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Niklas Potrafke:

„Länder mit Fiskalregeln wachsen schneller.“

Ist die Schuldenbremse Innovationshemmnis oder Stabilitätsanker? Im Gespräch mit Prof. Dr. Niklas Potrafke.

Niklas Potrafke befürwortet Schuldenbremse

© Robert Albrecht / BDEW

Herr Potrafke, die Schuldenbremse steht in der Kritik als Innovationshemmnis für die deutsche Wirtschaft, die notwendige Investitionen verunmöglicht. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin ein überzeugter Verfechter der Schuldenbremse. Denn sie hält die Politik an, ganz sorgfältig zu prüfen, wofür die Steuergelder ausgegeben werden sollen und wofür nicht. Damit sorgt sie für eine Prioritätensetzung der Politik, die in eine effiziente Verwendung der Mittel mündet. Darüber hinaus legt die empirische Forschung nicht nahe, dass Fiskalregeln wie die Schuldenbremse öffentliche Investitionen reduzieren.



Das ifo-Institut, für das Sie tätig sind, hat im Jahr 2020 den Forschungsbericht “Fiskalregeln und Wirtschaftswachstum” herausgegeben – und Schuldenbremsen ein überwiegend gutes Zeugnis ausgestellt. Seitdem ist – Stichwort Corona, Krieg in der Ukraine - viel passiert. Hat Ihre Analyse noch Bestand?
Ja. Unsere Daten haben wir noch einmal aktualisiert und kommen weiterhin zu der gleichen Schlussfolgerung: Länder, die Fiskalregeln in ihrer Verfassung verankert haben, sind schneller gewachsen als Länder, die keine Fiskalregeln in ihrer Verfassung verankert haben. Wir haben drei umfassende Datensätze zu historischen, gegenwärtig nationalen und auch subnationalen Fiskalregeln – also beispielsweise auf Kanton- oder Bundeslandebene – untersucht, und finden jeweils eine starke Korrelation zwischen dem Vorhandensein von Fiskalregeln und positivem Wirtschaftswachstum. Für die Daten auf nationaler Ebene können wir auch kausale Effekte von Fiskalregeln auf Wirtschaftswachstum zeigen und schlussfolgern, dass in den Verfassungen verankerte Fiskalregeln das Wirtschaftswachstum erhöhen.

Länder wie die USA stecken gewaltige Summen in die Transformation ihrer Wirtschaft. Alles auf Pump finanziert – aber offenbar erfolgreich: Die US-Wirtschaft boomt, die deutsche Wirtschaft hingegen stagniert bestenfalls. Isoliert sich Deutschland mit seinem Festhalten an der Schuldenbremse nicht international – und verliert zudem an Wettbewerbsfähigkeit? 
Wir werden sicherlich nicht automatisch wettbewerbsfähiger, wenn wir mehr Schulden machen. Für das Bundesfinanzministerium haben wir internationale Wirtschaftsexperten befragt, wie es um die Attraktivität Ihrer Heimatländer bestellt ist. Teilgenommen haben 1541 Experten aus 128 Ländern. Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland für internationale Unternehmen deutlich an Attraktivität verloren hat – und auch, dass die Erwartungen für die Zukunft diesbezüglich nicht sehr rosig sind. Aber als Hauptgründe dafür zählen überbordende Bürokratie und Regulierung, erhebliche Lücken und Versäumnisse bei der Digitalisierung, der Fachkräftemangel und eine bröckelnde Infrastruktur.

Und zu Ihrem Hinweis auf die USA: Im öffentlichen Diskurs wird viel über den Inflation Reduction Act (IRA) gesprochen, den US-Präsident Biden im August 2022 unterzeichnet hat. Der IRA ist ein großes industriepolitisches Programm. Ich glaube nicht, dass die europäische Antwort darin bestehen sollte, in einen internationalen Subventionswettbewerb einzusteigen. Subventionen ziehen Unternehmen nur kurzfristig an, wenn die geförderten Unternehmen keine komparativen Vorteile in der Produktion der subventionierten Güter besitzen  – und es besteht die Gefahr, dass die Unternehmen wieder verschwinden, wenn die Subventionen ausgesetzt werden. Wir tun hier in Deutschland und Europa deutlich besser daran, wenn wir langfristig gute Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen. Also: Bürokratie und Regulierung abbauen, Digitalisierung und die öffentliche Infrastruktur stärken.

Stichwort Energiewende: Sie wird viel Geld kosten. Woher sollen diese Summen kommen, wenn eine Schuldenaufnahme zu Investitionszwecken nicht möglich ist?
Die Politik könnte anders priorisieren. Gegenwärtig geben wir viel für konsumtive Zwecke aus. Dazu zählen Subventionen, aber vor allem die Steuerzuschüsse in unsere Sozialversicherungssysteme. Wenn die Politik wirklich mehr Geld für die Energiewende und den Klimaschutz in die Hand nehmen möchte, dann sollte sie prüfen, inwieweit das aus dem Kernhaushalt ohne neue Schuldenaufnahme zu finanzieren ist - indem sie an anderen Stellen weniger ausgibt.

Was halten Sie davon, die aktuellen Fiskalregeln zu reformieren – beispielsweise in Form von flexibleren oder ressortabhängigen Regeln?
Gar nichts. Mit den gegenwärtigen Reformvorschlägen ist eine Lockerung der Schuldenbremse gemeint. Die Schuldenbremse hilft jedoch, den Drang zum Gegenwartskonsum und das Selbstbindungsproblem der Politik anzugehen. Darüber hinaus überzeugen die Vorschläge nicht, zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben bei der Schuldenbremse zu unterscheiden. Die Politik hätte hier immer einen Anreiz, sämtliche Vorhaben zu  investiven Ausgaben zu erklären. Die konsequente Anwendung der Schuldenbremse lohnt sich. Empirische Studien zeigen, dass Fiskalregeln die Risikoprämien auf Staatsanleihen deutlich reduzieren. Im internationalen Vergleich mussten Länder, die Fiskalregeln haben, im Schnitt 1,5 Prozentpunkte weniger an Zinsen zahlen – das schafft Luft im öffentlichen Haushalt, um Geld für andere Vorhaben wie Klimaschutz, Infrastruktur, Bildung etc. verwenden zu können.  

Herr Potrafke, vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Niklas Potrafke

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Er berät den amtierenden Finanzminister Lindner (FDP).

Contra Schuldenbremse: Lesen Sie hier, warum der Ökonom Jens Südekum (Universität Düsseldorf) die Schuldenbremse für falsch hält.


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