Ein ruhiger Frühlingstag auf der Nordsee: Mit vier bis fünf Windstärken pfeift der Westwind um die Aufbauten der Esvagt Faraday. Gemächlich hebt und senkt sich der Rumpf des Schiffes in den mannshohen Wellen. Den Männern und Frauen im Schiffsinneren macht das nichts aus. Die Crewmitglieder widmen sich ihren Aufgaben in Maschinenraum, Kombüse und auf der Brücke, die Passagiere entspannen sich nach einem harten Arbeitstag. Denn die Esvagt Faraday ist kein Vergnügungsdampfer, sondern liegt als Wohn- und Versorgungsschiff im Offshore-Windpark Veja Mate. Jede Technikermannschaft ist zwei Wochen an Bord im Windpark stationiert, rund 70 Seemeilen nördlich des niederländischen Hafens Eemshaven, von Land aus gesehen weit hinter dem Horizont.
Einer ist anders gekleidet als die anderen: Frederik Maaß trägt nicht die Kleidung der Windparkfirma, sondern die Kluft der Einsatzkräfte des Fachbereichs Offshore Rescue and Medical Services des Ortsverbands Stedingen der Johanniter Unfall-Hilfe. Er ist als Offshore Paramedic verantwortlich für die Gesundheit von Technikerteam und Schiffsbesatzung, im Winter insgesamt rund 50 Menschen, die permanent die Wartung und Pflege der knapp 60 6-Megawatt-Windkraftanlagen durchführen, die mit ihren mehr als 150 Meter im Durchmesser großen Rotoren klimaneutralen Strom aus dem Seewind erzeugen. Wie alle anderen an Bord nimmt Maaß die Bewegungen des Schiffes kaum zur Kenntnis: „Wir haben gerade eine Wellenhöhe von knapp zwei Metern, da lässt sich noch arbeiten“, ordnet der 27-Jährige das für Binnenländer ungewohnte Schwanken ein. „So ab zweieinhalb Metern werden dann die Arbeiten in der Regel eingestellt, weil der Überstieg vom Schiff in die Anlagen zu gefährlich wird. Ich persönlich finde es ab fünfeinhalb Metern allmählich ungemütlich.“
Sicherheit ist das A und O
Anders als es der Name seiner Organisation vermuten lässt, ist die Haupttätigkeit des Offshore Paramedics nicht nur die Versorgung von Unfallverletzungen. „Weil die Bedingungen auf dem Meer so extrem sind und das Festland weit weg ist, stehen Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit hier an allererster Stelle. Das beginnt schon bei der Planung und Vorbereitung“, erklärt Frederik Maaß und veranschaulicht dies mit einem Beispiel: „Wenn auf einer normalen Baustelle an Land so gearbeitet würde wie bei uns, dann würde ein Maurer bei Arbeitsbeginn detaillierte Anweisungen für das Setzen jedes einzelnen Steins bekommen, die Umsetzung würde Stein für Stein kontrolliert und falls sich ein Stein nicht wie geplant einpassen lässt, würde erst mal abgebrochen und analysiert werden.“ Zudem werde extremer Wert auf die Sicherung der Techniker im Einsatz gelegt. So ist es kein Wunder, dass Arbeitsunfälle im Windpark deutlich seltener sind als auf dem Festland. Maaß bringt es auf den Punkt: „Hier draußen ist einfach kein Platz für Fehler.“
Frederik Maaß ist in seiner 14-Tages-Schicht der einzige ausgebildete medizinische Fachmann. Doch im Falle des Notfalls ist er nicht allein, sondern wird von gut trainierten Ersthelfern unterstützt: Die Techniker sind geschult, in und auf den Windkraftanlagen Erste Hilfe zu leisten und verletzte Kollegen zu retten. An Bord des Schiffes ist klar geregelt, welche sach- und ortskundigen Crewmitglieder ihm assistieren. Doch Ausbildung und Rettungskonzepte sind das eine, die Praxis ist das andere: So gehört es zur Aufgabe des Offshore Paramedics, Situationen und Abläufe regelmäßig in Notfallübungen zu trainieren und auf eventuelle Mängel mit gezielten Schulungsmaßnahmen zu reagieren. Teamleader des Medical Teams ist Maaß außerdem in Fragen des Brandschutzes. Auch hier sorgt er mit regelmäßigen Alarmübungen für Training und Routine.
Umfassend qualifiziert
Unfälle kann man relativ effektiv vermeiden, viele Krankheiten aber nicht: „Es ist statistisch nicht wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich, dass jemand hier oder an Land etwa einen Herzinfarkt oder eine alltägliche Krankheit bekommt. Da habe ich in meinen Offshore-Jahren und davor im Rettungsdienst bei den Johannitern wohl so ziemlich alles gesehen und behandelt.“ Um dies zu können, hat er wie alle seine Kolleginnen und Kollegen des Johanniter-Offshore Rescue and Medical Services eine intensive und umfassende Ausbildung absolviert. So ist er ausgebildeter Höhen- und Tiefenretter und verfügt unter anderem über internationale Zertifikate für Traumata und kardiovaskuläre Erkrankungen und Notfälle. Zudem bildet er sich permanent weiter, beispielsweise über neue Medikamente und Techniken. So kann er viele seiner Patientinnen und Patienten in seinem kleinen Bordhospital selbst behandeln und in jedem Falle kompetent Hilfe leisten, bis ein Weitertransport per Schiff oder Hubschrauber aufs Festland erfolgt. Diesen gewährleisten starke Partner im WINDEAcare-Verbund. Über dieses Netzwerk kann der Offshore Paramedic zudem via Telemedizin Rat und Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten aller Fachrichtungen des Klinikums Oldenburg einholen.
Präsenz und Kommunikation
Obwohl er eine Sonderrolle als Fachmann für Gesundheit und Sicherheit hat und viel Verantwortung trägt, ist der Paramedic kein einsamer Experte, sondern Mitglied der Mannschaft und Bordgemeinschaft. So ist er auch nicht immer in seinem Hospital anzutreffen: „Ich fahre regelmäßig raus und gehe mit in die Windkraftanlagen. Schließlich muss ich ja wissen, wie die Gegebenheiten sind, wenn Hilfe geleistet werden muss.“ Und auch auf dem Schiff ist er regelmäßig unterwegs. „Ich gehe in den Maschinenraum oder auf die Brücke, treffe Techniker in den Gemeinschafträumen und spreche mit den Leuten bei einem Pott Kaffee.“ Das macht er nicht nur, um Präsenz zu zeigen. Im zwanglosen Gespräch bekommt er auch mit, wie es den Menschen geht. „Das sind vielfach harte Burschen, die nicht wegen jedem Wehwehchen zu mir kommen würden. Aber so kriege ich auch mal mit, wenn einer dauernd Rückenschmerzen hat, und kann ihm vielleicht mit Tipps für Übungen oder einer Massage helfen. Und auch der Seele schadet so ein Klönschnack ganz bestimmt nicht.“
Obwohl Frederik Maaß erst 27 Jahre alt ist, hat er schon eine Menge gesehen und erlebt. Nach der Schule machte er zunächst eine Ausbildung zum Produktionsmechaniker, ehe er in den Rettungsdienst wechselte. Seit fünfeinhalb Jahren ist er offshore unterwegs, hat in dieser Zeit in unterschiedlichen Windparks und deren Baustellen auf 24 Schiffen und Plattformen gearbeitet. Und er hat noch einiges vor: Auf Wohnplattformen sind die Besatzungen Wind und Wellen weitaus weniger ausgesetzt als auf dem Serviceschiff, da wackelt auch bei Windstärke zehn die Koje nicht. Doch er bevorzugt die Schiffe: „Ich liebe das Meer und das Leben an Bord.“ Er weiß, dass das nicht jeder nachvollziehen kann: „Für den Job hier draußen muss man wohl gemacht sein“, sagt er und fügt mit einem Grinsen hinzu: „Und wenn man nicht weiß, ob man das ist, dann findet man das ganz schnell heraus.“
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