Regenwasser - mal gibt es zu viel davon und mal zu wenig. Dezentrales Regenwassermanagement ist ein Zukunftsthema. Um Wohnungswirtschaft, private Immobilienbesitzende, Unternehmen, Gewerbebetriebe und Kommunen dabei zu unterstützen, hat Berlin sein 2018 eine Regenwasseragentur. Wir sprachen mit Dr. Darla Nickel, der Leiterin der Berliner Regenwasseragentur im Rahmen der BDEW-Themenwoche Wasser und Abwasser anlässlich des Weltwassertages am 22. März.
BDEW: Auf welche Folgen des Klimawandels müssen wir aktuell in Städten besonders reagieren?
Nickel: Unterm Strich haben wir es mit einem Zuviel oder Zuwenig an Regenwasser zu tun. Die Zahl der Hitzetage nimmt stetig zu. Die hohen Temperaturen machen den Menschen zu schaffen, vor allem Kinder, Ältere und chronisch kranke Menschen sind gesundheitlich bedroht. Wir erleben längere Dürreperioden. Unseren Stadtbäumen fehlt regelmäßig Wasser. In Zukunft kommen häufigere und intensivere Starkregen hinzu. Diese werden unsere Kanalisation weiter überlasten, die Gewässer verunreinigen und zu mehr Überflutungen in der Stadt führen.
BDEW: Wie wird aktuell mit Regenwasser umgegangen?
Nickel: Regenwasser wird überwiegend über die Kanalisation abgeleitet, entweder gemeinsam mit Abwasser in der so genannten Mischwasserkanalisation zum Klärwerk oder getrennt über eine Regenkanalisation zum nächstgrößeren Gewässer. So wird die Stadt regelrecht „entwässert“. Die Folge: Während das Abwassersystem durch ein „zu viel“ an Regenwasser überlastet wird, fehlt das Regenwasser vor Ort. Bäume und Kleingewässer stehen auf dem Trockenen und die Grundwasserneubildung fällt geringer aus.
BDEW: Wie muss das System geändert werden?
Nickel: Die dezentrale Bewirtschaftung, das heißt das Speichern, Nutzen und Versickern vor Ort, ist das Gebot der Stunde. Das stärkt den natürlichen Wasserhaushalt, entlastet die Kanalisation und reduziert das Überflutungsrisiko. Regen, der vor Ort in den Boden versickert, füllt die Grundwasserspeicher auf und steht der Vegetation zur Verfügung. Bäume und andere Pflanzen verdunsten es und kühlen damit die Stadt.
BDEW: Was tut Berlin, um diesen Wandel herbeizuführen?
Nickel: Berlin hat sich auf den Weg gemacht, Schwammstadt zu werden. Das heißt: Regenwasser muss raus aus der Kanalisation und über tausendfache in der Stadt verteilte Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünung, Mulden, Zisternen oder künstliche Wasserflächen wie ein Schwamm zurückgehalten, gespeichert und verzögert wieder abgegeben werden, etwa durch Verdunstung, Versickerung oder Nutzung. Damit dies Realität wird, hat das Land Berlin 2018 die Bewirtschaftung von Regenwasser vor Ort zum Standard bei Bauvorhaben gemacht und die Berliner Regenwasseragentur als Service- und Beratungsstelle für die Schwammstadt gegründet.
BDEW: Wie kann eine solche Schwammstadt konkret aussehen?
Nickel: Da gibt es eine breite Palette von Möglichkeiten – sie alle benötigen Fläche, ein knappes Gut. Versickerung ist oftmals die preiswerteste Lösung, dies ist vor allem dann der Fall, wenn man auf der grünen Wiese baut. Man schafft dafür eine Mulde, das Wasser wird an der Oberfläche gespeichert und sickert dann in den Boden. Retentionsdächer bzw. Gründächer können ebenfalls Regenwasser zwischenspeichern und teilweise verdunsten. Weiter gibt es Zisternen und Rigolen sowie oberirdisch angelegte Wasserbecken. Meist ist es eine Kombination verschiedener Elemente, die am Ende die Lösung bilden.
BDEW: Gibt es in Deutschland und der EU weitere Vorreiter-Städte, die mit Schwammstadt-Konzepten gute Erfahrungen gemacht haben?
Nickel: Mit ihrem so genannten Wolkenbruchplan geht Kopenhagen den Umbau der Stadt zur Schwammstadt seit 2011 systematisch an. Wien ist Vorbild bei der Umgestaltung des öffentlichen Raums. Die Stadt investiert viel in Maßnahmen, um ihre Bewohnerinnen und Bewohner vor Hitze zu schützen, beispielsweise durch „Kühle Meilen“. In Deutschland haben die KollegInnen von Emschergenossenschaft und Lippe-Verband die Emscher saniert, das Abwasser aus dem Fluss herausgeholt und Abwasserkanäle gebaut. Weil das Regenwasser nicht komplett im Kanal landen soll, wird auch dort die Idee der Schwammstadt verfolgt.
BDEW: Wer muss aktiv werden, um die Schwammstadt Realität werden zu lassen?
Nickel: Zuvorderst sind es diejenigen, die Flächen besitzen oder über diese verfügen, also die Wohnungswirtschaft, private Immobilienbesitzende, Unternehmen, Gewerbebetriebe und Kommunen. Die Entwässerungsbetriebe, die Stadtentwicklung, die Garten- und Umweltämter sowie die Wasser- und Verkehrsbehörden sind ebenfalls gefragt, ihr Handeln anzupassen und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Umsetzung der Schwammstadt gelingt nur, wenn alle zusammenarbeiten, integral planen und Verantwortung teilen. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe!
BDEW: Wer kann Immobilieneigentümer bei der Umsetzung unterstützen?
Nickel: Wer eine Dachbegrünung, den Einbau einer Zisterne im Garten oder eine multifunktional genutzte Flächenversickerung plant, ist gut beraten, sich fachkundige Hilfe zu holen. Bei der Umsetzung von kleineren Projekten – zum Beispiel der Regenentwässerung eines Gartengrundstücks, der Abkopplung einer Einfahrt durch Entsiegelung oder dem Bau einer Versickerungsmulde – wenden Sie sich am besten an Betriebe des Garten- und Landschaftsbaus. Bei der Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung von größeren Projekten sind Landschaftsarchitekturbüros sowie Ingenieurbüros mit Schwerpunkt Siedlungswasserwirtschaft für Sie da. Wer noch gar nicht entschieden ist und sich über die Möglichkeiten und Vorteile der Regenwasserbewirtschaftung informieren möchte, darf sich gerne jederzeit an die Regenwasseragentur wenden. Wir bieten für Berlin eine kostenlose Erstberatung an. Dies gilt auch für Fragen der Planung, des Baus und des Betriebs von Maßnahmen.
BDEW: Gibt es auch etwas, das Mieterinnen und Mieter tun können?
Nickel: Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, dass Mieterinnen und Mieter nur wenig tun können. Aber das stimmt nicht. Sie haben direkten Kontakt zu den Hauseigentümern bzw. der Hausverwaltung und können sich für Dach- und Fassadenbegrünung, Entsiegelung und Begrünung von Innenhöfen und Regenwassernutzung stark machen, insbesondere dann wenn eine Sanierung ansteht. Sie können auch Aufgaben bei der Pflege des Grüns übernehmen, sei es auf dem Dach, im Hof oder – in Absprache mit dem Bezirk – auf einer öffentlichen Grünfläche vor der eigenen Haustür.