Als Arved Fuchs und seine Crew im Juni 2021 in Kiel ablegen, haben sie jede Menge Messgeräte und große Pläne an Bord. Mit dem 90 Jahre alten Haikutter „Dagmar Aaen“ wollen sie in den kommenden drei Monaten erst zu den Färöer-Inseln und dann weiter nach Island, Grönland und Kanada fahren. Ihre Mission: Daten für Forschungsinstitute sammeln, um zu dokumentieren, wie es um den Nordatlantik und den Golfstrom steht.
Der Schleswig-Holsteiner Arved Fuchs bricht seit 44 Jahren regelmäßig zu Expeditionen in den Norden auf, seit mehr als 30 Jahren ist er mit der Dagmar Aaen unterwegs. In dieser Zeit ist er zum Zeugen des Klimawandels geworden. Um ein Bewusstsein für die dramatischen Veränderungen in den Weltmeeren zu schaffen, stellt er seine Reisen seit fünf Jahren unter das Motto „Ocean Change“. „Früher bin ich zu Expeditionen aufgebrochen, einfach um die Natur zu erlebe“, sagt er. Heute kann ich das nicht mehr. Die Klimakrise hat mir die Unbefangenheit geraubt. Ich will nicht mehr nur von der Arktis schwärmen, sondern zeigen, was wir dort gerade verspielen.“
Datenfang auf hoher See
Wie die Dagmar Aaen da mit ihrem rot-weiß gestrichenen Rumpf und dem großen Segel über das Wasser gleitet, sieht sie nicht wie ein typisches Forschungsschiff aus. Man traut ihr nicht zu, dass sie im rauen Nordatlantik besteht. Doch genau dafür wurde sie 1931 im dänischen Esbjerg gebaut: für den Fischfang auf hoher See. Statt Netze mit Meerestieren an Deck zu ziehen, schicken die Besatzungsmitglieder jetzt im Auftrag der Wissenschaft Daten an Land. Temperatur, Salzgehalt und CO2-Sättigung sind nur einige der Parameter, die fortwährend über eine integrierte Messeinheit an Bord des Schiffes analysiert und in Echtzeit via Satellit nach Kiel übertragen werden.
Dort wartet Dr. Johannes Karstensen vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung GEOMAR gespannt auf die Zahlen. Der Ozeanograph koordiniert die Zusammenarbeit mit Arved Fuchs. Mit Blick auf den Klimawandel interessiert er sich nicht nur für die Temperatur des Ozeans, sondern auch für die CO2-Konzentration im Wasser. „Der Ozean hat weltweit 40 Prozent des in die Atmosphäre entlassenen CO2 aufgenommen. Wir hätten noch viel, viel höhere atmosphärische Werte, wenn der Ozean da nicht mildernd eingeschritten wäre“, sagt Karstensen. Diese Absorption habe aber auch Konsequenzen für den Ozean selbst und führe unter anderem zur Versauerung, die wiederum die CO2-Aufnahme verschlechtere. Die Folge: „Es wird mehr CO2 in der Atmosphäre bleiben als mit einem gut aufnehmenden, funktionierenden Ozean“, erklärt der Forscher. Die Erderwärmung schreite schneller voran.
Heizen mit dem Golfstrom
Das GEOMAR teilt die Daten der Expedition mit allen Interessierten. Auf der Plattform Beluga werden sie visualisiert und mit der Route der Dagmar Aaen verknüpft. Dazu gibt es Logbucheinträge vom Kapitän und den Besatzungsmitgliedern, in denen sie vom Leben an Bord und von den Landgängen berichten. Denn Arved Fuchs geht es nicht nur um die Zahlen: „Wir möchten lernen, uns von anderen Menschen, anderen Regionen etwas abschauen“, sagt er in dem wöchentlichen Podcast zu seiner Expedition. Zum Beispiel von den Isländern, die nicht nur die Wärme aus Geysiren, sondern auch die des Meeres nutzen: „Heute haben wir eine Wärmepumpe besichtigt, die ihre Energie quasi aus dem Golfstrom bezieht. Man hat Kühlschlangen in den Ozean gelegt und damit wird ein dreistöckiges Gebäude beheizt.“
Immer stärker rücken die Meere ins Blickfeld der künftigen Energieerzeugung. Offshore-Windenergie – ob stationär oder schwimmend – ist die wohl bekannteste Option der erneuerbaren Energie. Island hingegen ist weltweit führend in der Nutzung von Geothermie. Für die wenigen Menschen, die dort lebten, müsste man gar nicht so viel produzieren, sagt Fuchs, aber es gebe viele Industriebetriebe, die sich wegen der relativ günstigen Energie dort ansiedelten. „Das sind zum Beispiel Aluminiumhütten oder die großen Server von Bitcoins.“ Der Abenteurer ist begeistert von der isländischen Experimentierfreude. „Man hat diesen Hang, neue Technologien auszuprobieren.“ Auch in der Nord- oder Ostsee könnte man Wärmepumpen installieren, ist Fuchs überzeugt.
Weiter geht die Reise nach Grönland. Doch diese Etappe läuft nicht wie geplant. Ein Stopp an der Ostküste der Insel muss ausfallen, weil Grönland wegen neuer Corona-Fälle auf einer 14-tätigen Quarantäne für Schiffsbesatzungen besteht. So fährt die Crew ohne Halt weiter zur Westküste. In seinem Logbuch schreibt Arved Fuchs am 19. Juli: „Arbeiten auf See können wir natürlich trotzdem. Heute haben wir die dritte Wetterboje ausgesetzt, morgen folgt eine weitere. Nachher werden wir Messungen mit der Tiefseesonde durchführen. Das Wetter hier ist ungemütlich. Bis gestern hatten wir starken bis stürmischen Südwest-Wind mit grober See, heute ist es ruhig, dafür herrscht dichter Seenebel. Es ist halt die berüchtigte Dänemarkstraße. Zudem müssen wir ab jetzt mit Eis rechnen.“
Navigieren im Eis
Mitte August erklärt Crew-Mitglied Kristian Isringhaus im Logbuch, warum eine Zunahme von Eisbergen vor Grönland ein schlechtes Zeichen ist: „Noch vor fünfundzwanzig Jahren war die gesamte Ostküste Grönlands voll mit Packeis, doch die globale Erwärmung hat es längst weit nach Norden gedrängt. Eisberge hingegen gibt es heute sogar mehr als früher. Sie entstehen, wenn Gletscher ins Meer fließen, die Eiszungen aufschwimmen und schließlich abbrechen. Man spricht vom Kalben der Gletscher. Wegen des Klimawandels fließen die Gletscher nun schneller als noch vor wenigen Jahrzehnten, wodurch es auch mehr Eisberge gibt: Symptome des Abschmelzens des zweitgrößten Eispanzers dieses Planeten. In Ilulissat (Anm. d. Red.: eine Küstenstadt im Westen Grönlands) beispielsweise schiebt sich der Gletscher heute mit unglaublichen fünfzig Metern pro Tag ins Meer.“ Der Crew beschere das neben atemberaubenden Anblicken vor allem Stress beim Navigieren durch zum Teil dichte Eisfelder.
Ein paar Tage später macht sich dann große Enttäuschung breit an Bord der Dagmar Aaen – und auch bei GEOMAR in Kiel. Wegen steigender Corona-Zahlen wird Kanada auch weiterhin seine Häfen für ausländische Schiffe geschlossen halten. Eine Sondergenehmigung konnte selbst die kanadische Botschaft in Berlin nicht erwirken. Kapitän Arved Fuchs will nicht länger warten und trifft am 19. August eine Entscheidung: „Da wir aus seemännischer Sicht unter keinen Umständen riskieren wollen, in der anstehenden Sturmsaison vor geschlossenen Grenzen zu stehen, habe ich mich aus Gründen der Sicherheit für Schiff und Besatzung entschlossen, zurück nach Island zu fahren.“ Dort wird das Schiff von Mitte September an überwintern.
Auf Rettungsmission
In Kiel wird derweil keine Winterpause eingelegt. Gemeinsam mit 200 Forschenden aus ganz Deutschland wollen die Expertinnen und Experten von GEOMAR herausfinden, wie die klimaregulierende Bremswirkung des Ozeans in Zukunft verstärkt werden kann. Als Teil der groß angelegten Forschungsmission der Deutschen Allianz Meeresforschung untersuchen die Kieler unter anderem:
• welches Potenzial für die unterirdische Speicherung von CO2 in Sandsteinformationen unter der Nordsee steckt,
• ob und in welcher Form durch den Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser das oberflächennahe Planktonwachstum gefördert und so mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre gebunden werden kann,
• inwiefern die Erhörung des marinen Säurebindungsvermögens ein praktikables Verfahren sein kann, um große Mengen von CO2 auf umweltverträgliche und gesellschaftlich verantwortbare Weise dauerhaft aus der Atmosphäre zu entnehmen.
Mit dieser Mission brechen die Forscherinnen und Forscher auf zu unbekannten Ufern. Sie suchen nach Lösungen, wie sich der Ozean wieder ins Gleichgewicht bringen lässt. Eine unlösbare Aufgabe? Dazu sagt Arved Fuchs: „Ich habe den Aufbruch und das Abenteuer immer als große Möglichkeit gesehen.“ Ihm gehe es darum, Herausforderungen anzugehen, von denen andere sagen, dass sie nicht zu schaffen sind. Eine größere Herausforderung als den Klimawandel gibt es wohl nicht.
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