Arzneimittelspuren im Grundwasser: Wer soll zahlen?

Drei Viertel des Trinkwassers in Deutschland werden aus dem Grundwasser gewonnen. Jeden Tag gelangt ein großer Teil von Arzneimittelspuren in das Abwassersystem und schließlich in die Kläranlagen. Die Kosten für die Trinkwasseraufbereitung müssen gerecht verteilt werden. Aber wie?

Arzneimittel im Trinkwasser


PRO

Es muss endlich das Verursacher- und Vorsorgeprinzip umgesetzt werden. Auch Pharmakonzerne sollten ihren Teil zum Schutz des Wassers beitragen.

Martin Weyand

Ob in Krankenhäusern, in der industriellen Massentierhaltung oder in Privathaushalten: Jeden Tag werden hierzulande viele Tonnen Medikamente verwendet. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der besseren medizinischen Versorgung werden es in Zukunft sogar noch mehr. Ein großer Teil der medizinischen Wirkstoffe gelangt in das Abwassersystem und schließlich in die Kläranlagen. Von den rund 1.200 Humanarzneimittelwirkstoffen mit möglicher Umweltrelevanz wurden im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 8.120 Tonnen verbraucht. Das ist gegenüber 6.200 Tonnen im Jahr 2002 ein Anstieg um mehr als 20 Prozent in zehn Jahren. Auch von Feldern, auf die mit Tierarzneimitteln belastete Gülle als Dünger ausgebracht wird, können Arzneimittelspuren in das Grundwasser gelangen. Allein im Jahr 2012 wurden rund 1.600 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Zudem werden viele Arzneimittel gezielt so entwickelt, dass sie mit einer kleinen Menge Wirkstoff eine große Wirkung erzielen. In der Natur können deshalb auch kleine Wirkstoffmengen einen großen Schaden anrichten. Jetzt wird klar, warum tonnenweise Medikamente die Abwasserentsorger vor große Herausforderungen stellen. Hinzu kommt, dass selbst die technisch hervorragend ausgestatteten Kläranlagen nicht alle Inhaltsstoffe aus dem Wasser holen können. Als Reaktion müssten die Anlagen kostspielig umgebaut werden. Die Rechnung für den Umbau würde bei den Endkunden landen. Doch wäre das fair? Sollten nicht auch die Profiteure der Medikamentenflut einen Teil zur Lösung beitragen? Der BDEW unterstützt deshalb nachdrücklich die Forderung des Bundesrates, dass in Deutschland endlich das Verursacher- und Vorsorgeprinzip umgesetzt werden soll, damit auch die Pharmakonzerne ihren Teil zum Schutz des Wassers beitragen. So sollen sie zur Veröffentlichung von Informationen zur Abbaubarkeit und Umweltrelevanz von Arzneimitteln verpflichtet werden. Und sie sollen finanzielle Verantwortung für durch den Einsatz von Arzneimitteln entstandene Umweltschäden übernehmen. Kleinräumige Modellprojekte wie in der Schweiz sind mit Deutschland nicht vergleichbar. Was wir brauchen, ist jetzt eine „wirkliche und umfassende Arzneimittelstrategie für Deutschland“, so wie dies bereits in der EU-Richtlinie für prioritäre Substanzen vereinbart worden ist. Für Verpackungen ist das mit den Dualen Systemen schon seit vielen Jahren so und hat sich bewährt. Deshalb sollte die fachgerechte Entsorgung der Medikamente auch im Arzneimittelgesetz verankert und damit geltendes europäisches Recht umgesetzt werden. Denn als Lebensmittel Nummer eins und unabdingbare Lebensgrundlage geht Wasser jeden etwas an ‒ auch die Pharmakonzerne. Martin Weyand ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung und Hauptgeschäftsführer Wasser und Abwasser beim BDEW.

Contra

Die Schweiz zeigt, wie es gehen kann. Denn es dürfte kaum gelingen, die vielen Verunreinigungen ihrem jeweiligen Produzenten zuzuordnen.

Dr. Siegfried Throm

Durch die Verfeinerung der Analysetechniken ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, wie viele Stoffe sich als Mikroverunreinigungen im Oberflächenwasser finden lassen. Von Menschen ausgeschiedene Arzneistoffe sind darunter, aber auch Substanzen aus Kosmetika, Waschmitteln, Landwirtschaft und Lebensmitteln. Oftmals ist die Herkunft nicht eindeutig: Östrogene können beispielsweise von Nutztierbeständen stammen, aber auch von schwangeren Frauen, Anwenderinnen der „Pille“ sowie in kleinerem Maße von uns allen, weil sie zu den natürlichen menschlichen Ausscheidungsprodukten gehören. In jedem Falle machen Arzneistoffe nur einen kleinen Prozentsatz der insgesamt gefundenen Mikroverunreinigungen im Abwasser aus. Deshalb wäre es nicht gerechtfertigt, Geldforderungen speziell an die Pharmaindustrie zu stellen und andere Sparten unberücksichtigt zu lassen. Andererseits dürfte es kaum gelingen, die vielen Mikroverunreinigungen ihren jeweiligen Produzenten zuzuordnen und die Geldforderungen an diese dann auch noch fair nach dem Grad des „Problempotenzials“ der jeweiligen Stoffe zu adjustieren. Konfrontiert mit der gleichen Problemstellung, hat sich die Bevölkerung in der Schweiz schon 2013 in einer Volksabstimmung dafür entschieden, die Kosten für die Nachrüstung von Kläranlagen bei den Einwohnern zu erheben, statt auf einem Abgabensystem für potenziell schädliche Produkte zu beharren und mangels Operationalisierbarkeit praktisch keine Abgaben eintreiben zu können. Die Schweizer kostet das seither gerade einmal neun CHF pro Einwohner und Jahr.Bereits seit 1995 wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens auch für Humanarzneimittel eine Umweltrisikobewertung durchgeführt. Deren Weiterentwicklung sowie die Datenerhebung für Arzneistoffe, die vor 1995 zugelassen wurden, sind Teil einer Initiative der europäischen Pharmaindustrie im Rahmen ihres Eco-Pharmaco-Stewardship-Programm s, das 2015 begonnen wurde.Die forschenden Pharmaunternehmen wirken seit einigen Jahren bei der geforderten Minimierung des Eintrags von Arzneistoffen in die Umwelt in vielfältiger Weise mit. Dazu entwickeln sie Wirkstoffpflaster, Implantate und Retardformen, die mit geringeren Wirkstoffmengen auskommen. Neue Impfstoffe schützen vor Infektionen, die andernfalls medikamentös behandelt werden müssten. Vor allem aber enthält ein wachsender Anteil neuer Medikamente proteinbasierte Wirkstoffe wie beispielsweise Antikörper, die gut biologisch abbaubar sind. 

Dr. Siegfried Throm ist Geschäftsführer Forschung/Entwicklung/Innovation des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller

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