Die Bundestagswahl hat gezeigt: Klimaschutz ist Mainstream geworden. Die Positionen der Parteien mögen noch nicht genügen, um das 1,5°C-Ziel einzuhalten. Keine aber konnte sich im Wahlkampf hier eine völlige Leerstelle erlauben. Dennoch fehlt eine wirksame Strategie, um Klimaneutralität zu einem gemeinsamen gesellschaftlichen Projekt zu machen.
Klimaschutz war im Wahlkampf in aller Munde. Doch die Klimaschutzpolitik zerredete sich im Kleinklein. Keine der Parteien bot eine übergreifende gesellschaftliche Erzählung, die über Tempolimit oder Solardachpflichten hinausging und eine gemeinsame Vision darstellt. Diese fehlt der Energiewende, deren Unterstützung ungebrochen, deren Umsetzung aber zunehmend umstritten ist. Sie fehlt noch dringender mit Blick auf das neu gesetzte Ziel der Klimaneutralität, das die ganze Gesellschaft erfassen und in bisher nicht gekannter Geschwindigkeit erreicht werden soll.
Die Energiewende kommt näher
Bisher war die Energiewende eine Stromwende, letztlich war es den meisten Bürgerinnen und Bürgern egal, welche Farbe der Strom hat, der aus der Steckdose kommt. Mit der Klimaneutralität, die alle Sektoren umfasst, rückt die Energiewende aber noch näher an die Menschen heran: von smart home Anwendungen über autofreie Innenstädte bis hin zu Sanierungspflichten für Gebäude ist Klimaschutz nun unmittelbarer im eigenen Lebensbereich zu spüren.
Dafür braucht es eine gemeinsam getragene Erzählung für eine klimaneutrale Zukunft. Gleichzeitig wird von Entscheidungsträgerinnen in Politik und Wirtschaft häufig das, was die Bevölkerung vermeintlich bereit sei mitzutragen, nicht mit denen diskutiert, die das doch aber vermutlich wüssten – nämlich den Bürgerinnen und Bürgern. Diese gemeinsame Erzählung fällt nicht vom Himmel. Für ihre Erarbeitung gibt es aber erprobte, erfolgreiche Methoden.
Die Energiewende bildet bisher das wesentliche Beispiel klimapolitischer Umsetzung und Narrative. Als technische Herausforderung verstanden, wurden für Energiesystemwandel vor allem technische Lösungswege ersonnen. In den Gesellschaftswissenschaften folgte eine Welle der „Akzeptanzbeschaffungsforschung“: Für den bereits entwickelten technischen Lösungsweg galt es nur noch die nötige „Akzeptanz zu beschaffen“. Das kann gut gehen. Auf der dänischen Insel Samsø gelang innerhalb von zehn Jahren eine vollständige Energiewende in Strom, Wärme und Verkehr. Meistens geht es schief. Die Beispiele sind fast zu zahlreich. Der britische Windkraftausbau an Land kam mit dieser Strategie schon in den 1990-er Jahren fast vollständig zum Erliegen. Deutschland steht nun einige Jahrzehnte später in mehreren Regionen vor dem gleichen Problem.
Immer wieder hängt die Umsetzung an drei beliebten Fehlern. Erstens: Der Fokus liegt auf der Annahme einer im Vorfeld beschlossenen technischen Veränderung, mitunter mit Entschädigung nach dem Motto: „Wir machen einen Plan von der Kröte und ihr schluckt sie, weil euch im Ausgleich ein leckerer Nachtisch versprochen wird“. Zweitens: Finanzielle Beteiligung, eine der leckeren Nachtischoptionen, wird zu oft als Investitionsoption ohne Mitsprache strukturiert: „Ihr könnt mitverdienen, aber nicht mitreden“. Und Drittens: Gesellschaftliche Mitsprache ist zu oft nicht bindend. „Ihr könnt Zeit investieren, aber nicht entscheiden“. Alle drei Fehler sind auch eine Folge der Akzeptanzbeschaffungsperspektive.
Eine Zwiebel mit vielen Häuten
Die Energiewende ist aber keine rein technische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Zunehmend setzt sich daher in der Forschung ein Blick durch, der verschiedene Ebenen der Teilhabe berücksichtigt. Diese Ebenen liegen übereinander wie die Schichten einer Zwiebel. Das einfachste Verständnis misst die Zahlungsbereitschaft. Die sogenannte soziale Akzeptanz ergänzt das um politische und lokale Akzeptanz. Soziale Gerechtigkeit, eine weitere Zwiebelschicht, betont besonders Aspekte gerechter Verfahren und Verteilung. Forschung zu Konflikten erweitert den Blick noch einmal, und betrachtet Ursachen und Lösungswege für Konflikte.
Der Fokus liegt hier jedoch oft auf der Vermeidung von Konflikten. Angesichts der Vielzahl der Lebensbereiche und Alltagssituationen, die sich auf dem Weg zur Klimaneutralität verändern werden wird aber deutlich: Nicht die Vermeidung von Konflikt, sondern der konstruktive Umgang mit Konflikten und Strategien zur Erarbeitung tragfähiger Lösungen auch für eine Vielzahl widerstreitender Interessen ist zentral. Das Konzept gesellschaftlicher Trägerschaft umfasst deshalb alle Schichten der Zwiebel. Dabei wird nicht nur der Blick auf gesellschaftliche Teilhabe verändert, sondern dieser auch mit umfassenden Methoden hinterlegt.
Anders als bei Akzeptanzorientierung treten hier gesellschaftliche Akteure nicht als Empfänger von Veränderung auf, sondern gestalten diese aktiv und dauerhaft mit. Konflikte gilt es nicht zu vermeiden, sondern zu bearbeiten. Das Ziel ist eine gemeinsam getragene Lösung – auch wenn sie die Positionen Einzelner vielleicht nicht in allen Punkten widerspiegelt. Damit ist unmittelbar eine integrierte und wirksame Beteiligungsstruktur verbunden, die unser Wissen erfolgreicher Teilhabe konsequent umsetzt: Rechtzeitig, zu den richtigen Fragen und mit einer wirksamen Anbindung.
Mühsal kann sich lohnen
Das scheint im ersten Moment mühsam. Das Forschungsprojekt Ariadne zeigt jedoch im Kleinen, was auch im Großen gilt. In Bürgerdialogen zur Stromwende und Verkehrswende steht gesellschaftliche Teilhabe durch Mitsprache auf Augenhöhe und von Anfang an im Mittelpunkt. Dabei geht es nicht um fertige Lösungen, sondern um die Verknüpfung der persönlichen Werte und Prioritäten der Akteure aus Wissenschaft und Gesellschaft mit Handlungswissen über wirksame Instrumente und Politikpfade. Dieser Lernprozess ist auf Dauer angelegt: Immer wieder wird gemeinsam beratschlagt. Das Ergebnis schließlich bildet politisches Handlungswissen, das wissenschaftliche Bewertungen ebenso integriert wie gesellschaftliche.
So gelang auch der Wandel auf Samsø. Technische Lösungswege und gesellschaftliches Handlungswissen wurden auf Augenhöhe verhandelt, und Werte der Gemeinschaft von Anfang an integriert. Es entstand eine gemeinsame Erzählung, die nicht nur diesen Infrastrukturwandel ermöglichte, sondern in der Folge auch ein Selbstverständnis nachhaltiger Pionierarbeit erzeugte.
Wissenschaft allein kann uns keine klimapolitische Erzählung liefern. Das muss die Gesellschaft gemeinsam tun. Wissenschaft kann aber die Politik darin unterstützen, wirksame Strukturen der Teilhabe zu bauen. Der stockende Windausbau mahnt: Wer nur auf Akzeptanz statt auf echte Trägerschaft setzt, ist schlecht beraten. Es gilt also, wirksame Beteiligungsstrukturen nicht nur in Forschungsprojekten zu erproben, sondern im Infrastrukturwandel zu institutionalisieren. Damit wir diesen gemeinsam tragen.
Dr. Arwen Colell
ist Politik-Analystin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und betreut im Kopernikus-Projekt Ariadne die Einbindung von Bürgerperspektiven in die Forschung. Mit ihrer Dissertation zu sozialen Innovationen bei der Umsetzung der Energiewende hat sie den Bayerischen Energiepreis gewonnen.
Dr. Brigitte Knopf
ist Generalsekretärin des MCC und Leiterin der Policy Unit. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, wie die Energiewende sozial gerecht gestaltet werden kann. Sie ist Mitglied und stellvertretende Vorsitzende des von der Bundesregierung berufenen Expertenrats für Klimafragen.
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