Ein Gastbeitrag von Dr. math. Christoph Mayer
Effizienz, Sicherheit und Automatisierung versus Bugs, Hackerangriff und Blackout: Die Digitalisierung des Energiesystems ruft widersprüchliche Bilder hervor. Fakt ist: Digitalisierung erfasst das Energiesystem und jeden anderen gesellschaftlichen Bereich. Und das ist gut, denn ohne sie wäre die Energiewende nicht machbar. Dezentrale Erzeugeranlagen, Speicher, Elektromobilität und neu auftretende Marktakteure können nur mit ihrer Hilfe effizient ins Energiesystem integriert und untereinander koordiniert werden. Auch die immer häufigeren Eingriffe im Verteilnetz verlangen nach verbesserter Unterstützung durch softwarebasierte Werkzeuge.
Zugleich entstehen durch die Digitalisierung neue Risiken für Black-outs durch Cyberangriffe und Softwarefehler. Deshalb müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen und eine Resilienzstrategie entwickeln, um mit der durch Digitalisierung und Energiewende veränderten Risikosituation umzugehen.
Das zukünftige Energiesystem resilient gestalten
Unter den kritischen Infrastrukturen (KRITIS) spielt die Stromversorgung eine besondere Rolle: Alle anderen KRITIS hängen von ihr ab. Ein mehrstündiger, großflächiger Black-out würde andere KRITIS massiv schädigen – etwa die Informationstechnik und Telekommunikation (IKT) sowie die Gesundheitsversorgung. Umgekehrt wird die Stromversorgung immer abhängiger von einer zuverlässigen und stabilen Informationstechnik und Telekommunikation. Potenzielle Abhängigkeiten zwischen dem Stromsystem und Informations- und Kommunikationssystemen gilt es daher frühzeitig zu identifizieren und zu beherrschen, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden.
Die rasant fortschreitende Digitalisierung bei gleichzeitig raschem Umbau des Energiesystems birgt aber auch das Risiko überraschender neuer Fehlerquellen, die wir aktuell noch nicht antizipieren können. Deshalb müssen wir das Energiesystem in die Lage versetzen, auch unvorhergesehene Störereignisse unbeschadet abzufangen oder wenigstens in kurzer Zeit und mit möglichst geringem Schaden wieder in den normalen Betriebszustand zurückzukehren. Klassisches Risikomanagement allein, das auf Erfahrungswissen und der Beherrschung des Bekannten beruht, reicht in Zukunft nicht mehr aus.
Wenn der Hausspeicher systemrelevant wird
Ein Beispiel verdeutlicht dies: Schon bald wird jedes neue Gerät über das Internet kommunikativ vernetzt sein. Smart Home-Anwendungen können zu einer effizienten Stromnutzung beitragen, wenn zum Beispiel Haus-Batterie, PV-Anlage und Ladevorgänge des Elektrofahrzeugs so gesteuert werden, dass der Haushalt ohne Komfortverluste Geld spart und zugleich Netzanforderungen bedient werden. Somit wäre aber auch ein Szenario denkbar, in dem etwa politisch motivierte Angreifer sehr viele Haushalte attackieren und eine große Anzahl an Geräten simultan an- und ausschalten, um das Netz bis hin zum Blackout zu destabilisieren.
Während einerseits die Energieakteure, Betreiber und Hersteller gegen ein solches Szenario Vorkehrungen zu treffen haben, müssen andererseits die vielen ansteuerbaren Anlagen und Geräte im Verteilnetz einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität leisten: Dezentrale Anlagen liefern dann nicht nur Systemdienstleistungen, sondern können während eines Blackouts die Stromversorgung regional in Inseln sichern und insbesondere wichtige Abnehmer mit Strom beliefern, zum Beispiel Krankenhäuser oder die Feuerwehr.
Neue Herausforderungen – neue Akteure
Die Beispiele vermitteln bereits einen Eindruck der neuen Herausforderungen: Neben den klassischen Akteuren der Energiewirtschaft haben zukünftig Plattformbetreiber für Smart-Home-Anwendungen, Elektrofahrzeuge oder andere Geräte, Betreiber von öffentlichen Kommunikationsnetzen und Gerätehersteller eine Verantwortung für die Stabilität des Energiesystems.
Auch der Einfluss von Privatakteuren steigt weiterhin: Prosumer, Energiegenossenschaften oder Quartiere, in denen lokal Energie ausgetauscht wird, spielen eine wachsende Rolle. Sie aktiv einzubeziehen, ihre Belange zu berücksichtigen und ihr Verständnis für ihren Einfluss auf die Sicherheit der Stromversorgung zu fördern, gehört zu einer wirksamen Resilienzstrategie.
Resilienzsicherung: Wer jetzt gefordert ist
Die Digitalisierung bietet die Chance, dezentrale Erzeugungsstrukturen, Elektromobilität und neu auftretende Marktakteure effizient, sicher und sichernd ins Energiesystem zu integrieren. Drei Handlungsoptionen mögen dies beispielhaft verdeutlichen:
Erstens. Auch kleinere Netzbetreiber und Anlagenbetreiber könnten als Ziele eines großen Cyber-Angriffs interessant sein, wenn eine größere Anzahl dieser Netze zur gleichen Zeit manipuliert werden kann. Eine Option wäre daher, die BSI-KRITIS-Verordnung so anzupassen, dass auch kleinere Leistungsmengen berücksichtigt werden, wenn sie durch Angriffe der genannten Art gleichzeitig betroffen sein könnten. Dabei dürfte ein einfaches Senken der Schwellenwerte eher zu Problemen bei der praktischen Umsetzung führen. Stattdessen wären die Richtlinien und Zertifizierungsprozesse immer so zu gestalten, dass auch kleinere Akteure sie praktikabel und ökonomisch effizient umsetzen können. Ebenso muss die Gesetzgebung auch Akteure als systemrelevanten Teil der KRITIS betrachten, die selbst zwar nicht zur Energiewertschöpfungskette gehören, aber durch Monitoring, Updates oder gar Schalthandlungen auf viele Anlagen zugreifen können – dies gilt zum Beispiel für Hersteller. Da ein Teil der Kommunikation über öffentliche Netze laufen wird, sollten auch sie in die entsprechenden Gesetze und Richtlinien integriert werden.
Zweitens. Da das Verteilnetzgeschehen für die elektrische Energieversorgung zunehmend wichtiger wird, muss der Austausch von Informationen und Handlungsanweisungen zwischen Netzbetreibern schnell verbessert und unter angemessenen Sicherheits- und Echtzeitanforderungen automatisiert werden. Dies gilt insbesondere für die Übertragungsnetzbetreiber und Betreiber der nachgelagerten Netze, denn durch die zunehmende fluktuierende Einspeisung in die Verteilnetze müssen diese immer größere Beiträge zur Systemstabilität erbringen. Zunehmend werden Systemdienstleistungen aus nachgelagerten Netzebenen angefordert. Als wichtiger Einstieg organisiert etwa Redispatch 2.0 die Informationsprozesse zur Engpassbewirtschaftung neu. Um Einspeisung und Entnahme in einem System auszutarieren, das immer stärker durch das Verhalten dezentraler Anlagen bestimmt wird, ist ein hoher Grad an Automatisierung erforderlich. Digitalisierung muss daher aktiv gestaltet und gefördert werden, etwa durch verstärkte Anreize für die Netzbetreiber zur zügigen Digitalisierung, aber auch durch Standards und Normen. Teile der Kommunikation müssen dazu schwarzfallfest sein – also geschützt vor den Auswirkungen eines Stromausfalls. Ergänzt werden sollte dies um Trainings des – bereits heute gut ausgebildeten – Leitstellenpersonals, um mit neuartigen und überraschenden Ereignissen noch besser umgehen zu können.
Drittens. Diese Änderungen erfordern nicht zuletzt eine konsequente und institutionalisierte Governance: Im Auftrag der Politik sollte regelmäßig evaluiert werden, ob Maßnahmen adäquat umgesetzt werden, wie wirksam die Resilienzstrategie ist und welche neuen Pfadabhängigkeiten sich vielleicht entwickeln. Diese Überprüfung könnte etwa jährlich im Rahmen des „Monitoring der Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz stattfinden.
Weitere Informationen und Handlungsoptionen finden sich in der Publikation „Resilienz digitalisierter Energiesysteme. Wie können Blackout-Risiken begrenzt werden?“
Dr. math. Christoph Mayer ...
... ist im Forschungsbereich Energie des OFFIS – Institut für Informatik tätig, einem An-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Außerdem engagierte er sich im Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) als Leiter der AG „Resilienz digitalisierter Energiesysteme“.
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