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Energiekrise und Staat:

„Doppel-Wumms“ auf europäisch

2022 hat die Bundesregierung mit Milliardenhilfen auf die steigenden Energiepreise reagiert. Und anderswo? Blick nach Europa.

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© Robert Albrecht / BDEW

Im August 2022 erreichte der Gaspreis in Europa Rekordhöhen. Für mehr als 300 Euro wurde die Megawattstunde damals gehandelt – im Vorjahr, im Juni 2021, lag der Preis noch bei rund 30 Euro, einem Zehntel davon. Schon im zweiten Halbjahr 2021 zahlten  beispielsweise Unternehmen nach Angaben des Statistischen Bundesamts 51,6 Prozent mehr für Gas als im ersten Halbjahr. Eine der Hauptursachen? Mit Ende der pandemiebedingten Einschränkungen zog die Wirtschaftstätigkeit wieder an – und weltweit stieg die Nachfrage nach Energie. Auch die längere Heizperiode 2020/2021, die wetterbedingt niedrigen Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien und, im geringeren Umfang, ein höherer Kohlenstoffpreis im Rahmen des Emissionshandels (ETS) trugen zur Belastung bei. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 verschärfte die Situation. Immerhin importierte die EU noch im Jahr davor 40 Prozent ihres Gases aus Russland.

Verunsichert waren nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch die nationalen Regierungen sahen sich veranlasst, in den Markt einzugreifen, um die Effekte der rasant steigenden Energiepreise abzufedern. Eine Analyse des Thinktanks Bruegel hat diese Eingriffe nun beziffert: Demnach brachten die EU-Länder seit Beginn der Energiekrise auf nationaler Ebene 646 Milliarden Euro auf, um Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Zur Einordnung dieser Summe: Die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts belaufen sich 2023 auf 476 Milliarden Euro. Und der EU-Aufbaufonds „NextGeneration EU“, der helfen soll, die pandemiebedingte Krise zu bewältigen, ist 750 Milliarden Euro schwer.

Deutschland mit EU-weit höchsten Energiehilfen

Fast zwei Fünftel der EU-weiten Ausgaben, nämlich 256 Milliarden Euro, entfallen der Rechnung zufolge allein auf Deutschland. Damit führt Deutschland mit seinen Entlastungspaketen und dem sogenannten Abwehrschirm – von der Bundesregierung auch als „Doppel-Wumms“ betitelt – die Rangliste in puncto Gesamtausgaben an. Auf den nächsten Plätzen folgen Italien (92,7 Mrd. Euro) und Frankreich (92,1 Mrd. Euro). Auch wenn man diese Milliardensumme ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft setzt, bleibt die Bundesrepublik Spitzenreiter (Ausgaben von 7,4 % des BIP). Es folgen Malta und Bulgarien auf den Rängen zwei und drei. Insgesamt haben vier weitere Länder mehr als fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts investiert, um Haushalte und Unternehmen zu entlasten. Deutlich weniger ist es am unteren Ende des Rankings: Finnland und Dänemark kommen auf Ausgaben von 0,6 bzw. 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Ebenfalls vorn liegt Deutschland, wenn man die Ausgaben pro Kopf betrachtet: Dann führen Luxemburg, Deutschland und Österreich die Tabelle an. Statistisch belaufen sich die Energiehilfen der Bruegel-Berechnung zufolge hierzulande auf 3.179 Euro pro Person. Am anderen Ende der Skala: wiederum Finnland (256 Euro) sowie Zypern (233 Euro).

EU-weit populäre Maßnahmen

Gaspreisbremse, Strompreisbremse, Neun-Euro-Ticket und der sogenannte „Tankrabatt“, aber auch Einmalzahlungen wie der „Kinderbonus“: die nationalen Maßnahmen waren nicht nur in Deutschland breit gefächert. Insgesamt machen die Analysten fünf Hebel aus, die in fast allen EU-Ländern bedient wurden:

  • Unterstützung bzw. Entlastung für Unternehmen (alle)
  • die Senkung der Energie- bzw. Mehrwertsteuer (alle, außer: Malta, Slowakei)
  • Transferleistungen für bedürftige Gruppen (alle, außer: Ungarn, Malta)
  • Regulierung der Verbraucherpreise (alle, außer: Finnland, Irland, Litauen)
  • Einführung einer Übergewinnsteuer (alle, außer: Kroatien, Estland, Lettland, Malta)

Nur wenige Mitgliedsländer setzten hingegen darauf,  Firmen in staatliche Obhut zu nehmen, wie das beispielsweise in Frankreich der Fall war. Dort beschloss die Regierung im Juli 2022, den in die Schieflage geratenen Stromanbieter Électricité de France (EDF) voll zu verstaatlichen, der auch die 56 französischen Kernkraftwerke betreibt. Kosten der Maßnahme: rund 10 Milliarden Euro. Auch Eingriffe in den Großhandel gab es nur in wenigen Ländern: etwa in Spanien und Portugal im Rahmen der „iberischen Ausnahme“. Dort wurde mit Sondergenehmigung aus Brüssel der Preis für Gas zur Stromerzeugung gedeckelt, sodass auch der Großhandelspreis für Strom sank.

Kritik am „Gießkannenprinzip“

Clustern lassen sich die zwischen September 2021 und Januar 2023 EU-weit implementierten nationalen Maßnahmen in „zielgerichtet“ und „nicht-zielgerichtet“, in „preisorientiert“ und in „einkommensorientiert“. Ergebnis der Bruegel-Auswertung: ein Großteil der Gelder floss in die nicht zielgerichteten „Gießkannenhilfen“, wobei hier die preisstabilisierenden Maßnahmen den Löwenanteil ausmachten. Das wird durchaus kritisch gesehen. „Anstelle von preisstabilisierenden Maßnahmen, die de facto fossile Brennstoffe subventionieren, sollten Regierungen auf einkommensstützende Maßnahmen setzen“, sagt Autor Giovanni Sgaravatti. Diese sollten sich auf die unteren Einkommensgruppen und strategische Sektoren der Wirtschaft fokussieren.

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