Die Energiewende kommt nicht schnell genug voran. Das ist das Ergebnis des neuen „Fortschrittsmonitors Energiewende“, den BDEW und EY heute veröffentlicht haben. Der Bericht untersucht anhand von Kennzahlen den aktuellen Stand der Energiewende in Deutschland und zeigt auf, wo die größten Hemmnisse für dieses Jahrhundertprojekt liegen. Der neue Monitor soll künftig jährlich aktualisiert werden, um neben den Fortschritten frühzeitig auch Defizite und Nachholbedarfe aufzuzeigen, die für das Erreichen der Energie- und Klimaschutzziele 2030 zwingend angegangen werden müssen.
Der aktuelle Bericht macht deutlich: Insbesondere der Ausbau der Erneuerbaren Energien verläuft derzeit noch viel zu langsam, um die von der Bundesregierung für das Jahr 2030 formulierten Ziele zu erreichen. In fast allen Sektoren bleibt der Ausbaustatus deutlich hinter den Zielen zurück. So wies beispielsweise der Bereich Photovoltaik 2021 zwar die höchste Zubaurate aller Technologien auf – dennoch ist auch hier die Erreichung der Zielvorgaben für 2030 fraglich.
Großes Nachholpotenzial gibt es aber auch in den Bereichen Netzaus- und -umbau, Digitalisierung und der angepeilten Elektrifizierung des Verkehrssektors. Zur spürbaren Dekarbonisierung des Wärmesektors müsste zudem der Anteil der Erneuerbaren an der Wärmeversorgung verdreifacht werden – und zugleich der Verbrauch deutlich sinken. Die Gründe für den schleppenden Fortschritt sind vielfältig. Im Fortschrittsmonitor werden unter anderem genannt: der alarmierende Fachkräftemangel in allen relevanten Sektoren, die mangelnde Verfügbarkeit von Flächen, langwierige und aufwändige Genehmigungs- und Bauverfahren sowie Engpässe bei verschiedenen wichtigen Rohstoffen wie Lithium, Seltenen Erden, Kupfer und Silizium.
Investitionen bleiben hinter Potenzial zurück
Damit die von der Bundesregierung für 2030 gesteckten Ziele erreicht werden können, sind Investitionen von geschätzt insgesamt 600 Milliarden Euro im Zeitraum bis 2030 erforderlich. Der mit 498 Milliarden Euro größte Anteil an diesen Investitionen verteilt sich auf den Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten mit Erneuerbaren Energien (351 Milliarden Euro), den Ausbau der Strom-Übertragungsnetze (126 Milliarden Euro), den Aufbau der Erzeugungskapazitäten für klimaneutrale Gase (12 Milliarden Euro) sowie die Förderung der E-Mobilität durch den Ausbau der öffentlichen Elektro-Ladeinfrastruktur (9 Milliarden Euro).
Diese Ausgaben würden für eine erhebliche Wertschöpfung bei den Herstellern der Investitionsgüter sorgen, beispielsweise von Windturbinen, Solarpanelen oder bei Herstellern von Prozessanlagen für Elektrolyse. Für Deutschland schätzen EY und BDEW die auf diese Weise ausgelösten Wertschöpfungseffekte auf durchschnittlich knapp 33 Milliarden Euro jährlich – das entspräche einem Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland.
Da die nötigen Fortschritte in fast allen relevanten Bereichen ausbleiben, können auch die Investitionen, die mit der Energiewende verbunden sind, bislang nicht die erhoffte volkswirtschaftliche Wirkung entfalten. So wurden etwa im Jahr 2021 nur rund 14,5 Milliarden Euro investiert und damit nur rund ein Viertel der möglichen Wertschöpfung realisiert (8,6 Milliarden Euro).
„Die Energiewende ist ein Mammutprojekt – und vermutlich das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Bislang aber kommen wir längst nicht so schnell voran, wie es möglich und nötig wäre. Das gefährdet zum einen das Erreichen der für 2030 anvisierten Ziele, zum anderen entfallen dadurch aber auch große Teile der volkswirtschaftlichen Impulse, die mit den nötigen Investitionen verbunden wären. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wären solche Impulse hoch willkommen, da sie zu nachhaltiger Wertschöpfung und nachhaltigem Wachstum führen können“, sagt Metin Fidan, Partner bei EY und Leiter des Bereiches Green Transformation und Mining & Metals in der Region Europe West. „Um die für 2030 anvisierten Ziele zu erreichen, müsste die installierte Leistung bei Photovoltaik mehr als verdoppelt, bei Onshore-Wind sogar mehr als verdreifacht werden. Dass dies mit der aktuellen Ausbaugeschwindigkeit gelingt, ist höchst unwahrscheinlich“, stellt Fidan fest.
„Die Ergebnisse des Fortschrittsmonitors zeigen: Mit dem bisherigen Tempo können die Klimaziele nicht erreicht werden“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Es ist verständlich, dass angesichts der aktuellen Krise der Fokus der Politik zuletzt an anderer Stelle lag. Doch mit einer erfolgreichen Energiewende schützen wir nicht nur unser Klima, sondern sie trägt auch dazu bei, unabhängig vom Import fossiler Energieträger zu werden. Die Bundesregierung muss daher nun alle bestehenden Hemmnisse für die Energie- Wärme- und Verkehrswende beseitigen. Konkret bedeutet das: Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, mehr Flächen für erneuerbare Erzeugungsanlagen, Netze und Ladeinfrastruktur bereitstellen, einen Markt für Wasserstoff schaffen und die Weichen für ein Marktdesign stellen, in dem sich auch Investitionen in steuerbare Stromerzeugungskapazitäten lohnen. Die Bundesregierung hat wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht, um Planung und Genehmigung zu beschleunigen. Es muss jedoch noch viel mehr passieren. Das gilt insbesondere für die schnellere Bereitstellung der benötigten Flächen für Erneuerbare Energien.“
Über die Studie:
Der Fortschrittsmonitor Energiewende unterteilt sich in die Themenfelder volks- und energiewirtschaftliche Kennzahlen, Ausbau Erneuerbarer Energien, klimaneutrale Gase, Netzintegration, Wärmewende und Elektromobilität. Die Studie betrachtet für jedes dieser Themenfelder anhand von Kennzahlen den Status quo der Energiewende in Deutschland, führt die unterschiedlichen Dimensionen der Transformation und ihre Entwicklung in einem Kompendium zusammen und zeigt Verbesserungspotenziale. Sie will so einen Beitrag leisten, die Potenziale der Energiewende auszuschöpfen.
Den Fortschrittsmonitor Energiewende finden Sie hier.