Gastbeitrag von Ludger Gailing, BTU Cottbus-Senftenberg
Was ist Landschaft? Gerade in Deutschland wird Landschaft oftmals konservierend beschrieben: Sichtbare Spuren der Modernisierung – etwa Windkraftanlagen – gelten als ästhetisch negativ. Kulturlandschaften werden als „ein Stück geronnene Geschichte“ betrachtet, „in denen das Verhältnis von Mensch und Natur in vielen Jahrhunderten Gestalt angenommen hat“.
Wer aber den Begriff einer Kulturlandschaft nicht ausschließlich an ein romantisches Landschaftsempfinden bindet, kann offen sein für Landschaft als Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Schon in natürlicher Hinsicht ist Landschaft ein dynamischer Prozess, und ebenso aus kultureller Sicht. Was wir als schützenswerte Landschaft empfinden, kann sich immer wieder ändern. Heute gelten Windräder als landschaftsfremd, wohingegen die Relikte der Windmühlenlandschaften des 18. und 19. Jahrhunderts längst eine Verklärung erfahren haben.
Einer ästhetisch-ideologischen Valorisierung und einer nostalgisch-romantischen Neubewertung zugänglich wären demnach vor allem solche Gegenden, in denen vergangene Eingriffe und Folgen von Wirtschaftsweisen noch sichtbar sind, deren Nutzung aber obsolet wurde oder problembehaftet ist. Auch heutigen Windkraftlandschaften lässt sich eine solche Zukunft vorhersagen. Mit anderen Worten: In der Landschaft gibt es zunächst immer Konflikte um das Neue, bevor dieses nach ein bis zwei Generationen für bewahrenswert erklärt wird.
Der Mensch gestaltet Kulturlandschaften
Wer mit einem offenen Kulturlandschaftsverständnis nicht nur auf die Geschichte, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft von Regionen schaut, wird sich andere Fragen stellen: Wer macht unsere Kulturlandschaften? Wer ist für sie verantwortlich? Sie sind nicht ohne den Menschen denkbar, der die Landschaft als politischen Raum gestaltet. Kulturlandschaften lassen sich demnach nicht nur als „Konfliktlandschaften“, sondern als gemeinsame Handlungsräume auffassen. In ihnen sollten die Verantwortlichen danach streben, Konflikte im Vorfeld zu identifizieren und zu lösen.
Viele ländliche Räume sind schon heute Energielandschaften. Die Energiewende als Dezentralisierungsprozess schafft überall Möglichkeiten, von der Energieerzeugung ökonomisch zu profitieren. Die Energiewende birgt damit eine Entwicklungschance, auch für bis dato strukturschwache Regionen: Neben Windkraft und Photovoltaik steckt dabei in Power-to-X- und Speicheranlagen erhebliches Potenzial.
Auch wenn diese Chancen gesehen werden, sorgt der Zubau vielerorts für Konflikte. Bei der Suche nach Lösungen kann nicht „die Landschaft“ im Fokus stehen, da diese nicht einheitlich ist. Neben Naturschutzanliegen sorgen Gerechtigkeitsfragen für große Unterschiede, wie eine Untersuchung in zwei Regionen belegt: dem niedersächsischen Lüchow-Dannenberg und der brandenburgischen Prignitz.
Während die niedersächsische Region im Wendland – bekannt für sein kreatives ländliches Milieu, das für den Anti-Atom-Diskurs steht – die Energiewende aktiv betreibt, zeigt sich in der Prignitz ein anderes Bild: Kollektivierungsprozesse zu Zeiten der DDR haben in der Region zu großen landwirtschaftlichen Strukturen beigetragen. Die Bewohnerschaft in den Dörfern verfügt heute zudem oftmals nicht selbst über die landwirtschaftlichen Flächen. Diese sozio-materiellen Bedingungen in Verbindung mit einer überdurchschnittlichen Arbeitslosenquote sowie einem niedrigen Haushaltseinkommen haben die Chancen für externe Investoren erhöht, in großem Umfang in große Windenergieparks zu investieren.
Bürger beteiligen – auch finanziell
Wenn das direkte finanzielle Engagement der Anwohnerschaften und Gemeinden in Erneuerbare Energien gering ist wie in der Prignitz, ist es auch die Akzeptanz. Aus diesem Grund ist Partizipation ein wichtiger Aspekt, sowohl mit Blick auf die Verfahren der räumlichen Planung als auch auf die finanziellen Erlöse. Konfliktlösung kann gelingen, indem man die Menschen von Energieprojekten profitieren lässt, auch wenn sie nicht die Eigentümer von Grund und Boden sind. Gesetzliche Regelungen sind ein Instrument dafür, wie etwa das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern und der „Windkrafteuro“ in Brandenburg zeigen.
Positive Einflüsse können außerdem von Unterstützung für die örtlichen Gemeinschaften ausgehen, ökonomisch und zivilgesellschaftlich tätig zu werden – Stichwort Empowerment: Auf Ebene der Bundesländer und Landkreise sollten sie Hilfe etwa dabei erhalten, lokale Energiegenossenschaften zu gründen. Wie gelingt es, die legitimen Interessen der Kommune in den Prozess einfließen zu lassen, wenn ein Unternehmen vor Ort einen Windpark errichten möchte? Mit dieser Herausforderung sollten vor allem kleine Kommunen, von denen sich viele in der Haushaltssicherung befinden, nicht allein bleiben.
Der geringe Ausbau an Erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren macht einen massiven Zubau in den kommenden Jahren unerlässlich. Schon heute bestehendes Wissen wie das um die Unterschiede „unserer Landschaft“ sollte in diese Zukunft mitgenommen werden.
Ludger Gailing…
… geboren 1976 in Dortmund ist Regionalplaner. Seit dem Jahr 2020 ist Gailing Professor für Regionalplanung an der BTU Cottbus-Senftenberg.
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