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Start-up Envelio:

Transparenz für die Netze der Zukunft

Die Energiewende macht Verteilnetze komplexer. Envelio will helfen, dass Betreiber alle Daten schnell im Blick haben.

Illustration Startup Enevelio

© Robert Albrecht / BDEW

 

Wenn man ihn fragt, warum es das Produkt seines Unternehmens gibt, dann antwortet mit Philipp Erlinghagen mit einer Gegenfrage: „Warum gab es das nicht schon vorher?“

Mitte der 2010-er Jahre arbeiteten er und seine vier Mitgründer als Doktoranden am Institut für Institut für Hochspannungstechnik der  Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen. Sie beschäftigten sich mit den smarten Stromnetzen der Zukunft. Dabei standen sie immer wieder vor dem gleichen Problem: „Wenn wir Forschungsprojekte mit Netzbetreibern gemacht haben, dann brauchten wir ein bis zwei Jahre, bis wir alle nötigen Informationen zusammen hatten“, sagt Erlinghagen.

Den damals-noch-Doktoranden ging es um Verteilnetze, also um die Stromnetze, in denen der Strom zum Verbraucher kommt – und in die im Zuge der Energiewende auch immer mehr Strom aus kleinen Solaranlagen und ähnlichen Stromerzeugern eingespeist wird. Dort befassten sie sich mit mit neuartigen Simulationsverfahren, der Planung von künftigen Netzauslegungen und nicht zuletzt Förderanträgen.

Zentrale Datenablage statt mühseligem Suchen

Das Problem war allerdings, dass sich die dazu nötigen Daten der Netzbetreiber an unterschiedlichen Orten befanden: Es gab Geoinformations-Systeme, solche für die Betriebsführung des Unternehmens, für den technischen Netzbetrieb, für die Abrechnungen… Aus diesem Wust mussten Informationen oft händisch zusammengetragen werden, was viel Zeit und Arbeit kostete. „Da kam uns die Idee, alle relevanten Daten an einem Ort zu bündeln, um Prozesse automatisieren zu können“, sagt Erlinghagen, der heute in dem aus der Idee entstandenen Unternehmen Envelio als Vice President Product fungiert.

Ergebnis der Überlegungen von damals ist die „Intelligent Grid Platform“, eine Plattform, in der alle relevanten Informationen zusammengeführt sind. Der Bestand wird permanent mit den Ursprungssystemen abgeglichen. Am Ende steht eine Art digitales Abbild des Netzes.

Modulare Struktur für viele Einsatzzwecke

Die enthaltenen Daten lassen sich mit Hilfe von Applikationen für die unterschiedlichsten Anwendungen nutzen. So lassen sich zum Beispiel Anträge automatisieren, Kapazitäten prüfen, Simulationen und Ausbauplanungen für die Zukunft vornehmen. Auch Online-Rechner für Endkunden lassen sich generieren, mit deren Hilfe Interessenten ermitteln können, ob sich an ausgewählten Orten Wärmepumpen installieren lassen. Für Netzbetreiber bietet der digitale Zwilling die Möglichkeit, weitere Prozesse zu automatisieren, wie zum Beispiel die Umsetzung des viel diskutierten §14a des Energiewirtschaftsgesetzes. Dieser regelt seit Anfang des Jahres die automatische Steuerung und das netzdienliche "Dimmen" von beispielsweise Wallboxen für Elektroautos oder Wärmepumpen.

„Früher brauchten die Betreiber nicht permanent diese Menge an Informationen“, sagt Erlinghagen. Denn die Netze waren simpler: Der Strom kam zum Großteil aus einer überschaubaren Anzahl von Großkraftwerken. Was ein Haushalt in der Regel verbrauchte, wussten die Betreiber aus Erfahrung -mit diesen Werten wurde gearbeitet. „Es war damals keine große Transparenz nötig, weil man eine hohe Planungssicherheit hatte“, sagt Erlinghagen.

Doch im Zuge der Energiewende wurde der Netzbetrieb kleinteiliger und komplexer: Haushalte heizen mit Erdwärme und Elektrizität, Ladestationen für Elektroautos brauchen Strom. Dazu betreiben Privatleute Solaranlagen oder Stromspeicher, aus denen sie selbst ins Netz einspeisen. Das macht das Management von Betrieb und Ressourcen um einiges komplexer als in der alten Zeit.

Die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt

Um die Betreiber dabei zu unterstützen, machten sich die fünf Gründer im Jahr 2017 mit ihrem Unternehmen selbstständig. Inzwischen arbeitet man von Köln aus und beschäftigt gut 120 Mitarbeiter. Erlinghagen sagt, dass inzwischen mehr als die Hälfte der deutschen Verteilnetze mit Hilfe der Intelligent Grid Platform gemanagt werden – und zwar bezogen sowohl auf Streckenlänge als auch die Zahl der Anschlusspunkte.

Gefördert wurde Envelio unter anderem durch ein Exist-Gründungsstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums. „Außerdem waren unsere ersten Kunden gleichzeitig große Förderer“, sagt Erlinghagen. „Durch sie konnten wir überhaupt erst wachsen.“

Zu diesem Kunden der ersten Stunde gehörten die E.ON-Töchter e.dis und Westnetz. Ende 2021 erwarb der Konzern die Mehrheit an Envelio. An der Unternehmenskultur habe sich dadurch nichts geändert, sagt Erlinghagen. Aber der große Partner im Rücken schaffe Vertrauen bei potenziellen Kunden. Außerdem könne man durch ihn schneller weiter expandieren. Denn schon länger bietet Envelio die Intelligent Grid Platform auch in anderen Ländern an, in Kürze soll der erste Kunde in den USA bekanntgegeben werden.



„Deutschland ist Treiber der Energiewende. Und die Stromnetze sind ein zentraler Baustein“, sagt der Envelio-Mitgründer. „Im Ausland guckt man genau darauf, was hier funktioniert und was nicht. Und man sagt: ,Wenn das in Deutschland klappt, dann klappt das auch hier.“ Das liege vor allem an der Komplexität des deutschen Systems.

Er selbst habe eigentlich nie geplant, sich selbstständig zu machen. Aber das Thema sei so relevant und spannend gewesen, dass man den Schritt schließlich gewagt habe. Und eins ist ihm wichtig: „Ich habe Deutschland als innovationsfreundliches Land erlebt. Ich würde jeden ermutigen, das auszuprobieren, was wir getan haben.“

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