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Ukraine-Krieg:

„Wir brauchen eine langfristig angelegte Politik“

Die Ukraine-Krise befeuert die Energiewende. Kerstin Andreae im Gespräch mit Prof. Dr. Veronika Grimm und Dr. Katrin Suder.

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© Daria Fürst / BDEW

Bezogen auf die Rohstoffversorgung erleben wir gerade durch die Ukraine-Krise einen erstaunlich ambitioniert anmutenden „Stoffwechsel“. Wie bewerten Sie den aktuellen Fortschritt?
KERSTIN ANDREAE: Wir spüren schon, dass die Bundesregierung jetzt den Impuls hat, wirklich voranzukommen. Aber: Das, was wir an Geschwindigkeit sehen, reicht leider immer noch nicht aus. Das Erschließen neuer Energiequellen ist zwingend notwendig. „Neu“ meint an dieser Stelle vor allem, die erneuerbaren Energien mit unglaublichem Tempo und Engagement voranzubringen. Viele andere Energiequellen haben wir ja hierzulande auch nicht, wenn wir aus der Kohle herauswollen, denn die Kohleverfeuerung muss aus Klimagründen ein absehbares Ende finden.

VERONIKA GRIMM: Ich finde schon, dass wir gerade eine ganz neue Dynamik der Transformation hin zu erneuerbaren Energien sehen. Das bedingt jedoch nicht nur, dass wir zunehmend auf kürzeren Zeitachsen erneuerbare Energieträger brauchen. Wir müssen vor allem aber auch parallel die zugehörigen Infrastrukturen aufbauen und hochfahren, damit wir die Erneuerbaren auch in der Praxis überall in Europa verfügbar haben. Auch braucht es dazu Fachkräfte, Vorprodukte und Rohstoffe – und das bringt uns in eine ganz heikle strategische Situation weltweit, weil sich bei nahezu bei allen Rohstoffen vieles durch den Flaschenhals China abspielt. Das muss man sehr dringend adressieren, wenn man skalieren möchte. 

KATRIN SUDER: Den Punkt möchte ich gerne aufgreifen. Ich glaube auch, wir müssen unbedingt die Diskussion über die gesamte Wertschöpfungskette führen, also auch die Diskussion über die Rohstoffe hinter den Rohstoffen. Ganz gleich ob Photovoltaik, Halbleiter, seltene Erden und vieles mehr: Das Processing für diese Technologien und Rohstoffe findet überwiegend in China statt – und es sind oft relativ umweltschädliche Tätigkeiten, die man dort auf sich nimmt.

Dr. Katrin Suder

ist Physikerin und Unternehmensberaterin. Von 2014 bis 2018 war sie Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung. Sie veröffentlichte mit Jan F. Kallmorgen das Buch „Das geopolitische Risiko – Unternehmen in der neuen Weltordnung.“

Es stecken seitens China natürlich auch geopolitische Interessen dahinter, diese unbeliebten, „schmutzigen“ Prozesse an sich zu ziehen: Denn in der Folge ist unsere Abhängigkeit von China über die gesamte Wertschöpfungskette enorm. Aktuell fehlt uns bisher, soweit ich das beurteilen kann, ein tragfähiges, strategisches Konzept, wie wir uns mittelfristig aus dieser Abhängigkeit befreien.

Frau Suder, Sie haben ja gemeinsam mit Jan Kallmorgen in Ihrem Buch „Das geopolitische Risiko“ die These aufgestellt, dass die Risiken der modernen Unternehmensführung nicht mehr nur ausschließlich betriebswirtschaftlicher Natur sind, sondern dass die Geopolitik immer mehr ins Zentrum rückt. Wie lesen Sie Ihr eigenes Werk nach Erscheinen und seit dem Angriff Russlands? 
KATRIN SUDER: Mit sehr gemischten Gefühlen. Wir haben das Buchmanuskript ja bereits im Oktober 2021 abgegeben und im Buch gefordert, dass das Thema Geopolitik ernster genommen wird. Jetzt plötzlich sprechen alle davon. Einerseits ist es gut so, dass das Thema jetzt in aller Munde ist. Andererseits ist es natürlich schrecklich zu sehen, dass vieles von dem, was wir thematisiert haben, nun mit voller Wucht so eintrifft, wie wir es befürchtet haben. Und damit meine ich nicht den Krieg, sondern das geopolitische Aufwachen und die Verzweiflung über die Abhängigkeiten. Ich frage mich schon manchmal, warum es erst so etwas Schlimmes wie diesen furchtbaren Krieg geben muss, damit ein Aufwachen passiert.

KERSTIN ANDREAE: Offenbar braucht es Situationen, die einen wirklich zum Nachdenken und auch zum strategischen Umsteuern zwingen. Ich erinnere an die Finanzkrise in Europa, als es vor zwölf Jahren um die Frage ging: Unterstützen wir Griechenland? Griechenland bekam von uns ein Austeritätspaket auferlegt. China indes hat sich durch gezielte Investitionen – salopp gesagt - den Hafen von Piräus als Eintrittspforte für Europa gesichert. Europa hat sich mit seiner eher kurz gedachten Wirtschaftspolitik da wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.

VERONIKA GRIMM: Ich möchte beim Thema Geopolitik noch einmal auf die „Rohstoffe hinter den Rohstoffen“ eingehen: Ganz gleich ob Photovoltaik, Halbleiter, seltene Erden und vieles mehr: Das Processing für diese Technologien und Rohstoffe findet überwiegend in China statt – und es sind oft relativ umweltschädliche, „schmutzige“ Tätigkeiten, die man dort auf sich nimmt. Es stecken seitens China natürlich auch geopolitische Interessen dahinter, diese unbeliebten, „schmutzigen“ Prozesse an sich zu ziehen.

Haben die Unternehmen der Energiewirtschaft, hat die gesamte Wirtschaft die geopolitische Komponente unterschätzt? 
KERSTIN ANDREAE: Wir alle haben uns viel zu lange auf ein Wirtschaftsmodell eingelassen und verlassen, das auf billigen Komponenten fußt. Die Arbeitsteilung, dass China diese quasi „schmutzigen“ Vorleistungen, die Frau Suder vorhin angesprochen hat, übernimmt, hat ja nicht nur damit zu tun, dass wir es hierzulande nicht wollen, sondern dass es uns dadurch möglich ist, viele Waren – und auch Energie - hierzulande ultimativ günstig anbieten zu können. Diese Preis- und Kostenfixierung fällt uns jetzt auf die Füße.

Prof. Dr. Veronika Grimm

ist seit 2008 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2020 gehört Prof. Grimm dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an.

 

Die griechische Interpretation der Krise als Wendepunkt also. Was bedeutet diese Entwicklung für das jahrzehntelang gewachsene Wirtschaftsmodell Deutschlands? 
VERONIKA GRIMM: Wir haben jetzt gesehen, wie verletzlich wir sind. Strukturell werden die Gaspreise hoch bleiben, gleichzeitig haben wir den Atomausstieg beschlossen und wollen eigentlich am Kohleausstieg 2030 festhalten. Es wird überall enger, es wird überall teurer. Das stellt unser Wirtschaftsmodell vor viele neue Fragen: Wie viele Energieträger aus aller Welt brauchen wir eigentlich? Was für Energiekooperationen wollen und brauchen wir eigentlich?

Manche sagen, wir müssen jetzt in die All-Electric-Society aufbrechen. Ich bin da sehr skeptisch, denn das würde hierzulande viel Wertschöpfung und auch Arbeitsplätze kosten. Doch wenn wir das verhindern wollen, dann müssen wir jetzt sehr, sehr konsequent neue Partnerschaften aufbauen – und uns nicht vorschnell in die Hände derjenigen begeben, die sich jetzt als Allererste anbieten. Wir müssen außerdem wirklich global denken: Afrika wird 2100 der bevölkerungsreichste Kontinent sein. Wenn wir nicht frühzeitig anfangen, auch dort Optionen für Wertschöpfung zu eröffnen, dann wird das auf anderen Ebenen natürlich zu riesigen Herausforderungen führen. Und da ist jetzt eine sehr, sehr langfristig angelegte, strategische Politik gefragt. 

KERSTIN ANDREAE: Ja, wir brauchen hier eine viel strategischere ‚Denke‘: Energiepartnerschaften sollten nicht allein aus der Defensive und aufgrund eines Energieträger-Mangels abgeschlossen werden. Es müssen auch die Potenziale in den Blick, die sich daraus ergeben.

KATRIN SUDER: Richtig. China macht vor, wie man systematische Ankerpunkte setzt. Frau Andreae, Sie haben vorhin den Hafen von Piräus als Beispiel genannt. Auch die USA gehen strategisch klug vor, Stichwort Chips Act. Aber wo stehen wir als Deutschland? Wo stehen wir als Europa? Wenn wir über unsere wirtschaftliche Zukunft sprechen, dann müssen wir langfristig denken und uns auch unbequemen Fragen stellen: Was ist uns eigentlich wichtig? Was bedeutet uns Wachstum? Welchen Stellenwert hat die Umwelt? Mit welchen „freundlichen“ und „unfreundlichen“ Regierungen wollen wir zusammenarbeiten? Wieviel Souveränität wollen wir in welchen Bereichen? Was bedeutet das alles volkswirtschaftlich und fürs Individuum?

Keine Frage: Das sind unglaublich schwierige Diskussionen, die noch nicht genügend geführt werden. Ich glaube aber, wir könnten diese Diskussionen führen. Ich glaube, unser Land kann das, wir können das. Wir müssen es nur tun – und dafür brauchen wir eine Führung, die das aktiv anpackt.

Das Erschließen neuer Energiequellen ist das eine – welchen Stellenwert hat das Sparen, hat die Effizienz auf der anderen Seite? Haben wir für das Sparen gerade die richtigen Anreize oder brauchen wir andere, bessere?

KERSTIN ANDREAE: Wir brauchen beides. Aktuell ist natürlich die dominierende Frage: Wie schaffen wir es, den Gasverbrauch zu reduzieren? Da wird man auch unangenehme Schritte gehen müssen - es geht beispielsweise darum, Kohleverstromungskapazitäten aus der Netzreserve herauszunehmen und wieder mehr Kohle zu verfeuern. Das ist nicht schön. Aber Russland sitzt am längeren Hebel, was die Gasreduktion angeht. Es ist ein politischer Machtkampf geworden, wenn Sie so wollen, ein Wirtschaftskrieg. 

VERONIKA GRIMM: In Bezug auf das Sparen sind wir immer noch viel zu wenig konsequent. Ich hätte gerne ein Prämienmodell, denn typischerweise reagieren die Menschen sehr deutlich, wenn es was zu gewinnen gibt. Man muss sich ja klarmachen, dass wir uns nicht erst im Herbst Gedanken machen dürfen, wie wir sparen. Je mehr wir jetzt schon einsparen und je besser wir uns jetzt vorbereiten, desto besser. Und es ist nicht davon auszugehen, dass das jeder so einfach tut. Viele verdrängen das aktuell noch, weil sie denken, die Politik wird es schon richten. Aber: Wenn wir jetzt den Gasverbrauch nicht senken, dann haben wir weniger in den Speichern. So einfach ist die Rechnung. 

Auf welche konkreten Kostenrisiken müssen wir uns einstellen? Sind wir noch am Anfang, sind wir mitten drin, wird es noch schlimmer? 
KERSTIN ANDREAE: Ganz klar: Die Preisentwicklung zeigt nach oben und nicht nach unten. Und wir haben schon in unserer letzten Umfrage klar gesehen, dass die Menschen vor allem wegen der Kosten sparen. Leider gibt es eine soziale Schieflage, denn die einen können hohe Preise relativ gut abfedern, andere stellt diese Entwicklung vor enorme Probleme. Und die, die einen schmalen Geldbeutel haben, wohnen tendenziell auch noch in Häusern, die mehr Energie brauchen, weil diese Häuser nicht in gutem Zustand sind. Das ist ein Teufelskreis. Die Beschaffungskosten, die Preisentwicklung an den Märkten, das geringere Angebot: All das wird dazu führen, dass die Preise sich weiter nach oben entwickeln. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir auch das Thema Effizienz anpacken. 

Kerstin Andreae

ist seit November 2019 Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Zuvor war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Initiatorin sowie Koordinatorin des Wirtschaftsbeirates der Fraktion.

 

Wagen wir einen Zukunftsblick: Wie wird unser Energiesystem in 5-10 Jahren aussehen? Wie wird der „Stoffwechsel“ aussehen, der uns erwartet? 
KATRIN SUDER: Wir sehen bereits eine Neuorientierung der Lieferketten. Und das wird weitergehen. Weniger Rightshoring, also kosten- und effizienzgesteuertes Sourcing, und mehr Friendshoring, also Fokus auf befreundete Staaten. Wir haben die Rohstoffdefinition ja heute in diesem Gespräch sehr weit gefasst, was richtig ist.

Eigentlich müssen wir aber noch weiter denken: Auch Fachkräfte sind ein „Rohstoff“, Menschen sind eine wertvolle Ressource. Und da wird sich der Markt ebenfalls verändern. Es wird einen echten Kampf um die Blue-Collar-Worker geben, den wir so noch nie erlebt haben. So genanntes Essential Talent bekommt endlich den Stellenwert, den diese Menschen verdienen. Das sehen wir jetzt schon bei den LKW-Fahrerinnen und Fahrern, und das werden wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette sehen. Deswegen müssen wir immer die Menschen mitdenken. 

VERONIKA GRIMM: Ich wünsche mir einen echten Schwenk Richtung Zukunftstechnologien. Am Ende müssen wir auf europäischer Ebene Regeln aufstellen, die die fossile Welt ein Stück weit unattraktiv machen und im Gegenzug neue Chancen in der Welt der Erneuerbaren aufzeigen. Ich denke, dass dazu auch Wasserstoff gehört – das wiederum ist jedoch nur dann realistisch, wenn wir dafür die richtigen wirtschaftlichen Anreizmodelle haben, damit Unternehmen willens und überhaupt in der Lage sind, die dafür notwendigen Investitionskosten zu tragen. 

KERSTIN ANDREAE: Danke für das Stichwort: Wir wissen, dass Industrien neue Produkte nur dann erfolgreich am Markt etablieren können, wenn sie skalierbar sind. Das geht nur, indem wir groß denken. Die Regeln auf europäischer Ebene sind dafür im Energiebereich an einigen Stellen noch zu eng gefasst. Und auch national habe ich noch nicht das Gefühl, dass sich die Denke durchgesetzt hat: „Wir bauen was wirklich Neues auf“.



Beispiel PV-Branche: Hier haben wir in Deutschland früh einen guten Start hingelegt, aber dann einige entscheidende Fehler gemacht. Das Ergebnis: Wir sind genau in der hier und heute schon mehrfach beschriebenen Abhängigkeit, dass die Solarmodule aus China importiert werden. Ich finde, wir müssen aus diesem Fehler lernen und uns anstrengen, die Wasserstoffindustrie in Deutschland und in Europa groß zu machen. Dann haben wir die Möglichkeit, die Transformation tatsächlich zu meistern. Ich sehe noch unheimlich viel Potenzial für unser Land und viele Chancen – und ich hoffe, dass die jetzt genutzt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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