagenforschung auch hier in Deutschland wichtig, aber wir müssen unsere begrenzten Haushaltsmittel mit Bedacht einsetzen. An dieser Abwägung kommt kein Haushaltspolitiker vorbei“, sagt Wenzel.



„Kommt zu spät“, „ist ein Milliardengrab“ - Thomas Klinger kennt solche Vorwürfe. Das Geld sei aber nicht vergraben und damit verloren – sondern es sei wertvolle Forschungsarbeit entstanden, die der Menschheit zusätzliche Optionen eröffne. „Im Englischen gibt es die Redewendung ‚Not to put all your eggs in one basket‘. Und genau das dürfen wir nicht tun, wenn wir alles auf eine Energieform setzen.“ 

Die Konkurrenz in anderen Ländern sieht Klinger gelassen. Konkurrenz belebt das Geschäft – das war auch bei der ersten bemannten Mission zum Mond der Fall. Thomas Klinger führt daher gern internationale Forscher durch die Anlage. Ein Forscherkollege aus China war kürzlich da. Der chinesische Kollege meinte beim Rundgang mit Blick auf die Geräte selbstbewusst: „Ah, das können wir auch!“, „Ah, das können wir besser!“, dann sah er den komplexen Wendelstein 7-X mit seinem Labyrinth aus Stahlteilen, Rohren sowie Kabeln, lachte auf und sagte: „Ah, das können wir noch nicht. Das kaufen wir dann von den Deutschen.“

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