Was vor 20 Jahren nicht vorstellbar war, ist heute tägliche Routine: Strom als Handelsprodukt in einem europäischen Strommarkt von Portugal bis nach Finnland, auf dem Erzeugung und Verbrauch grenzüberschreitend im Viertelstundentakt synchronisiert werden. Und das 365 Tage im Jahr, 24 Stunden rund um die Uhr. Wie gelingt das? Durch die Kopplung der nationalen Strommärkte zu einem großen europäischen Strommarkt. Dieser umfasst mittlerweile mehr als 20 Länder und deckt rund 95 Prozent des europäischen Stromverbrauchs ab. Bei dieser Marktkopplung werden gleichzeitig Angebot und Nachfrage mit den zur Verfügung stehenden grenzüberschreitenden Netzkapazitäten zusammengebracht. Dadurch entsteht ein Binnenmarkt, auf dem Erzeuger Strom ins Ausland exportieren und Verbraucher Strom aus dem Ausland importieren können. Durch den steigenden Wettbewerb gleichen sich die Preise zwischen den Ländern an. Und noch einen wichtigen Effekt hat der europäische Ansatz: Er stärkt die Versorgungssicherheit dadurch, dass das Stromsystem ein größeres geografisches Gebiet umfasst. Einzelne Kraftwerksausfälle oder Verbrauchsspitzen haben somit kaum Einfluss.
Energiehandel und Energiebörsen gehen auf den europäischen Gedanken zurück
Die von Brüssel Ende der 1990er-Jahre angestoßene Liberalisierung der Energiemärkte hat nicht nur die Strommärkte und später auch die Gasmärkte Europas zusammenwachsen lassen. Sie hat auch zum Entstehen des Energiehandels als neuem und eigenständigem Teil der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette beigetragen. Aus einer Energieversorgung geprägt durch Gebietsmonopole und integrierte Konzerne wurden Energiemärkte mit Wettbewerb, Marktpreisen und Transparenz. Hier kam die Börse als neuer Akteur ins Spiel. Als zentrale Plattform bringt sie möglichst viele verschiedenartige Anbieter und Nachfrager zusammen und ermittelt einen von allen als Referenz angesehenen Marktpreis. Die Veröffentlichung dieses Preises und der zugrunde liegenden Handelsvolumina machen eine Einschätzung des Marktgeschehens – auch für die Öffentlichkeit – möglich.
Eine der ersten Energiebörsen in Europa war die Leipziger Strombörse. Am 15. Juni 2000 fiel dort der Startschuss für den Börsenhandel mit Strom in Deutschland. Mehr als 20 Jahre später ist aus einem Start-up die im internationalen Energie- und Rohstoffhandel tätige Börsengruppe EEX Group (European Energy Exchange) geworden. Weder die Entstehung noch die Entwicklung der EEX – die „Europa“ auch im Namen trägt – wäre ohne die europäische Idee des Energiebinnenmarkts möglich gewesen. Heute deckt die EEX die europäische Landkarte beim Strom- und Gashandel fast vollständig ab. Dabei reicht es aber nicht, ein Angebot einfach nur auf ein anderes Land auszuweiten. Als wichtige Erfolgsfaktoren haben sich Kooperationen, lokale Expertise und Präsenz vor Ort erwiesen. Die Blaupause dafür war 2008 die Gründung der Stromspotbörse EPEX SPOT – ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt der EEX und der französischen Energiebörse Powernext. Mittlerweise hat die EEX Group Standorte in 17 Ländern weltweit, davon 14 in Europa.
Europa ist Vorreiter beim Klimaschutz
Spätestens seit dem Klimaabkommen von Paris und dem Entstehen von gesellschaftlichen Initiativen wie „Fridays for Future“ ist Klimaschutz in aller Munde. Dabei gehen die Ansätze und Instrumente des modernen Klimaschutzes auf das schon 2005 in Kraft getretene Kyoto-Protokoll zurück, das erstmals völkerrechtlich verbindlich Ziele zur Begrenzung und Reduzierung von Treibhausgasemissionen festlegte. Europa hat bei der Umsetzung Pionierarbeit geleistet. Das 2005 eingeführte europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS) vereint Klimaschutz und die europäische Idee. Im Ergebnis entstand der erste grenzüberschreitende und weltgrößte Emissionsrechtehandel. Auch die EEX ist Vorreiterin in Sachen Emissionshandel; sie war 2005 eine der ersten Börsen, die den Handel im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems angeboten haben.
Export erfolgreicher Marktmodelle
Die in Europa etablierten Konzepte liberalisierter Energiemärkte und Klimaschutz mithilfe von marktbasierten Instrumenten wie dem Emissionshandel gelten weltweit als Vorbild. Beispiel Japan: Nach Fukushima hat es einige Zeit gedauert, bis sich das Land für einen Zukunftskurs entschieden hat. Jetzt ist klar: Japan will eine Energiewende in einem wettbewerblichen Markt. In einem ersten Schritt ist der japanische Energiemarkt liberalisiert worden. Es gibt keine Monopole mehr, stattdessen Markt und Wettbewerb. Es gibt jetzt auch Stromhandel an der Börse. Die EEX ist seit Mai 2020 mit einem Angebot für den japanischen Stromterminmarkt vor Ort. Japan steht erst am Anfang der Energiewende. Die Erfahrungen aus Europa können auf dem weiteren Weg hilfreich sein.
Erfolgreiche Marktmodelle werden zum Exportgut; nicht nur im Strommarkt, sondern auch beim Emissionshandel. Weltweit entwickeln sich Handelssysteme, die den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen, insbesondere CO2, mit einem Preis versehen und Investitionen in Klimaschutz anreizen. Die umfassende Bepreisung von CO2 ist ein entscheidender Baustein für die Erreichung der Pariser Klimaziele. Europa mit seiner mehr als 15-jährigen Erfahrung gilt als Blaupause für wirksamen Emissionshandel. Jüngstes Beispiel ist China, dass viel von Europa gelernt hat und dabei ist, sein nationales Emissionshandelssystem – als nunmehr größtes der Welt – zu starten.
Die EEX Group engagiert sich beim Aufbau von Emissionshandelssystemen weltweit. So bietet sie etwa über die US-Tochterbörse Nodal Exchange den Handel mit Emissionsrechten und Erneuerbaren-Zertifikaten für verschiedene Regionen in den Vereinigten Staaten an. In Neuseeland baut die EEX gemeinsam mit der inländischen Börse einen Auktionshandel für neuseeländische Emissionsrechte auf, der im März 2021 starten wird.
Europa gibt mit dem Green Deal weiter den Takt vor
Auch wenn gern von der „German Energiewende“ die Rede ist, so ist die „Energy Transition“ längst ein europäisches Projekt. Der europäische „Green Deal“ ist Beschleuniger und Verstärker der Trends der vergangenen Jahre und eine riesige Chance. Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Das erfordert erstens die Dekarbonisierung aller Sektoren und zweitens die Transformation des Energiesystems hin zu nahezu ausschließlich Erneuerbaren Energien. Es geht darum, dass alle ihren ökologischen Fußabdruck so weit wie möglich verkleinern. Und die Energiemärkte und der Emissionshandel können das auf möglichst effiziente und innovative Weise organisieren.
Die Transformation des Energiesystems bringt auch gänzlich neue Energieträger und Handelsprodukte, wie aus Erneuerbaren Energien erzeugten „grünen“ Wasserstoff, hervor. Noch kann Europa beim Thema Wasserstoff einiges von anderen Ländern lernen, etwa von Japan. Europa hat es aber durch seine ambitionierten Ziele und seine Innovationskraft selbst in der Hand, der Anwendung von „grünem“ Wasserstoff weltweit zum Durchbruch zu verhelfen. Damit kann es auch in Zukunft eine Vorreiterrolle im Energie- und Klimaschutzbereich einnehmen. Die EEX hat den Ball aufgenommen und eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen: Gemeinsam mit Marktteilnehmern wird bereits daran gearbeitet, wie ein liquider Wasserstoffhandel mit aussagekräftigen Preissignalen und langfristigen Absicherungsmöglichkeiten entwickelt werden kann.
Mehr Gastbeiträge
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