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Drei Fragen an...

Holm Friebe

Wenn es an Infrastrukturen fehlt, muss man sich neu organisieren und andere Wege gehen. Ein Blick auf die Berliner Kunstszene. 

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© Merle Schenker / BDEW

Herr Friebe, der Energiemarkt ist einerseits ein freier Markt, andererseits als Teil der Daseinsvorsorge essentiell für das Allgemeinwesen. Gilt das auch für Kunst und Kultur?
“Kunst ist Lebensmittel” oder “Kultur ist Daseinsvorsorge” heißt es oft salbungsvoll in Sonntagsreden. Damit hebt man die Kultur auf einen derart hohen Sockel, dass niemand mehr drankommt. Als Materialist halte ich es da eher mit Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Kultur.“ Wenn die Grundbedürfnisse Miete, Strom und Gas gedeckt sind, kann man sich entlang der Maslowschen Bedürfnispyramide emporhangeln und an der Veredelung des Menschen durch die Kunst arbeiten.



Andererseits ist selbst der Politik mittlerweile aufgegangen, dass Kultur heute nicht bloß der Delektion und Rekreation dient, sondern im symbolischen Kapitalismus ein massiver Treiber des Bruttosozialproduktes ist. Künstler und Kulturschaffende sichern, wenn man so will, die Grundversorgung mit frischen Ideen, neuen Perspektiven und Identifikationsangeboten. Das Problem ist, dass sie, um dieses zu gewährleisten, selbst Miete, Strom und Gas bezahlen können müssen. 

Kunst- und Kulturschaffende gerieten während der Corona-Pandemie ins Hintertreffen. Sie haben sich mit der „Direkten Auktion“ Ihre eigene Infrastruktur gebaut. Wie kam es zu der Idee - und wie haben Sie diese organisiert und umgesetzt?
Als Hobby-Kunstsammler verbringe ich viel Zeit mit Online- und Live-Auktionen und sehe mich dort in guter Gesellschaft gut situierter alter, weißer Männer mit bunten Socken und Loafers, die die Werke toter, weißer Männer hin- und herschieben und daraus eine Art Geheimwissenschaft machen. Auf der anderen Seite sind viele meiner Freunde lebende und hart arbeitende KünstlerIinnen in der Mitte ihrer Karriere und im Mittelfeld des Marktes angesiedelt. Sie konnten einigermaßen von der Kunst leben, bis ihnen Corona einen Strich durch die Rechnung machte. Die Antwort der Politik war: „Stellt Euch doch bei ALG 2 mit 60.000 Euro Schonvermögen an!“ 



So entstand die Idee, das Auktionsformat zu hacken, so dass auch die in Berlin lebenden und struggelnden KünstlerIinnen etwas davon haben. Das Ziel: eine zumindest symbolische Cashspritze und einen Fuß in den Sekundärmarkt bekommen. Das war im Sommer 2020, dann ging alles sehr schnell und sehr chaotisch. Weil ich auch nur einen Ausschnitt der Berliner Kunstszene kenne, habe ich 19 KuratorInnen kuratiert, die ihren Geschmack, ihre Expertise und ihr Netzwerk mitbrachten und insgesamt 350 spannende Positionen versammelten. Diese wurden dann Ende November drei Tage lang durch das altehrwürdige Berliner Auktionshaus Jeschke van Vliet live und über die einschlägigen internationalen Web-Plattformen versteigert. 

Was ist Ihr Resümee, betrachten Sie die Aktion als Erfolg? 
Mit Karl Valentin gesprochen: “Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.” Um der Komplexität eines solchen Pionierprojektes, für das es keine Blaupause gibt, Herr zu werden, haben einige Leute über Wochen die Nächte durchgearbeitet. Es hat sich gelohnt: Mehr als zwei Drittel der Arbeiten wurden verkauft, was für Neulinge auf dem Auktionsmarkt eine enorme Quote ist. Wir konnten knapp 300.000 Euro Umsatz generieren. Worauf ich am meisten stolz bin: Über die Hälfte der Käufer waren Neukunden, die vorher noch nie etwas bei einer Auktion gekauft haben, über die Hälfte kam aus Berlin. Das Gerücht, dass Berlin zwar ein guter Standort für Kunstproduzenten sei, es aber keinen Markt, kein Geld und keine Sammler gebe, stimmt anscheinend nicht mehr. Wir haben das Auktionsformat entschlackt und so effektiv die Werbetrommel gerührt, dass es auch für neue Sammler und solche, die es werden wollen, attraktiv ist.



Das braucht es auch, wenn der Kunststandort Berlin langfristig sustainable sein soll. Deshalb arbeiten wir gerade daran, die Direkte Auktion auf Dauer zu stellen, zunächst mit sechs Auktionen über sechs Wochen von Mitte August bis Ende September. Der Sammler und Programmierer Ivo Wessel arbeitet an einer völlig neuartigen Web-Plattform, die alle Akteure in den Austausch bringt, und der Wirtschaftssenat unterstützt uns bei der Aufbauarbeit. Natürlich können wir damit nicht alle retten, aber wir schaffen einen Prototypen dafür, wie solidarische Selbsthilfe auf dem Kunstmarkt bottom-up funktionieren kann. “Sozialismus, aber mit kapitalistischen Mitteln.” Klingt paradox, aber ist nur dialektisch gedacht. 

Holm Friebe...


… ist Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin, Publizist und Dozent für Designtheorie an Kunsthochschulen. Er war im Sommer 2020 Initiator der Kunstmarktaktion „Die direkte Auktion“.


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