Es ist nur ein Mausklick beim Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), doch er setzt mehrere Hunderttausend Volt in Bewegung: immer dann, wenn eine große Höchstspannungsleitung in Betrieb genommen wird. Mehr als 130.000 Kilometer umfasst das deutsche Hoch- und Höchstspannungsnetz, rund 10 Prozent davon sind Erdkabel. Der Mausklick ist Start und Endpunkt zugleich: Eine neue Stromtrasse quer durch die Republik macht es möglich, dass Windenergie aus Schleswig-Holstein Elektroautos in Bayern lädt. Und gleichzeitig markiert der Klick den erfolgreichen Abschluss eines gigantischen Projekts.
Aber nicht nur die großen Trassen müssen aufgestockt werden: Nach einer Analyse aus dem Jahr 2024 braucht das deutsche Verteilnetz bis 2045 mehr als eine halbe Million Kilometer Kabel und 500.000 Transformatoren. 255 Mrd. EUR Investitionen sind allein bis 2030 nötig, um die Übertragungs- und Verteilnetze in Deutschland zukunftsfähig auszubauen. Das Ziel: die Erneuerbaren möglichst umfänglich zu nutzen, indem Sonnen- und Windstrom stets dort hingeleitet werden, wo sie gerade gebraucht werden.
Doch wer entscheidet eigentlich, wo die großen Trassen gebaut werden? „Die Trassenplanung hat ihre Grundlage in einem rollierenden Prozess: Man schaut immer wieder aufs Neue, wo noch Elemente und Linien im Netz fehlen, damit das Bild aktuell ist und komplettiert wird“, sagt Stefan Mirschel, Project Director beim ÜNB TenneT. Er ist unter anderem verantwortlich für das Erdkabel Suedlink, das auf einer Länge von rund 700 Kilometer vom windreichen Schleswig-Holstein bis nach Süddeutschland führen soll.
Erst planen, dann bauen
Die Grundlage für jede neue Leitung wird im Netzentwicklungsplan gelegt, der alle zwei Jahre von den ÜNB erstellt wird: Davon gibt es hierzulande vier: TenneT ist zuständig für weite Teile Nord- und Mitteldeutschlands, 50Hertz für den Osten Deutschlands, Amprion hauptsächlich für den Westen – und TransnetBW für Baden-Württemberg. Im Netzentwicklungsplan wird der Bedarf neuer Leitungen ermittelt, um den zukünftigen Strombedarf zu decken. Die Bundesnetzagentur prüft und bestätigt den Plan. Der Bundestag genehmigt die Erforderlichkeit der Projekte im Bundesbedarfsplangesetz.
Zunächst muss dabei die Technologie geklärt werden – wird es eine Freileitung oder ein Erdkabel? Denn das ist entscheidend für mögliche Verläufe der Trassen. Ein wichtiger nächster Schritt ist die Festlegung eines Trassenkorridors. Dabei wird die Öffentlichkeit intensiv eingebunden: Bürger, Verbände, politische Akteure und die ÜNB diskutieren über die besten Lösungen.
Unterschiedliche Typen von Strommasten
Bei der Frage Erdkabel oder Freileitung geht es in erster Linie um Akzeptanzfragen. Die jedoch gar nicht so eindeutig zu beantworten sind, sagt Marcel Krause von 50Hertz: „Einmal verlegte Erdkabel stören zwar das Landschaftsbild nicht, dafür müssen wir aber sehr viel stärker in die Natur eingreifen, um sie zu verlegen. Außerdem ist das Verlegen teurer als das Errichten von Freilandleitungen“.
Ein gleich langes Erdkabel koste je nach Gelände zwei bis acht Mal so viel wie eine Freileitung. Allein für die Vorhaben NordWestLink (607 Kilometer von Niedersachsen bis Baden-Württemberg), SuedWestLink (730 Kilometer von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg) und OstWestLink (594 Kilometer von Niedersachsen bis Sachsen) schätzen die ÜNB das Einsparpotenzial durch den Einsatz von Freileitungen anstelle von Kabeln auf über 20 Milliarden Euro nur bei den Investitionen. Nicht zuletzt, so Krause, sei im Falle eines Schadens außerdem die Suche nach der schadhaften Stelle und die Reparatur deutlich komplexer als bei einer Freilandleitung.
Wichtige Expertise vor Ort einbinden
Der Dialog mit den Betroffenen vor Ort sei dabei keine lästige Pflichtübung, sagt Stefan Mirschel von TenneT: „Zum einen stellt man Akzeptanz in der Bevölkerung nur im gemeinsamen Dialog her, zum anderen erhalten wir gerade für die kleinräumige Optimierung der Trasse immer wieder von den Bewohnern wertvolle Hinweise“. Denn, so Mirschel, die Menschen vor Ort kennen die geologischen Bedingungen, ehemaligen Nutzungen von Böden und andere Besonderheiten seit Jahrzehnten. Auf diese Weise helfen sie oft, den Trassenverlauf optimal zu gestalten. Im anschließenden Planfeststellungsverfahren wird die genaue Trasse innerhalb des genehmigten Korridors definiert. Hierbei spielen Umwelt- und Naturschutzorganisationen, Landbesitzer und die Planfeststellungsbehörden eine zentrale Rolle.
Kein Wunder also, dass der eigentliche Trassenbau ein vergleichsweise kurzfristiger Prozess ist: „Fast zwei Drittel des Gesamtzeit entfallen auf Planung und Genehmigung“, so Mirschel. Bei SuedLink beispielsweise seien das rund neun Jahre, während der Bau etwa fünf Jahre dauere. Hier kommt schweres Gerät zum Einsatz, denn die benötigten Komponenten sind Schwergewichte: So wiegt beispielsweise ein Kilometer des 525.000-Volt-Gleichstromkabels über 40 Tonnen. Die längsten verlegten Teilstücke sind fast zwei Kilometer lang.
Drum prüfe, was sich elektrisch verbindet
Direkt nach dem Bau fließt aber immer noch kein Strom. Bei Freileitungen müssen die elektrischen und mechanischen Eigenschaften der Leitung mit Belastungstests geprüft werden. Dabei wird simuliert, was wohl jeder schon mal im Sommer gesehen hat: Leitungen, die im heißen Sommer bei voller Last sichtbar „durchhängen“ – und dennoch sicher von den Masten gehalten werden. Verlegte Kabel wiederum werden verschiedenen elektrischen Tests unterzogen, um mögliche Fehlerstellen vor der Inbetriebnahme zu finden und prophylaktisch zu reparieren. Wenn alle diese Prüfungen erfolgreich abgeschlossen sind, erfolgt die Abnahme.
Und dann erst kommt der Mausklick.
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