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Daseinsvorsorge:

Energieversorger im Aufbruch

Krise als Katalysator: Die kommunalen Versorger stellen sich globalen Herausforderungen und sondieren neue Geschäftsfelder. 

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© Robert Albrecht/BDEW

Noch ist die Pandemie nicht Geschichte. Und dass sie in der Gesellschaft tiefe Spuren hinterlässt, ist nach mehr als zwei Jahren unübersehbar. Dazu gehört auch das Geschäft der Energieversorger. Die gute Nachricht: Das Vertrauen der Bevölkerung in die kritische Infrastruktur ist höher als vor Corona. Zugleich stellt die Gleichzeitigkeit von Pandemie, Digitalisierung, Energiewende und dem Ukraine-Krieg die kommunale Daseinsvorsorge vor die Herausforderung, mehrere Krisen parallel zu meistern.

Corona als Innovationstreiber: Arbeitsorganisation im Umbruch

Auch bei Energieversorgern ist die digitale Kommunikation pandemiebedingt längst omnipräsent: Eine Folge daraus ist, dass zentralistische Organisationsformen mehr und mehr infrage gestellt werden, wie Bernd Reichelt, Teamleiter Personalmanagement und Mitglied der Geschäftsleitung der Stadtwerke Menden, erläutert. „Corona hat die Grenzen dessen aufgezeigt, was sich durch hierarchische Organisation und Kontrolle erreichen lässt. Dezentrale Entscheidungen und Vertrauen sind unersetzlich.“ Und: Weil die gesamte Belegschaft digital geschult und technisch ausgerüstet wurde, sei allgemein anerkannt: „Jeder und jede ist Teil des Ganzen, übernimmt Eigenverantwortung und sollte sich fragen: Wie kann ich mich innovativ einbringen?“

Neue Ziele: Mehr Mitbestimmung und Autonomie

Nach mehr als zwei Jahren Pandemie-Alltag konstatiert auch Heike Heim, Vorsitzende der Geschäftsführung der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21), ein anderes Miteinander von Belegschaft und Geschäftsführung – „und infolge einer ausgeweiteten Rahmenarbeitszeit mehr Autonomie im Arbeitszeitmanagement“. Bereits vor Corona habe es eine Regelung zur Mobilarbeit gegeben, die aber nur von rund sechs Prozent der Mitarbeitenden genutzt wurde. „Heute sind es mehr als 35 Prozent, die technisch und operativ mobil arbeiten können“, so Heim. 

Sehnsucht nach dem Vor-Corona-Alltag: Grenzen des digitalen Arbeitsalltags

Es gibt aber auch Stadtwerke, in denen die Beschäftigten der Zoom-Kommunikation weitgehend überdrüssig sind. Ein Beispiel ist die Zwickauer Energieversorgung, bei der etwa 200 Menschen beschäftigt sind. Weil in vielen Arbeitsbereichen auf große Datenmengen zurückgegriffen werden muss, die 70 Monteure ohnehin im gesamten Netzgebiet im Vor-Ort-Einsatz sind und der Leitstand rund um die Uhr besetzt ist, kann dort nur ein Viertel der Belegschaft die Möglichkeit zum Homeoffice nutzen. „Die meisten sehnen sich nach dem Vor-Corona-Alltag mit ihren Kollegen zurück“, lautet die Erfahrung des Geschäftsführers Volker Schneider. Dasselbe gelte auch für das lange geschlossene Kundenzentrum, in dem die Nachfrage nach Vor-Ort-Beratungen sehr hoch sei, so Schneider: „Existenzielle Themen wie Zahlungsziele und die Aufhebung von Sperrungen möchten viele lieber persönlich besprechen.“

E-Mobilitätspakete und Smart-City-Initiativen: Aufbruch in neue Geschäftsfelder 

Ein Novum ist das in der Pandemiezeit stark angestiegene Interesse an Elektromobilität, das auf die Verschärfung der Klimaziele und ein gestiegenes Umweltbewusstsein zurückgeht: 2021 betrug der Marktanteil von E-Autos im wohlhabenden Nordeuropa mehr als 15 Prozent, was im Vergleich zum Vorjahr nahezu einer Verdopplung entsprach. Bernd Reichelt von den Stadtwerken Menden fügt hinzu, dass sich auch der Wettbewerb zwischen der Automobilbranche und der Versorgungswirtschaft verschärft habe: Längst böten Autohäuser ihren Kunden nicht nur Lade-Services und -Hardware sowie die benötigten Kilowattstunden fürs E-Auto an, sondern zusätzlich auch den Strom für private oder gewerbliche Räume. Um die eigenen Kunden nicht an die neue Konkurrenz zu verlieren, entstand das Projekt hEppy: eine Kooperation des Energieversorgers mit Autohäusern und regionalen Handwerksbetrieben, die vom Kauf des E-Autos über die Ladebox bis zu Installation und Energie alle Kosten bündelt. Weil auch das Ziel der Klimaneutralität immer wichtiger werde, gründeten die Stadtwerke Menden mit der Kommune eine Digital-Gesellschaft – „damit unsere Versorgungsnetze stärker für die E-Mobilität genutzt werden und um das Smart-City-Konzept voranzutreiben“, so Reichelt. Dazu gehöre eine intelligente Parkraumbewirtschaftung ebenso wie die nachhaltige Umgestaltung des ÖPNV. 

Krise als Katalysator: Vom Energie- und Wasser- zum nachhaltigen Lebensversorger

Verstärkte Impulse beim Thema Smart City setzt auch die DEW21. Bereits Ende 2019 gründete die Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH mit der DOdata GmbH einen SmartCity DataHub. Zu den Projekten, die 2020 angestoßen wurden, zählt eine digitale CO2-Sensorik, mithilfe derer man einer erhöhten Aerosol-Belastung in Innenräumen entgegenwirken kann. Dem Anspruch, Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und Umweltkosten zu minimieren, sind auch andere Smart-City-Projekte der DOdata gewidmet: Ob es um funkbasierte Zähler zur Verbrauchsüberwachung samt automatisierter Leckageerkennung geht oder um intelligente Sensorik, die die Füllstände von Containern misst, um Leerungsrouten zu optimieren: „Die Gründung des DataHubs war ein weiterer wichtiger Schritt in unserer Entwicklung vom klassischen Energie- und Wasserversorger zu einem nachhaltigen Lebensversorger“, resümiert Heike Heim. 

Frage für die Daseinsvorsorge: Wie wollen wir nachhaltiger leben und arbeiten?

Mit den Initiativen in Richtung einer Smart-City positionieren sich die Stadtwerke in Menden und Dortmund als wichtige Partner der Kommunen. Beide eint der Anspruch, verstärkt zur Energiewende beizutragen. „Die Frage, wie wir nachhaltiger leben und arbeiten wollen, stellt sich auch für die Daseinsvorsorge so drängend wie nie zuvor“, unterstreicht Bernd Reichelt. „Keine Kommune kann klimaneutral werden, ohne dass die Stadtwerke eine Dekarbonisierungsstrategie entwickeln und enger als bisher mit der Kommune kooperieren.“ Als öffentliche Unternehmen seien Stadtwerke prädestiniert, sich für eine gemeinwohlorientierte Ökonomie zu engagieren, meint Reichelt. „Wenn es darum geht, in 20 bis 30 Jahren Strom, Gas und Wasser klimaneutral zur Verfügung zu stellen, wächst uns eine besondere Vorbildrolle zu.“

Die globale Großwetterlage – eine zusätzliche Belastungsprobe

Dass durch die Kombination von Coronakrise und wieder ansteigender Weltkonjunktur sowie dem Ukraine-Krieg die Preise für Energie massiv steigen, zählt zu den größten Herausforderungen. „Angesichts dieser Situation, in der schon die Vorauszahlungen der Mieter an die Wohnungsgesellschaften für 2022 deutlich höher ausfallen als bisher, wird es sicherlich knistern“, sagt Volker Schneider. Umso wichtiger sei es, die Risiken gerecht zu verteilen. „Auch Alleinerziehende mit zwei Kindern sollten sich eine warme Wohnung leisten können.“ Auch wenn der Branche im Hinblick auf ein mögliches Energieembargo eine harte Bewährungsprobe bevorstehe: Die positive Erwartung der Menschen, „dass, was immer auch passieren mag, der Strom fließt und die Heizung wie auf Knopfdruck funktioniert“, bestehe nach wie vor.



Heike Heim vom DEW21 teilt diese Einschätzung: „Während der Pandemie haben wir uns deutlich steigern können, was den Stellenwert unserer Leistungen und das Vertrauen in uns betrifft“, resümiert sie und nennt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, die im Auftrag des Fachmagazins KOMMUNAL entstand. Demnach waren es vor der Pandemie 68 Prozent aller Befragten, die den kommunalen Unternehmen vertrauen, inzwischen sind es 75 Prozent. Heims Resümee: „In Krisenzeiten wird den Menschen offenbar stärker bewusst, dass eine zuverlässige Energie- und Wasserversorgung nicht immer und überall selbstverständlich ist.“

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