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Explodierende Baukosten:

Das wäre Ihr Preis gewesen

Von „Elphi“ bis Stuttgart 21: Warum große Infrastrukturprojekte fast immer länger brauchen und teurer werden als geplant.

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© Merle Schenker / BDEW

 

Eine Kreissäge lärmt, Hämmer schlagen auf Stahlplatten, Metallspäne rieseln aus einer Baggerschaufel und es wird Unverständliches gebrüllt. Eine Baustelle? Nein, es handelt sich um Tonkunst, nämlich die Eröffnung des „Pop-Programms“ der Elbphilharmonie Anfang 2017 durch die „Einstürzenden Neubauten“. Bedenkt man noch den Künstlernamen des Sängers „Blixa Bargeld“, könnte man den Veranstaltern fast einen gewissen Galgenhumor attestieren – denn die „Elphi“ wurde nicht nur sieben Jahre später als geplant eröffnet, auch die Kosten sind explodiert: Statt den ursprünglich budgetierten 77 Millionen Euro verschlangen die Baukosten gut das Zehnfache

Die Liste kostspieliger und verspäteter Renommier- und Infrastrukturvorhaben (siehe auch Grafik) ließe sich beliebig fortsetzen: Stuttgart 21, der Flughafen BER / Willy Brandt in Berlin, das Terminal 3 des Frankfurter Flughafens – diese und viele weitere Projekte sind ganz offensichtlich in jeder Hinsicht schwer zu bändigen. Und das, obwohl man bei den Planern und Erbauern eigentlich eine gewisse Expertise voraussetzen dürfte. 

Das ist nicht nur fatal für alle diejenigen, die die neuen Funktionen und Infrastrukturen benötigen, es bringt auch manche Folgeprojekte ins Wanken – und zumeist zahlen die Steuerzahler die Zeche inklusive Zinsen. Gern wird für solches Versagen ein Schuldiger gesucht - genau das ist jedoch gar nicht so einfach. Woran aber liegt es, dass Baukosten regelmäßig aus dem Ruder laufen – und wie ließe sich das vermeiden? Eine Spurensuche.

Viele Köche verderben den Brei

Die mithin größten Fallstricke zeigen sich häufig schon lange vor dem ersten Spatenstich: „Ein grundsätzliches und nicht wirklich lösbares Problem stellt das Prozedere der öffentlichen Vergabe- und Ausschreibungsverfahren dar“, sagt Tim Gemünden, Bauingenieur und Geschäftsführer des mittelständischen Bauunternehmens Karl Gemünden aus Ingelheim am Rhein. „Der Transparenz- und Kostendruck bringt gleich mehrere systemimmanente Schwierigkeiten mit sich: Erstens werden die Projekte zwangsläufig von Generalisten und nicht von Fachleuten der einzelnen Gewerke geplant, zweitens wissen die Planer noch gar nicht, welche Unternehmen später die einzelnen Lose übernehmen und damit kann notwendigerweise das Prozesswissen und die Erfahrungen der Ausführenden nicht in die Planung mit einfließen. Und drittens werden die Zuschläge regelmäßig an diejenigen verteilt, die das vordergründig kostengünstigste Angebot machen – ungeachtet der Tatsache, ob diese Angebote überhaupt realistisch sind, ob also zu dem aufgerufenen Preis die entsprechende Qualität und Termintreue sichergestellt werden kann.“ Somit sei zumeist schon im Planungsprozess das Kind in den Brunnen gefallen. 



Auch das generelle Timing von Infrastrukturprojekten spielt eine Rolle: Dr. Eckhard Janeba ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Er sagt: „Wir beobachten, dass große staatliche Investitionen immer dann getätigt werden, wenn gerade Geld vorhanden ist.

Wenn dann parallel mehrere Riesenprojekte gestartet werden, führt das unweigerlich zu Preissteigerungen, weil die Kapazitäten der Bauwirtschaft nun mal begrenzt sind, oder auch – wie aktuell die Holzvorkommen – schon einmal die Ressourcen.“ Wenn die Nachfrage nach öffentlichen Infrastrukturprojekten gleichmäßiger über die Zeit verteilt wäre, könnte die Bauwirtschaft höhere Kapazitäten aufbauen, was sich positiv auf die Preise und auch Termintreue auswirken könnte. 



Eine weitere Tücke im Ausschreibungsverfahren ist das gesetzlich verankerte Mittelstandsgebot . Dieses Gebot stellt sicher, dass „mittelständische Interessen vornehmlich zu berücksichtigen“ sind. Was theoretisch ein lobenswerter Ansatz ist, erweist seine Tücken oftmals in der Praxis: Getreu dem Grundsatz „Viele Köche verderben den Brei“ erhöht die Aufteilung eines Großprojekts in viele kleine Lose den Kommunikationsaufwand zwischen allen Beteiligten.

Als typisches Beispiel hierfür führt Janeba die zu trauriger Berühmtheit gelangte Entrauchungsanlage des Flughafen BER an. Hier habe die Aufteilung der Ausschreibung in zwei unterschiedliche Lose für die Abfuhr des Rauchs und die Zufuhr von Frischluft letztlich zur Konstruktion eines „Monsters“ – so die beteiligten Fachkräfte im internen Jargon - mit zwei nicht kompatiblen Systemen geführt. 



Und dann wären da noch die Klagen von Gegnern wie beispielsweise Anwohnern, Natur- und Artenschützern, die die deutschen Behörden buchstäblich lahmlegen: Zwischen 18.000 und 20.000 Verfahren erledigen die Verwaltungsgerichte bundesweit pro Jahr – und schwimmen immer noch hinter der Welle, denn weitere Zehntausende sind anhängig , wie das Handelsblatt in seinem Stück „Die blockierte Republik“ schreibt.

In letzter Instanz lassen sich solche Verzögerungen weder ganz vermeiden noch vorausschauend planen. Trotzdem ist noch Luft nach oben, wenn es um erfolgreiche Beteiligungsverfahren geht. Hier empfiehlt Janeba beispielsweise fairere Kompensationsverfahren: Vereinfacht gesagt sollten diejenigen, die von dem Infrastrukturprojekt profitieren oder die Infrastrukturen vorrangig nutzen, für die Kompensation derjenigen aufkommen, die die damit verbundenen Nachteile hinnehmen müssen.

Innehalten und Feedbackschleifen

Geht es auch anders? Müssen große Bau- und Infrastrukturprojekte zwangsläufig den gesteckten Zeit- oder Budgetrahmen sprengen? „Nicht zwangsläufig“, sagt Janeba. „Wir sollten den Blick häufiger auf Projekte richten, die gut funktionieren und daraus lernen. In der Schweiz beispielsweise laufen gerade Verkehrsinfrastrukturprojekte häufig sehr glatt.“ Weiterhin plädiert Janeba für eine sorgfältige Grenzziehung zwischen politischer Planung einerseits und der Durchführung vor Ort andererseits: „Es wird häufig problematisch, wenn ein Aufsichtsrat mit politischer Agenda im Projekt sitzt. Am Ende muss die Politik zwar die Grundsatzentscheidungen treffen, aber die Ausführung und enge Verantwortung sollte unbedingt Fachleuten überlassen werden.“

Tim Gemünden ergänzt, dass eine allzu starke und kurzfristige Fokussierung auf Kosten häufig einen Irrweg darstelle. Mit Blick auf die aktuellen Pläne der Deutschen Bahn, den Fernbahnhof in Frankfurt am Main unterirdisch auszubauen, kritisiert er die reflexhaft einschießende mediale Häme und spricht sich dafür aus, die Opportunitätsgewinne eines solchen Großprojekts in einem langfristigen Zeitraum zu betrachten. Eine Verlegung des Fernbahnhofs in den Untergrund bringe nicht nur einen besseren Durchsatz von Zügen und eine stark reduzierte Komplexität im Vergleich zu einem Kopfbahnhof, auch der volkswirtschaftliche Gewinn sei immens,. Der Grund: Je weniger Verzögerungen im Betriebsablauf, desto höher die Effizienz nachgelagerter Wertschöpfungsketten. „Kurz: Ich halte die Tieferlegung der Bahnhöfe in Stuttgart und Frankfurt geradezu für ein volkswirtschaftliches Muss“, sagt Gemünden. 



Ansonsten empfehlen beide Experten mehr partnerschaftliche Zusammenarbeit der Gewerke, regelmäßige Feedbackschleifen und mehr Agilität in den Prozessen. Natürlich lässt sich ein hochkomplexes Infrastrukturprojekt nicht von einem Scrum-Manager bändigen, doch ein regelmäßiger Blick auf Ziele und Bedarfe, wie auch das Lernen aus Fehlern sei essenziell. Tim Gemünden bringt es auf den Punkt: „Man muss auch mal den Mut haben zu erkennen, wenn man auf dem Holzweg ist.“

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