Nach Jahren heftiger politischer Debatten und massiver Umbrüche kann die Energiebranche nach Einschätzung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wieder zur Wachstumsbranche werden. „Um die Energiewelt von morgen aufzubauen, muss massiv in die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und in neue Speichertechnologien investiert werden. Die Branche hat zudem die große Chance, sich mit der Mobilität ein ganz neues Geschäftsfeld zu erschließen“, sagte Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung, heute in Berlin. „In der Energiebranche wachsen Aufbruchsstimmung und Optimismus. Die Unternehmen entwickeln neue Geschäftsmodelle, setzen verstärkt auf Kooperationen sowohl mit Nachbarbranchen als auch mit anderen Energieunternehmen. Zur positiven Stimmung passe, dass laut einer Branchen-Umfrage von BDEW und Ernst & Young fast drei Viertel der Unternehmen für 2019 gute oder sehr gute Geschäfte erwarten – dieser Wert liege um 11 Prozentpunkte über dem Vorjahr. Die Zahl stammt aus der Stadtwerke-Studie 2019, die auf dem BDEW-Kongress Anfang Juni veröffentlicht wird. Als Gründe für die positive Einschätzung nennen die befragten Unternehmen auch zusätzliche Einnahmen aus neuen Angeboten und Leistungen.
Basis für das neue Wachstum seien die energie- und klimapolitischen Beschlüsse mit Blick auf das Jahr 2050, so Kapferer. „Aus der dringenden Notwendigkeit, zügig Treibhausgas-Emissionen zu senken, entstehen Wachstumschancen: Daher unser Motto: 2050 – Wir wachsen mit Energie.“ Die Wachstumschancen lassen sich mit dem Dreiklang „Mehr Erneuerbare, mehr Elektromobilität, mehr Power-to-Gas“ beschreiben. „Die Energiewirtschaft nutzt auf diesen Feldern die laufenden Transformationsprozesse und wächst buchstäblich über sich hinaus.“
Die Wachstumspotenziale lassen sich aus BDEW-Sicht an konkreten Zahlen und Potenzialen für neue Geschäftsmodelle illustrieren:
Wachstumsmotor Stromerzeugung
Im vergangenen Jahr waren insgesamt 120 Gigawatt (GW) Erneuerbare-Energien-Anlagen im Bereich der Stromerzeugung installiert. Um das Ziel von 65 Prozent Erneuerbarer Energien bis 2030 zu erreichen, müssen nach einer vorläufigen Abschätzung des BDEW im gleichen Zeitraum bis zu 100 GW zugebaut werden: Das bedeutet einen Zuwachs von 83 Prozent.
2038 soll das letzte Kohlekraftwerk den Markt verlassen, die Kernkraft ist bereits im Jahr 2022 Geschichte. Damit müssen innerhalb von knapp 20 Jahren 50 Gigawatt gesicherte Leistung – das entspricht mehr als der Hälfte unserer gegenwärtigen konventionellen Kapazität – aus dem System genommen und durch Windenergie und Solaranlagen, Speicher sowie klimafreundliche Gaskraftwerke ersetzt werden.
Wachstumsmotor Elektromobilität
Mit einer wachsenden Zahl an E-Fahrzeugen wächst der Bedarf an Ladesäulen, es wächst die Nachfrage nach verbraucherorientierten ‚Komplettlösungen‘. So kommen Strombezug (inkl. unterschiedlicher Tarife), Elektrofahrzeugpark und Ladesäulenmanagement aus einer Hand.
Heute werden über 75 Prozent der öffentlich zugänglichen Ladesäulen von der Energiewirtschaft betrieben. Sollte der Anteil der E-Pkw-Neuzulassungen von aktuell 2 Prozent auf 10 Prozent steigen, müssten im öffentlichen Raum jährlich – je nach Verteilung an AC- bzw. DC-Ladeorten – mindestens 9.000 neue Ladepunkte errichtet werden und mehrere Hunderttausend private Ladepunkte am Wohnort und am Arbeitsplatz des E-Auto-Fahrers entstehen. 9 Millionen E-Autos bis 2030 erfordern etwa 24 Terrawattstunden Strom jährlich. Dies entspricht rund 4 Prozent des Bruttoinlandstromverbrauchs 2018.
Potenzial für zukünftiges Wachstum: Power-to-Gas
Die Nachfrage nach Technologien, die eine verlässliche und stabile Rund-um-die Uhr-Nutzung von grünem Strom in allen Sektoren ermöglichen, wird steigen. Diese Technologie gibt es bereits: Power-to-Gas. Sie kann zudem zur Stabilisierung der Stromnetze beitragen. Annahmen zu Potenzialen bis 2030 aus verschiedenen Studien zeigen große Bandbreiten, z.B. 2-3 GW PtG-Kapazitäten (NEP 2030) bis 15 GW (dena Leitstudie). Deutschlandweit gibt es mehr als 30 Pilotprojekte mit einer Elektrolyse-Leistung von insgesamt rund 25 MW (Quelle: https://www.powertogas.info/projektkarte/). Zuletzt wurden mehrere größere Projekte angekündigt, deren jeweilige Elektrolyse-Leistung im dreistelligen MW-Bereich liegt.