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Startup:

Kohle fürs Klima

Holzabfälle in günstige Supermaterialien verwandeln – und dabei schädliches CO2 binden: ein neues Geschäftsmodell?

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© Robert Albrecht / BDEW

 

„Mir wäre es lieber, wenn es uns nicht geben müsste.“ Für einen CEO ist der Satz wohl eher ungewöhnlich, mit dem Torsten Becker das Gespräch beginnt. Was er meint: Seine Firma, die carbonauten, profitiert von den aktuellen Krisen auf der Welt. „Nach der Gründung waren wir drei Jahre lang auf ‚Betteltour‘ bei Investoren. Da hat sich noch kaum jemand für unsere Technologie interessiert“, erinnert sich der Industriedesigner. Das habe sich mittlerweile geändert: „Heute rufen uns fast täglich große Firmen, KMUs und Kommunen an.“ Der Ansatz der Gründer aus Giengen in Baden-Württemberg, der jetzt viele neugierig macht: Sie wollen aus Holzresten günstige, klimafreundliche Biokohle und Biochemikalien herstellen, die das Zeug haben, viele mineralische und erdölbasierte Materialien zu ersetzen. 


Wie alles begann…

Mit Kohlenstoff hat der heute 59-jährige Torsten Becker nach seinem Industriedesignstudium erst einmal nichts am Hut. Stattdessen gründet er eine Design- und Kommunikationsagentur und unterstützt in Süddeutschland Hidden Champions aus KMU und Industrie. Dabei lernt er 2013 Christoph Hiemer kennen. „Der Vater von Christoph war in den Siebzigerjahren ein Pionier bei Biomassekraftwerken in Deutschland. Christoph ist nach 20 Jahren im elterlichen Betrieb auf die Idee gekommen, holzige Biomasse nicht mehr einfach nur zu verbrennen, sondern über deren stoffliche und energetische Nutzung hochwertige Biokohlenstoffe herzustellen.“ Ein Ansatz, der Torsten Becker sofort überzeugt: „Ich war mir sicher, dass Biokohlenstoffe ein bislang unerkanntes Supermaterial sind und Wahnsinnspotenzial haben.“ 

Die Grundlage

Wer im Biologie-Unterricht aufgepasst hat, weiß: Bäume nehmen – wie alle anderen Pflanzen auch – bei der Fotosynthese CO2 aus der Luft auf und speichern den Kohlenstoff in ihrem Holz. Stirbt der Baum und das Holz verrottet, wandeln sich die Kohlenstoffverbindungen wieder zu CO2, Methan und Lachgas um, das an die Atmosphäre zurückgegeben wird. „Diesen Verrottungsprozess unterbrechen wir, indem wir Pflanzenkohle herstellen, in der das CO2 dauerhaft gebunden wird“, erklärt Torsten Becker. Dafür verwertet das 2017 gegründete Start-up vor allem Reste aus der Forst- und Landwirtschaft, der Lebensmittel- und Holzindustrie. 

Das Verfahren

Das junge Unternehmen macht sich ein altbewährtes Verfahren zu Nutze: die sogenannte Pyrolyse, also die Spaltung chemischer Verbindungen durch große Hitze. Dabei wird Biomasse – zum Beispiel Resthölzer, Hackschnitzel oder Nussschalen – in einem großen Behälter unter Ausschluss von Sauerstoff auf Temperaturen zwischen 400° und 700° C erhitzt. „Je nach Eingangsmaterial ist der Prozess nach fünf bis sieben Stunden beendet und die Biomasse in Kohlenstoff umgewandelt“, erklärt Torsten Becker. Das Besondere an der Technik der carbonauten: „Wir haben keine beweglichen oder drehenden Teile in den Öfen und Retorten, die Biomasse ruht.“

Dadurch sei das Verfahren wartungsarm und könne auch in weniger technisierten Ländern angewendet werden. „Ein weiterer Vorteil ist, dass wir Hölzer unterschiedlichster Größe und inklusive Störstoffe, also zum Beispiel Nägel oder Lackierungen, karbonisieren können. Wirtschaftlich entscheidend sind die großen Produktionsmengen und spezifizierten Qualitäten.“ Und auch die Energiebilanz des Prozesses könne sich sehen lassen: Denn zwei Karbonisierungsmodule liefern sich abwechselnd gegenseitig das für den Prozess notwendige Synthesegas, das dem Hauptbrenner der Anlage zugeführt und von dem 90 Prozent als Erneuerbare Energie Dritten zur Verfügung gestellt werden kann. Dank dieser simplen, robusten und effizienten Technik verursachten die klimapositiven Materialien der carbonauten niedrige Betriebskosten – und seien deshalb deutlich günstiger als ihre traditionell hergestellten, erdölbasierten Verwandten.

Das Ergebnis

Die Biokohlenstoffe seien nicht nur hochwertig und dennoch günstig, sondern auch vielseitig einsetzbar: als Aktiv- oder Futterkohle, als Dünger oder in Form von Granulat als Kunststoffersatz für Verpackungen oder als Baumaterial. „So lässt sich der Anteil fossiler Rohstoffe in vielen Produkten um bis zu 70 Prozent reduzieren“, sagt Becker. Die neuartigen Materialien sollen pro Tonne das Äquivalent von bis zu 3,3 Tonnen CO₂ dauerhaft speichern und damit als Treibhausgas-Senken fungieren – dauerhaft, sagt Becker, weil Kohlenstoff nicht verstoffwechselt wird; „Bakterien, Mikroorganismen und Umweltbedingungen spielen keine Rolle“. Testweise haben die carbonauten bereits Dämmstoffe, biologisch abbaubare Pflanztöpfe sowie Folien für die Landwirtschaft hergestellt, die nach Verwendung einfach eingemulcht werden können.

Auch der Coffee-to-go könne laut Torsten Becker so zum Genuss ohne schlechtes Gewissen werden: „Man könnte ihn theoretisch einfach in den Straßengraben werfen: er würde sich im Boden zersetzen und dabei den Pflanzen noch eine Art Superdünger liefern.“ Als Plus entstehen bei dem neuartigen Verfahren außerdem Pyrolyseöle, die zum Beispiel als Pflanzenschutzöle zum Einsatz kommen können. Und: „Wir erzeugen rund um die Uhr überschüssige, grundlastfähige Energie zum Nulltarif, die wir für die Wärme- oder Stromerzeugung auskoppeln können“, so Becker. Unter Umständen könnten die bei der Karbonisierung entstehenden Synthesegase sogar genutzt werden, um grünen Wasserstoff zu produzieren.

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Die Mission

Auf der Visitenkarte von Torsten Becker steht nicht Geschäftsführer, sondern „Träumer“. Der Traum des Gründers? Nicht weniger, als die Welt zu retten. Was ihn bewegt, macht der fünffache Vater in deutlichen Worten klar: „Ich schäme mich dafür, was wir aus diesem Planeten gemacht haben und sorge mich, wie es für die nächste Generation weitergehen soll.“ Um die Kurve doch noch zu kriegen, sagt Becker, sei es wichtig, möglichst viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. „Wir als Firma kennen deshalb keine Wettbewerber. Wir sehen alle, die aktiv dazu beitragen, der Atmosphäre CO2 zu entziehen, als Freunde an. Und jeder oder jede, der oder die das Thema Kohlenstoffe mit groß macht, hilft uns, die Märkte zu erobern.“ 

Der Stand der Dinge

Derzeit arbeitet ein 46-köpfiges Team daran, die Vision von Torsten Becker und Christoph Hiemer mit Leben zu füllen. Die Hälfte der Mitarbeitenden sind mittlerweile in Eberswalde bei Berlin im Einsatz: Hier hat das Start-up die Halle eines alten Stahlwerks gemietet und zusammen mit Investoren 3,6 Millionen Euro investiert, damit noch im Sommer 2022 die erste „Minus CO2 Factory“ mit zunächst zwei Karbonisierungsmodulen anlaufen kann.



Rund um die Anlage soll eine Art „lebendes Labor“ entstehen, um Versuche mit verschiedenen Biomassen durchzuführen und Weiterentwicklungen voranzutreiben. Um auch international durchzustarten, sammeln die carbonauten gerade wieder Kapital ein. Das Ziel: „Mindestens 15 Millionen zusammenbekommen, um die nächsten fünf, sechs Standorte zu realisieren, in Deutschland, aber auch in Spanien und den USA.“

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