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Start-up Heatrix:

XXL-Föhn statt Gas und Öl

Grüne Prozesswärme in der Industrie steckt noch in den Kinderschuhen. Mit heißer Luft will Heatrix die Produktion nachhaltiger machen.

Illustration Start-up Heatrix Föhn für klimaneutrale Prozesswärme

© Robert Albrecht / BDEW

 

Der Proof of Concept des Start-ups Heatrix steht in einer zehn Meter hohen Forschungshalle in Bremen: Über eine spiralförmige Trommel saugt eine Art XXL-Fön Luft ein. Im Inneren eines Metallkastens erhitzt er sie durch elektrische Widerstände. Ein riesiges Rohr, das aus der Kammer ragt, pustet die erwärmte Luft in den Raum. „Die Anlage ist mehr als 30-mal so heiß wie ein klassischer Haartrockner“, erklärt Gründerin Wei Wu.

Wie aus der heißen Luft klimafreundliche Prozesswärme in der Industrie wird, will das 2022 gegründete Start-up Ende des Jahres zusammen mit Kooperationspartnern testen. Statt mit Gas sollen Ziegel mit Strom aus Erneuerbaren gebrannt werden. An Bord sind ein deutscher Ziegelproduzent, ein Ofenhersteller und ein Forschungsinstitut. Wu: „Mit unserem selbst gebauten Prüfstand haben wir im vergangenen Jahr eine Temperatur von mehr als tausend Grad erreicht. Ein Meilenstein für unser Team mit elf Beschäftigten. Jetzt arbeiten wir an der Integration der Technik in einen klassischen Brennofen.“

Vom Labor in die Praxis

Keine leichte Aufgabe. Denn Wärme ist nicht gleich Wärme: Je nach Branche braucht es hochspezialisierte technische Prozesse. Während Induktionsöfen beim Schmelzen von Aluminium bereits standardmäßig zum Einsatz kommen, steckt die Elektrifizierung von Stahlwalzwerken oder Zement-Drehrohröfen noch in den Kinderschuhen. Und auch bei der Produktion von Ziegeln ist noch Forschung und Entwicklung notwendig, um die Gasöfen zu elektrifizieren. „In unserem Piloten müssen wir einen bestimmten Temperaturverlauf in der Anlage herstellen, damit Qualität und Farbgebung der gebrannten Ziegel stimmen“, so Wu. Ziel sei es, in einem Hundert Meter langen Tunnelofen die vorhandenen Gasbrennerflammen durch die neue Technologie zu ersetzen.

Die Idee, Wärme durch Strom zu gewinnen, ist nicht neu. Elektrische Lufterhitzer sind laut Analysen von Heatrix bisher jedoch nur bis zu 800 Grad Celsius Standard in der Industrie. „Wir sind als einer der ersten im Hochtemperatursektor auf dem Weg zur Marktreife, die wir bis Ende 2025 erreicht haben wollen. Größenordnungen bis mehrere Megawatt sind machbar. Wir brauchen jetzt Tests im Betrieb, um den Prozess zu erproben und zu optimieren“, sagt Wu. Gegenüber elektrischen Strahlern, die direkt in den Wänden der Öfen verbaut seien, biete Heatrix mehrere Vorteile. Zum Beispiel lasse sich die Lufttemperatur besser steuern, die Anlagen müssten nicht komplett umgebaut werden und die empfindlichen Heizelemente seien nicht direkt der Ofenatmosphäre ausgesetzt.

Effizienter als Wärme aus Wasserstoff

Wu: „Wir wollen zeigen, dass unser System günstiger und nachhaltiger ist als andere Technologien, die grüne Prozesswärme produzieren.“ Wird aus erneuerbarem Strom Wasserstoff erzeugt und verbrannt, liege die Effizienz bei 50 Prozent. Mit dem XXL-Fön komme man auf 90 bis 95 Prozent. Ob sich der Einsatz von Heatrix in der Stahl- oder Bauindustrie künftig rechnet, hängt entscheidend vom Preis für nachhaltigen Strom ab. Im Idealfall kommt dieser aus der eigenen PV-Anlage oder Windpark. „Um die Volatilität des grünen Stroms auszugleichen, können wir unseren Heizer mit einem thermischen Speicher kombinieren.“ Das Prinzip: Keramische Steine speichern die Wärme und setzen sie bei Bedarf wieder frei.

Von ihrer Idee konnte die Ingenieurin mehrere Business Angels überzeugen. Zu ihnen gehört Albert Wenger, ein deutscher Investor, der in den USA lebt und schon früh in Twitter (heute X) investiert hat. Insgesamt eine Million Euro Seed-Finanzierung hat Wei Wu bisher zusammen mit ihrem CTO und Gründer Stefan Gasow eingeworben. Zwei Drittel sind privates Kapital, ein Drittel kommt aus der öffentlichen Hand. Für den Markeintritt will das Start-up 2025 eine weitere Finanzierungsrunde starten, bei der Wu etwa vier bis fünf Millionen Euro einsammeln möchte.

Verlässlicher Rahmen notwendig

Das Potenzial CO2-frei erzeugter Prozesswärme ist groß, zeigt auch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe und der RWTH Aachen. Mehr als 400 Terawattstunden Prozesswärme benötigt die deutsche Industrie jährlich – das entspricht 70 Prozent ihres Energiebedarfs. Nach wie vor ist Erdgas jedoch der wichtigste Energieträger für Prozesswärme. Nur vereinzelt kommt laut Studie Solar- oder Windstrom zum Einsatz.



Die Elektrifizierung lohnt sich an vielen Stellen für die Industrie wirtschaftlich noch nicht. Gleichzeitig muss sie die Vorgaben des EU-Green-Deals umsetzen, wonach die EU bis 2050 klimaneutral sein soll.  „Wir brauchen von der Politik einen verlässlichen Rahmen, um gegenüber Erdgas konkurrenzfähig zu sein“, sagt Wu. Mit einem zügigen weiteren Ausbau der Erneuerbaren entstünde so auch mehr Potential für eine klimaneutrale Prozesswärme – nicht zuletzt auch zum Wettbewerbsvorteil der deutschen Industrie.

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