Herr Baumann, wir kaufen Lebensmittel in Plastikverpackungen, obwohl wir wissen, dass das nicht gut ist. Auch sonst ist beim Thema Klimaschutz eigentlich allen klar, dass wir nicht so weiterleben können wie bisher. Trotzdem macht der Einzelne noch viel zu wenig. Warum ist das so und was hindert uns eigentlich am richtigen Handeln?
Ihre Frage hat mehrere Ebenen. Bei den Plastikverpackungen reagieren die Leute ganz klar auf Preissignale. Wenn pro Verpackung ein Aufpreis von drei Euro verlangt werden würde, um den Umweltschaden für die Herstellung und die Entsorgung abzudecken, dann wäre das Problem über Nacht gelöst. Wenn Sie auf dem Supermarkt einen Euro in den Einkaufswagen stecken müssen, dann bringen Sie ihn zurück - oder jemand anders. Der Mensch ist so programmiert, dass er auf Preissignale reagiert - das ist also im Prinzip ein lösbares, politisches Projekt, aber nur ein Baustein von vielen beim Thema Klimaschutz.
Und der Klimaschutz?
Die Bekämpfung der Erderhitzung ist das drängendste und schwierigste Problem von allen. Ihre Frage zielt ab auf das, was Individuen machen können. Salopp gesagt: Wenn der Amazonas brennt und wir beide da ein Eimerchen Wasser abkippen, dann ergibt das keinen Unterschied. Die Erderhitzung ist kein Problem, welches billig, schmerzlos und lokal gelöst werden kann. Sie ist auch mit Sicherheit keine Angelegenheit persönlicher Tugend oder individueller Lebensstile. Stattdessen ist sie eine Aufgabe solch beträchtlichen Ausmaßes, dass wissenschaftliche, wirtschaftliche oder persönliche Anstrengungen allein nur wenig ausrichten können.
Um in der erforderlichen Dimension zu wirken, müssen sie integriert, koordiniert und strategisch in großem Maßstab vorangetrieben werden. Natürlich können wir als Konsumenten dazu positiv beitragen, aber das allein wird nicht reichen. Wichtiger ist, was wir als Bürger machen, wie wir auf politische Prozesse einwirken: Artikel 20a des Grundgesetzes sagt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere.“ Damit hat die deutsche Regierung nicht weniger als einen Verfassungsauftrag. Sie müsste also führen, selbst wenn die Bevölkerung nicht mitzieht. Regieren in demokratischen Staaten ist mehr als das reine Abbilden des Wählerwillens.
Gut. Trotzdem müssen wir den Einzelnen ja mitnehmen, damit er eine klimafreundliche Politik unterstützt. Wie kann das gehen?
Zum einen mit Ehrlichkeit. Es muss allen klar werden, dass die Erderhitzung ein existentielles Problem ist, welches gewaltige Anstrengungen erfordert. So zu tun, als wäre sie mit der Feinjustierung einiger Stellschrauben in den Griff zu bekommen, ist eine Illusion. Zum anderen mit den richtigen Narrativen. Deutschland stellt ein Prozent der Weltbevölkerung. Wir gehören zu den reichsten und technisch fortschrittlichsten Ländern der Welt. Warum strengen wir uns nicht mehr an, dass wir zum Prototypen der Lösung werden? Und zwar nicht durch Einschränkungen, sondern durch kluge Politik und Technologie.
Ich vermisse klar auf dem Gebiet der Energiewende ein appellatives „Wir schaffen das!“ Ein Großteil der Politiker aber scheut sich, den Leuten wehzutun und ihnen zu sagen, was wirklich angesagt ist – denn dann werden sie nicht wiedergewählt. Das ist eines der Grundprobleme der Demokratie: Es werden vor allem die heutigen Wähler gefragt und nicht diejenigen, die das später einmal ausbaden müssen.
Wenn wir einmal die Nachrichten der letzten sechs bis zwölf Monate Revue passieren lassen, die Covid-Pandemie, die verheerenden Brände in Südeuropa, die spätsommerliche Flut in Deutschland: Haben die Katastrophen vielleicht wenigstens so gesehen etwas Gutes, indem sie uns unvermeidbar und sehr plastisch vor Augen führen, vor welchen Gefahren wir ganz reell stehen?
Dem würde ich nicht zustimmen. Katastrophen haben nie etwas Gutes. Ich glaube nicht, dass die verheerenden Waldbrände in Kalifornien oder die Überflutung des Ahrtals politisch hilfreiche Signale setzen. Im Gegenteil: Wir reden jetzt von besseren Warnsystemen, höheren Flutmauern, mehr Wasserflugzeugen. Es geht also nicht primär um die Bekämpfung der Ursache, sondern um die Anpassung. Wir brauchen aber beides. Grundsätzlich ist es immer zielführender, die Chancen einer Transformation zu betonen, als mit Gefahren oder Katastrophen abzuschrecken.
Wie lassen sich die Menschen für den notwendigen Aufbruch begeistern?
Eine schwierige Frage. Mir scheint wichtig, die Chancen zu betonen. Daher finde ich es taktisch auch so unklug, wenn man Klimaschutz als Tugendhaftigkeit darstellt und diejenigen anprangert, die sich „versündigen“, Stichwort Flugscham, Fleischscham, Scham, ein dickes Auto zu fahren. Wenn man Zweifler mit Fakten bombardiert, dann mauern sie sich ein. Wenn man hingegen beispielsweise in die Niederlande blickt, dann fällt auf, dass die ihre Städte in beispielloser Weise fahrradfreundlich gemacht haben. Fahrradfahren ist in den Niederlanden kein Opfer, sondern ein Genuss.
Die Menschen freuen sich, sie leben gesünder, die Luft wird besser. In Großbritannien, dem Ursprungsland der Industrialisierung, hat die Kohle nur noch einen Anteil von zwei Prozent in der Energieversorgung. Auch in Schweden und der Schweiz wurde per Preissignal - eine Tonne CO2 kostet dort über 100 Euro - der CO2-Ausstoß gesenkt – und niemand kann sagen, dass in diesen Ländern der Lebensstandard gesunken ist – im Gegenteil!
Mit Blick auf die Frage, ob wir das große Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft schaffen: Was sind aus Ihrer Sicht bisherige Erfolge und aktuelle Entwicklungen, die Sie optimistisch stimmen?
Eine klimaneutrale Gesellschaft und Wirtschaft wird natürlich kommen, weil die Vorteile der erneuerbaren Energiequellen – finanziell, ökologisch, gesellschaftlich, politisch – auf der Hand liegen. Die Frage ist, ob dies rechtzeitig geschehen wird, um die Katastrophe, auf die wir zurasen, abzuwenden oder abzumildern. In der Klimapolitik hat die Menschheit drei Nullsummen-Optionen: Schadensbegrenzung, Anpassung und Leiden. Die offene Frage ist, wie diese Mischung ausfällt. Wenn wir mehr Zeit hätten, wäre ich optimistisch, weil die Vorteile der erneuerbaren Energiequellen auf der Hand liegen, wie beim Smartphone verglichen mit dem Telegraphen oder der Eisenbahn verglichen mit der Postkutsche.
Wir haben aber nur noch ein knappes Jahrzehnt, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, und ich sehe nicht, dass die Ernsthaftigkeit der Situation in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik angekommen ist. Es würde mich überaus freuen, und überraschen, wenn die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow den Durchbruch schafft und sich die Weltgemeinschaft auf ambitionierte CO2 Emissionsreduktionsziele einigt. Die Frage, ob Optimismus angesagt ist, oder eher nicht, stellt sich für mich also am 13. November, wenn die Konferenz vorüber ist.
Abschließend noch ein Blick des „German-man in New York“: Hat die Biden-Präsidentschaft die US-Klimapolitik nach vorne gebracht?
Im Vergleich mit Trump ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Alleine schon der symbolische Schritt, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten sind! Es wird jetzt auch wieder viel investiert in E-Mobilität. Andererseits hat die Biden-Regierung in den letzten sechs Monaten über 2.000 Ölbohrlizenzen vergeben und fordert von der OPEC, mehr zu produzieren, damit Benzin billig bleibt. Es gibt also sehr große Widersprüche in der amerikanischen Regierung: Auf der einen Seite agiert sie sehr fortschrittlich, auf der anderen Seite steht sie aber auch einer sehr mächtigen Ölindustrie und sozialen Zwängen gegenüber. Der Bundesstaat New Mexico beispielsweise erhält drei Viertel der Staatseinnahmen von der Ölförderung. Da können Sie nicht von heute auf morgen aussteigen. Der Staat Rhode Island hingegen wird in den nächsten 20 Jahren wegen des steigenden Meeresspiegels untergehen. Sie sehen: Je größer das Land, desto größer auch die Schwierigkeiten.
Franz Baumann...
...ist ein deutscher ehemaliger UNO-Beamter. Er war bis Ende 2015 Beigeordneter Generalsekretär und Sonderberater für Umweltfragen und Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Seit 2017 hält er eine Gastprofessur an der New York University.
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