Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) warnen eindringlich vor unverhältnismäßigen und unnötigen Kostensteigerungen beim dringend notwendigen Netzausbau. Der Deutsche Bauernverband fordert jährliche Pachtzahlungen für Landwirte, auf deren Grundstücken Höchstspannungs-Leitungen verlegt werden sollen. Die CSU hat sich diese Forderung in ihrem Wahlprogramm zu Eigen gemacht. "Schon jetzt erhalten betroffene Grundstücksbesitzer großzügige Entschädigungen, wenn auf ihren Flächen Leitungen verlegt werden. Nach den dafür notwendigen Bauarbeiten sind die Grundstücke zudem wieder landwirtschaftlich nutzbar. Auch Flur- und Aufwuchsschäden werden ersetzt. Die aktuellen Forderungen nach einer zusätzlichen jährlichen Entschädigung - einer Art "Bauernmaut" - sind daher nicht nur überflüssig, sondern auch vollkommen unverhältnismäßig. Sie sind zudem verfassungswidrig", sagte Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung heute in Berlin. BDEW und VBEW haben hierzu ein gemeinsames Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die beiden Verbände heute veröffentlichten.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass sich wiederkehrende Entschädigungszahlungen nicht - wie von der Landwirtschaft behauptet - auf zwei konkrete Nord-Süd-Stromleitungen auf der Höchstspannungsebene beschränken ließen. Aus Gründen der Gleichbehandlung besteht ein sehr hohes Risiko, dass solche wiederkehrenden Vergütungen auch bei der Verlegung von weiteren Strom- sowie Erdgas-, Wasser- oder Wärmeleitungen eingefordert werden können.
Nach Berechnungen von BDEW und VBEW würde die vom Bauernverband und der CSU geforderte jährliche Entschädigung die Kosten der Energiewende unnötig und ungerechtfertigt in die Höhe treiben: "Bei allen im Bundesbedarfsplan- und Energieleitungsausbaugesetz enthaltenen Projekten würden jährliche Mehrkosten von etwa 175 Millionen Euro entstehen. Summiert auf die durchschnittliche Abschreibungsdauer von Netzinvestitionen kämen rund sieben Milliarden Euro zusammen - und das bei geschätzten Investitionskosten von 18 Milliarden Euro für den Netzausbau. Damit würden die Kosten für die Stromverbraucher um über ein Drittel steigen - und das nur, um einer einzelnen Interessengruppe eine zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen. Das kann es nicht sein", so Detlef Fischer, Geschäftsführer des VBEW.
Ein Landwirt hätte bei Einführung einer Bauernmaut gleich drei Einnahmequellen: Erstens die bisherige Entschädigung, zweitens zusätzlich jährliche Entschädigungszahlungen und drittens den weiterhin möglichen Ertrag aus der landwirtschaftlichen Nutzung. Der Wert des Grundstücks dürfte außerdem durch das Recht auf jährliche Zahlungen deutlich steigen. Ein Landwirt würde also gleich vierfach profitieren.
Hinzu kommt: Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass nicht auch der Leitungsbestand betroffen wäre: Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung könnten auch Eigentümer von Flächen Ansprüche stellen, auf denen in der Vergangenheit Leitungen verlegt wurden. Für die Stromnetzinfrastruktur könnten nach ersten Schätzungen von BDEW und VBEW jährlich Zusatzkosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro anfallen, bei der Gasnetzinfrastruktur bis zu 800 Millionen Euro.
Kapferer: "Die Forderungen aus der Bauernschaft sind volkswirtschaftlich völlig überzogen, sie stehen auch in keinster Weise in einem angemessenen Verhältnis zum gegenwärtigen Verkehrswert der beanspruchten Flächen oder den ortsüblichen Pachtpreisen. Im Bundesdurchschnitt würde sich ein Kauf der Flächen bereits nach fünf Jahren rechnen."
Das Rechtsgutachten kommt daher zu dem Schluss, dass wiederkehrende Entschädigungen verfassungswidrig wären. Die Entschädigung für Eingriffe in Grundeigentum muss mit Blick auf die übergeordneten Interessen der Allgemeinheit angemessen sein (Artikel 14 Satz 3 des Grundgesetzes). Sie darf beispielsweise Grundstückseigentümer nicht zu Lasten der Allgemeinheit einseitig und im Sinne einer Überkompensation bevorzugen. Genau das aber wäre bei einer Bauernmaut der Fall.
Kapferer: "Die Energiewende darf nicht zu einem Projekt mutieren, an dem immer mehr einzelne Interessengruppen verdienen. Die Summe von Einzelinteressen ergibt kein energiepolitisches Ganzes, im Gegenteil: Aus der Energiewende würde eine Subventionswende."