Im Jahr 1850 wagte die English Channel Submarine Telegraph Company eine Pioniertat: die Verlegung des ersten maritimen Nachrichtenkabels, das die Telegrafie und die kontinentübergreifende Kommunikation entscheidend beschleunigen sollte. Das Unternehmen war trotz Wind und Wetter erfolgreich - aber nicht sehr lang: Kurz nachdem die erste Nachricht „Ende des Kabels heil angekommen“ durchtelegrafiert war, riss das Kabel. Dafür fand die Besatzung eines Fischerbootes wenig später merkwürdige „Aale“ in ihren Netzen: Fragmente des Kupferdrahts mit Guttapercha-Ummantelung. Erst im zweiten Anlauf, ein Jahr später, konnte das Kabel dauerhaft erfolgreich verlegt werden.
Die Kabel von damals haben mit den heutigen maritimen Stromkabeln nur noch eines gemeinsam: Sie liegen tief unten im Meer. Wie aber gelangen sie dort hin, wie hat sich die Technik entwickelt – und welche Rolle spielen Umweltschutz und Fischerei beim Verlegen von Seekabeln?
Ein wesentlicher Unterscheid zu den Pioniertaten vor gut 150 Jahren: Seekabel liegen heute nicht mehr auf dem Meeresgrund, sondern darunter. Weit draußen auf den Meeren etwa eineinhalb Meter tief, im Wattenmeer sind es bereits anderthalb bis drei Meter - und in Küstennähe, wo die Gezeiten, die Brandung und der Wind ihr Spiel treiben, sogar bis zu fünf Meter.
Dabei kommen Verlegeschiffe mit einer enormen Tragfähigkeit von mehr als 10 000 Tonnen zum Einsatz. Denn Seekabel sind schwer mit ihren teils mehr als 20 Zentimetern Durchmesser und der seetauglichen Ummantelung aus Polyethylen. Ein einzelnes Gleichstromkabel kann pro Meter über 40 Kilogramm wiegen; ein Bündel Drehstromkabel mit bis zu drei Leitern und einem Glasfaserkabel kann mehr als 70 Kilogramm pro Meter wiegen. Auf riesige Trommeln oder Drehteller gerollt, können je nach Design 50 bis 150 Kilometer Kabel auf einem Schiff untergebracht werden.
Einmal auf See, wird das Kabel langsam in eine vorab erkundete Trasse abgelegt. Wie genau das Kabel dann verlegt wird, hängt ab von Wassertiefe und der Beschaffenheit des Meeresgrunds. In tiefem Wasser wird das Kabel auf dem Meeresboden abgelegt und dann mittels Einspülgeräten im Seeboden auf die erforderliche Tiefe eingespült. Bei härteren Böden oder steilen Passagen kommen Fräsen oder auch Pflüge zum Einsatz. Und wenn Kabel unterhalb von Inseln verlegt werden, müssen zuvor unterirdische Kabelkanäle gebohrt werden.
Waschen, spülen, legen
Stromseekabel werden seit den 1950-er Jahren verlegt. Aber erst als ihnen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Energiewende zukam, begann die Branche, sich intensiv mit der Unterwasserwelt zu beschäftigen. Ein komplexes Unterfangen: Meeresströmungen, Sand- und Muschelbänke müssen ebenso berücksichtigt werden wie Fischereigebiete, Schifffahrtsrouten und die Lage bereits bestehender Seekabel. Auch der Umweltschutz spielt eine Rolle: Verlegearbeiten sollten nicht während der Brut- und Aufzuchtzeiten von Fischen stattfinden, Kabel nicht direkt in große Habitate von Fischen und anderen Meeresbewohnern verlegt werden.
Ein besonderes Problem bei Arbeiten in europäischen Gewässern sind die Reste vergangener Kriege. So führte im Jahr 2013 der Fund von gut 30 Tonnen Weltkriegsmunition beim Bau des Offshore-Windparks Riffgat nordwestlich der Insel Borkum nicht nur zu erheblichen Verzögerungen, sondern ließ auch die Kosten ansteigen. Das ist nur die Spitze des Waffenbergs: „In deutschen Meeresgewässern befinden sich nach unseren Recherchen noch 1,6 Millionen Tonnen an konventioneller Munition, davon 300.000 Tonnen in der Ostsee und der Rest in der Nordsee“, sagte Jens Sternheim, Vorsitzender der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Was liegt, liegt. Oder?
Seekabel dienen heute nicht nur zur Anbindung von Offshore-Windkraft, sie stellen ein echtes „World Wide Web“ der Energie dar: für die grenzüberschreitende Verbindung volatiler Wind- und Solarstromerzeugung mit konstanten Energiequellen. Die Unternehmen, die an solchen Projekten arbeiten, entwickeln daher Seekabel laufend weiter. Gemeinsam mit dem norwegischen Netzunternehmen Statnett hält der Übertragungsnetzbetreiber TenneT einen Rekord: Die in Kürze in Betrieb gehende 623 Kilometer lange HVDC-Verbindung NordLink zwischen Norwegen und Deutschland wird die derzeit längste und leistungsstärkste Strom-Seekabel-Verbindung der Welt sein. Und die Entwicklung geht weiter: Nachdem TenneT vor rund zehn Jahren den Standard für kunststoffisolierte Gleichstromkabel mit 320 Kilovolt (kV) im Offshorebereich gesetzt hat, definiert der Übertragungsnetzbetreiber mit dem zukünftigen 525-kV-Gleichstrom-Seekabelsystem und einer Übertragungsleistung von zwei Gigawatt (GW) den weltweit neuen Maßstab.
Und was passiert bei Schäden am Kabel? Dann kann die Suche nach der kaputten Stelle schnell zu einer extrem kostspieligen Aufgabe werden - erst recht bei Kabeln, die tief im Meeresgrund vergraben liegen. Beim Seekabel der Zukunft kommt bei der Fehlersuche ein laserlichtdurchflossenes Glasfaserkabel zum Einsatz. Verzieht sich der Kabelstrang oder erhitzt sich das Stromkabel über Gebühr, dann ändert sich an dieser Stelle die Brechung des Laserlichtes im Kabel. Ergebnis: Der Fehler im Seekabel kann in einer ersten Vorortung mit einer Genauigkeit von unter 1.000 Metern, im günstigen Fall sogar bis auf 50 Meter genau eingekreist werden – und der Reparaturtrupp weiß, an welcher Stelle er graben muss.
Dennoch sind Reparaturen aufwendig. Je nachdem, wie tief das Kabelsystem liegt, kann es einen bis zwei Monate dauern, bis die beschädigte Stelle lokalisiert, angehoben, herausgeschnitten, jedes Einzelkabel durch Reparaturstücke mit jeweils zwei Kabelmuffen ausgetauscht und das Kabelbündel wieder eingegraben wird. Noch eine Sache also, die sich deutlich verändert hat gegenüber 1850: der Aufwand zur Reparatur eines beschädigten Seekabels.
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